Uebrreuter (2019)
Hardcover mit Schutzumschlag
224 Seiten, 16,95 EUR
ISBN: 978-3-7641-7093-6
Genre: Jugendbuch mit Science-Fiction-Elementen
Klappentext
2039: Der Aufbruch zur ersten bemannten Mars-Mission steht kurz bevor – auch der Vater der 17-jährigen Ianthe wurde hierfür ausgewählt. Auf einem abgeschirmten NASA-Gelände am Strand verbringen alle Familien einen letzten gemeinsamen Urlaub. Ianthe ist hin- und hergerissen zwischen Abschiedsschmerz und Wut, weil ihr Vater für seinen Traum seine Familie verlässt.
Und doch will auch sie nach den Sternen greifen: Ianthe hat ein Angebot von einem Plattenlabel in der Tasche. Der einzige Haken daran: Sie müsste dafür nach Seattle ziehen. Kann sie ihrer Familie eine weitere Veränderung antun, nur damit auch sie ihre Träume verwirklichen kann?
Rezension
Im Jahr 2039 ist es soweit: Zum ersten Mal brechen Menschen zum Mars auf und Ianthes Vater wurde für die Mission ausgewählt. Die Familie ist es gewohnt, dass der Astronaut manchmal Monate auf der Raumstation ISS verbringt. Aber die mehrjährige Mission zum roten Planeten ist etwas anderes. Niemand weiß, ob sie gelingt, ob die Astronauten gesund zurückkehren. Es fühlt sich an wie ein Abschied für immer, als Ianthe, ihre Schwester und ihre Mutter einen letzten gemeinsamen Urlaub mit dem Vater verbringen. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit bleibt ihnen eine Woche auf einem überwachten NASA-Gelände. Trotz Sonne und Strand ist die Stimmung angespannt. In den Gesichtern der Angehörigen spiegelt sich Angst und Trauer, während die Menschheit dem Start entgegenfiebert …
Ianthes Vater träumt schon lange davon, zum Mars zu fliegen und nun erfüllt sich sein Traum – den Preis zahlt seine Familie, die den Vater für mindestens drei Jahre oder gar für immer verliert. Ianthe kann ihren Vater verstehen, denn auch sie hat einen großen Traum: Sie will singen. Im Internet ist sie bereits ein bisschen bekannt, doch als sich ihr die Chance bietet, ein eigenes Album aufzunehmen, zögert sie. Denn sie müsste in eine tausende Kilometer entfernte Stadt umziehen. Sie fürchtet, für ihre Mutter und ihre Schwester würde es sich anfühlen, als würde auch sie die Familie verlassen. Auch wenn sie auf dem gleichen Planeten bleibt. Mit jedem Tag, der vergeht, spürt sie zudem immer stärker Wut und Traurigkeit. Wie soll sie sich auf ihre eigene Zukunft konzentrieren, wenn sich alles um den Abschied des Vaters dreht?
Kathleen Weise nutzt das Szenario einer bemannten Marsmission, um zu veranschaulichen, dass man für seine Träume oftmals etwas opfern muss und dass manchmal andere darunter leiden, wenn man sich seinen großen Traum erfüllt. Der Preis, den die Familien der Astronauten zahlen, erscheint während dem Leser zu hoch, so angespannt und düster ist die Stimmung. Auch in den anderen Familien überwiegen Verlustängste, Zorn und Trauer, schließlich weiß niemand, ob die Astronauten es überhaupt zum Mars schaffen. Geschweige denn ob sie jemals zurückkehren. Es gibt einfach zu viele Risikofaktoren, zu viele Schreckensszenarien, die den Abschied unerträglich machen.
Entsprechend des Mars-Themas spielt „Wenn wir nach den Sternen greifen“ zwanzig Jahre in der Zukunft, die unserer Zeit noch sehr ähnelt. Kathleen Weise hat sich ein paar technische Neuerungen einfallen lassen, um die Zukunft authentisch zu gestalten. So trägt man ein smartphoneähnliches Gerät nun am Handgelenk. Es gibt neue Internetplattformen, der Klimawandel ist in vollem Gange und auf der Welt herrscht weiterhin Chaos. So gibt es auch Widerstand gegen die Marsmission: Die sogenannte First-Mother-Bewegung protestiert, teils auch mit Sabotage und Gewalt, gegen die Mission, da die riesigen Geldsummen besser in die Erde investiert werden sollen. Ianthe bekommt den Fanatismus am eigenen Leib zu spüren, doch der Kern des Romans bleibt der als Urlaub getarnte lange Abschied vom Vater, samt Ängsten und Träumen.
Ianthe ist eine ruhige junge Frau, die ihre Emotionen in ihrer Musik verarbeitet. Sie weiß nicht recht, wie sie auf den Abschied des Vaters reagieren soll. Sie ist traurig und auch wütend, gleichzeitig versteht sie ihren Vater sehr gut, da die beiden sich ähnlich sind. Ihre vierzehnjährige Schwester reagiert wesentlich emotionaler und will den Vater zuerst gar nicht verabschieden, während die Mutter ihre Anspannung in Alkohol ertränkt und der Presse stets nur ein grimmiges Gesicht zeigt. Die anderen „Astrokids“, also Kinder der Astronauten, reagieren höchst unterschiedlich. Zwei sind in Ianthes Alter und während die eine auf ihre Mutter durchaus stolz ist, hasst der andere seinen Vater und verliert sich im Missbrauch von Medikamenten.
Auch wenn die Atmosphäre beinahe durchweg bedrückend und angespannt ist, liest sich der Roman angenehm leicht. Kathleen Weise schreibt locker und schnörkellos, sodass Ianthes Gedanken und Gefühle die junge Zielgruppe unmittelbar erreichen. Die Nebencharaktere wirken größtenteils authentisch, insbesondere jene im näheren Umfeld der Protagonistin. Außerhalb davon gibt es einige Stereotype wie den Pressevertreter, der stets perfekte Bilder fürs Fernsehen will. Der einzige wirkliche Kritikpunkt ist die Kürze des Romans. Zwar erscheint die Geschichte am Ende durchaus rund, aber zu vielen Details hätte man sich mehr Informationen gewünscht und Ianthes eigener Traum verblasst zu sehr hinter dem des Vaters. Auch hätte man gerne noch ein paar Kapitel zu der Zeit nach dem Start der Mission gelesen.
Fazit
”Wenn wir nach den Sternen greifen“ ist ein berührender Jugendroman über große Träume und ihren Preis, den manchmal auch andere zahlen müssen. Die Stimmung ist angespannt und gedrückt und man kann sehr gut nachfühlen, welche Ängste und Sorgen die Familien von Astronauten plagen.
Pro und Contra
+ die Bedeutung von Träumen und ihre Konsequenzen
+ glaubwürdige und einfühlsame Darstellung des Abschieds von den Astronauten
+ liest sich schnell weg
+ wunderschönes Cover
- Ianthes eigener Traum verblasst hinter dem ihres Vaters
Extras: Ianthes Songtexte im Anhang
Wertung:
Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5
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