Arena Verlag, 1. Auflage März 2019
HC mit SU und LB, 296 Seiten
15,00 € (D) | 15,50 € (A)
ISBN: 978-3-401-80824-6
Leseprobe
Genre: Jugendbuch mit Krimi-Elementen
Klappentext:
Nur knapp ist Mara einem Bombenattentat in der U-Bahn entgangen. Ihre Mitschüler nennen sie seither "Das Mädchen, das überlebt hat" und erwarten Betroffenheit von ihr. Aber Mara hat ganz andere Sorgen. Ihre Freundin Sirîn meldet sich immer seltener und scheint plötzlich komplett unerreichbar. Je mehr Mara ihr zu helfen versucht, desto mehr Unverständnis und Ablehnung erntet sie. Was verheimlichen alle vor ihr? Erst als sich ihr Schwarm Chriso in die Suche einschaltet, kommt die erschütternde Wahrheit ans Licht.
Rezension:
Nur ein paar Sekunden früher und Mara hätte die U-Bahn gerade noch so erwischt. Doch stattdessen haben ihr genau diese wenigen Sekunden das Leben gerettet. Denn kurz nach der Ausfahrt aus dem Bahnhof explodierte eine Bombe in der Bahn, die Mara eigentlich nehmen wollte. In der Schule wird sie deshalb quasi als Überlebende gefeiert, weil sie im Grunde genommen dabei war, genauso wie ihr Schwarm Chriso. Der das zumindest behauptet und sich bzw. seinen YouTube-Channel auf diese Weise wichtig machen möchte. Mara würde so gerne mit ihrer besten Freundin Sirîn über all das sprechen, was sie derzeit beschäftigt, aber die macht sich in letzter Zeit irgendwie rar. Auch Sirîns Familie benimmt sich reichlich seltsam und wimmelt Mara immer wieder ab, dabei will sie doch nur ihre beste Freundin sehen und sichergehen, dass es dieser gut geht. Als Mara sich eingestehen muss, dass sie allein nicht weiterkommt, vertraut sie sich zögernd Chriso an - und ahnt dabei nicht, dass sehr bald ihre ganze Welt erschüttert werden wird.
Tania Witte ist sicher kein unbekannter Name - unter dem Pseudonym Ella Blix hat sie gemeinsam mit Antje Wagner bereits den mystischen Jugendthriller "Der Schein" veröffentlicht, aber auch in der Erwachsenenliteratur war sie schon tätig. Mit Die Stille zwischen den Sekunden legt sie nun ein weiteres Jugendbuch vor, das sich vor allem dadurch auszeichnet, dass mehrere aktuelle Themen aufgegriffen werden. Ziemlich offensichtlich wird bereits im Klappentext das Bombenattentat auf die U-Bahn erwähnt, dem Protagonistin Mara ganz knapp mit viel Glück entgeht. Doch tatsächlich ist dieser Punkt nur der Eyecatcher des Buches, das in Wahrheit sehr viel tiefgründiger greift. Teilweise extrem überspitzt behandelt Tania Witte posttraumatische Belastungsstörungen, Vorurteile, Freundschaft, kulturelle Unterschiede, Hierarchien auf dem Schulhof und natürlich die erste Liebe - eine Mischung, die auf den ersten Blick nicht zusammen passt und für einen Jugendroman sehr überladen zu sein scheint. Doch die Autorin schafft es, trotz eines fast unsichtbaren Handlungsfadens alle Themen abzudecken und zu einem funktionierenden Geflecht zu verbinden.
In unaufgeregter, der Zielgruppe angepasster Sprache stellt Tania Witte auch für den erwachsenen Leser einen besonderen Sog her. Obwohl nicht viel zu passieren scheint und der Zeitraum der erzählten Geschichte recht kurz ist, hat man als Leser das Gefühl, zwischen den Seiten hängen zu bleiben - und Die Stille zwischen den Sekunden selbst hören zu können. Manchmal sind die zeitlichen Sprünge etwas gewagt und man muss kurz zurückblättern, um den Anschluss auch sicher zu finden, doch schon wenige Sätze später ist man wieder ganz gefangen von Maras Geschichte. Und ihrer zarten Begeisterung für diesen Jungen, der eigentlich ein ziemlicher Angeber und so gar nicht ihr Typ ist. Auch diesen Zwiespalt versteht Tania Witte hervorragend darzustellen, ebenso das Herantasten an die ganz andere Kultur der besten Freundin Maras. Auch als Leser taucht man in diese Unterschiede ein und lernt diese andere Welt zumindest ein Stück weit kennen.
Einige schlau inszenierte falsche Fährten sollten den Leser ablenken und so gibt es an der einen oder anderen Stelle durchaus auch Überraschungsmomente. Der größte Knall erwartet den Leser natürlich fast ganz zum Schluss, und obwohl während der Lektüre verschiedene Theorien im Kopf entstehen, wer und was und wann und wo irgendwie mit der einen oder anderen Komponente zu tun haben könnte, wird die Geschichte erst mit der letzten Seite tatsächlich schlüssig. Die Begleitung der Protagonistin ist jedoch nicht mit der Lektüre beendet, der Leser wird gerade im Nachklang mit verschiedenen Fragen konfrontiert - nämlich dann, wenn er die Geschichte nachwirken lässt und das Gelesene noch einmal durchdenkt.
Als Gesamtpaket betrachtet fällt es schwer, eine abschließende Meinung zu bilden. Es werden wichtige, weltpolitisch aktuelle Themen genauso angesprochen wie Punkte, die im Leben von Heranwachsenden schon immer eine Rolle gespielt haben. Trotz des spannenden Aufhängers bleibt die Geschichte eher ruhig und gesittet, das Hauptaugenmerk liegt hier eindeutig in einem anderen Bereich. Mancher Leser wünscht sich vielleicht mehr Substanz, was das Attentat betrifft, anderen könnte schon dieser kurze Moment zu viel sein. Alles in allem empfiehlt sich Die Stille zwischen den Sekunden durchaus als Schullektüre mit anschließender Diskussionsrunde, kann aber auch erwachsene Leser in seinen Bann ziehen.
Fazit:
Obwohl die Handlung an sich nicht so viel bereit hält, schafft Tania Witte es, diese ganz besondere Art von Sog zu erzeugen, die den Leser Die Stille zwischen den Sekunden nur schwer aus der Hand legen lässt. Der Umgang mit einer posttraumatischen Belastungsstörung - als Betroffener, als Angehöriger und als Außenstehender - wird hier ausgiebig beleuchtet. Auch andere Themen wie Freundschaft und Vorurteile finden ihren Platz, wobei die Autorin an der einen oder anderen Stelle mit extremen Überspitzungen arbeitet. Ein insgesamt eher ruhiges Buch, das vor allem im Nachhall wirkt und sich aufgrund der verschiedenen Themen gut als Schullektüre eignen dürfte.
Wertung:
Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5