Christian Handel (02.08.2019)

Interview mit Christian Handel

christian handel2019Literatopia: Hallo, Christian! Kürzlich ist bei Ueberreuter Dein Jugendroman „Becoming Elektra – Sie bestimmen, wer du bist“ erschienen. Was erwartet die Leser?

Christian Handel: Ein Mordplot. Intrigen. Geheimnisse. Familienfehden – und Klone.

Das Buch spielt im Jahr 2083, es ist aber eher NearFuture als SciFi. Im Mittelpunkt steht die emotionale Reise der Hauptfigur Isabel. Stimmungsmäßig vergleiche ich es für mich gern mit TV-Serien wie REVENGE, REIGN & Co. Hashtag #DenverClone ;-)

Literatopia: Wer war eigentlich Elektra Hamilton? Wie sah ihr Leben aus?

Christian Handel: Über Elektra erfahren wir wenig, da sie bereits vor Beginn des Buches stirbt.

Isabel ist Elektras Klon und soll aufgrund politischer Verwicklungen der Welt vorspielen, sie sei die echte Elektra (daher der Buchtitel). Zunächst weiß sie nur, dass sie die Tochter einer reichen Industriellenfamilie ist. Aufgrund der zahlreichen Fotos in Magazinen und auf Social Media-Seiten glaubt sie, ihr Original sei ein oberflächliches It-Girl, das seine Zeit mit Partymachen verschwendet hat.

Je mehr Zeit Isabel in der Villa der Hamiltons verbringt, desto bewusster wird ihr, dass Elektra auch andere Seiten hatte – und Geheimnisse.

Literatopia: Wie findet sich Isabel in ihrer neuen Rolle zurecht? Ähnelt sie Elektra auch charakterlich oder muss sie sich verstellen?

Christian Handel: Zunächst fällt es Isabel schwer, all die Informationen zu behalten, die man ihr über ihr Original mitteilt. Elektra war Vegetarierin, Isabel nicht. Außerdem liebt Isabel Sport, während Elektra das gar keinen Spaß gemacht hat.

Eine Frage, die sich Isabel stellt, ist auch, inwiefern sie langfristig eine neue Identität nach außen aufbauen kann, die es ihr ermöglicht, auch sie selbst zu sein und nicht Elektra Hamilton.

Literatopia: Im Klappentext steht, dass Isabel niemandem trauen kann – gibt es tatsächlich niemanden, der sie in ihrem neuem Leben unterstützt? Und was ist mit ihrer Familie und ihren Freunden?

Christian Handel: Isabel wächst mit anderen Klonen in einem von der Außenwelt abgeschlossenen Institut auf. Zu ihren Freunden und bisherigen Bekannten hat sie von einem Tag auf den anderen keinen Kontakt mehr.

Für ihre „neue Familie“, mit der sie genetisch ja tatsächlich verwandt ist, ist sie Mittel zum Zweck: mehr Werkzeug als echter Mensch. Ihre „Eltern“ brauchen sie, wollen sie aber eigentlich nicht bei sich haben. Unterstützt wird sie von ihrem „Bruder“ Hektor – zunächst, weil dieser dazu gezwungen wird, dann, weil sie sich im Verlauf der Zeit miteinander anfreunden. Was macht Familie aus? Das ist eine Frage, mit der sich die Figuren alle beschäftigen müssen – und auf die sie unterschiedliche Antworten finden.

Literatopia: „Becoming Elektra“ spielt im Jahr 2083 – inwiefern hat sich unsere Welt verändert?

Christian Handel: Mir war es wichtig, kein allzu dystopisches Bild der Zukunft zu zeichnen, sondern mit Optimismus in die 2080er Jahre zu blicken. Im Buch haben also weder die Maschinen die Herrschaft übernommen, noch kam es zum dritten Weltkrieg. Den Klimawandel haben wir in den Griff bekommen. Allerdings sind auch alle bisherigen Marsmissionen gescheitert – und die Gesetze, die das Klonen erlauben, sind ziemlich unmenschlich.

Statt mit Autos bewegen sich die (meisten) Menschen mit sogenannten Magnettaxis fort. Natürlich trägt ein Großteil der Bevölkerung "intelligente" Kontaktlinsen, mit denen man u. a. Shoppen, Daten und Zoomen kann. Und dank moderner Technik kann ein Restaurantbesuch zu einem magischen Erlebnis werden.

Literatopia: Dein Romandebüt „Rose und Knochen“ wurde für den Seraph nominiert und hat wahnsinnig viele positive Rezensionen erhalten. Was hat den Lesern am besten gefallen? Und gab es auch Kritiken, über die Du Dich geärgert hast?

Christian Handel: Noch immer bin ich ganz geflashed, dass so vielen Lesern Rosen & Knochen so gut gefallen hat. Verschiedene Menschen mögen natürlich verschiedene Details. Oft werde ich aber darauf angesprochen, dass es den Lesern gefällt, dass ich mich bei meinem Debüt stärker an den dunklen Wurzeln der Grimm’schen Märchen orientiert habe als an den inzwischen bekannten Versionen. Und ich freue mich wahnsinnig, wie positiv die meisten Leser darauf reagiert haben, dass im Mittelpunkt der Geschichte ein lesbisches Liebespaar steht.

Klar gehen Kritiken nicht spurlos an einem vorbei. Und ich nehme an, es ist menschlich, sich über die eine oder andere zu ärgern. Viele Kritiken sind aber auch konstruktiv, und die helfen. Man möchte sich schließlich kontinuierlich verbessern.

Es ärgern mich deshalb eigentlich nur Kritiken von Leuten, die behaupten, ich habe nur eine Märchenadaption geschrieben, weil ich einen Trend bedienen wollte. Zum einen kennen sie mich nicht persönlich. Zum anderen: Wer auch nur ein bisschen recherchiert hätte, wüsste, dass ich bereits mein Leben lang Märchenfan bin und Fairytale-Fantasy liebe.

Literatopia: Seit 2007 betreibst Du Deine eigene Website fantasy-news.com mit Rezensionen, Interviews, News usw. … Inwiefern beeinflusst Dich der Blick eines Rezensenten beim Schreiben Deiner eigenen Werke?

Christian Handel: Leider komme ich, seit ich selbst schreibe, nicht mehr so stark zum Pflegen meines Blogs. Obwohl ich mich noch immer sehr gern mit Büchern und AutorInnen beschäftige.

Hat mich mein Blick als Rezensent beim Schreiben beeinflusst? Vielleicht insofern, als dass ich mich seit dem Bloggen intensiver damit befasse, warum manche Dinge in Büchern für mich funktionieren und andere nicht.

rosen und knochenAber das machen ebenfalls viele AutorInnen, die keine Rezensionen schreiben.

Literatopia: Beim Drachenmond-Verlag hast Du bereits drei Märchen-Anthologien herausgegeben. Inwiefern interpretieren die dort enthaltenen Geschichten Märchen neu?

Christian Handel: Die Kurzgeschichten in den Märchenanthologien erzählen die alten Stoffe nicht einfach nach, sondern betrachten sie aus einem neuen Blickwinkel, stellen sie auf dem Kopf oder arbeiten Details stärker heraus. Warum verlangt Rumpelstilzchen als Bezahlung das Kind der Königin? Weshalb haben die Tauben Aschenputtel geholfen? Woher stammt der Zauberspiegel der bösen Königin und wie kam der Dschinn in die Wunderlampe?

Es gibt Geschichten, die bekannte Märchen aus der Sicht der vermeintlichen Antagonistin erzählen, Adaptionen hierzulande weitgehend unbekannter Märchen und Märchen, die statt eines heteronormativen Liebespaares auch mal queere Heldinnen und Helden in den Mittelpunkt rücken.

Literatopia: Die Märchen welcher Kultur haben es Dir besonders angetan? Und welches ist Dein absolutes Lieblingsmärchen?

Christian Handel: Zwar lese ich sehr gern Märchen anderer Kulturkreise, aber die Märchen aus meiner Kindheit sind mir in Fleisch und Blut übergegangen. Das waren vor allem die europäischen Märchen, in erster Linie natürlich die der Brüder Grimm und von Andersen. Die kenne ich am besten, samt diverser Verfilmungen, und dadurch ist es für mich persönlich besonders spannend, diese Geschichten neu zu interpretieren.

Allerdings liebe ich auch, bestimmte Märchen durch die Jahrhunderte und durch die Kulturen hindurch zu verfolgen. Von Aschenputtel gibt es u. a. chinesische, ägyptische, keltische und französische Varianten.

Ein einziges absolutes Lieblingsmärchen habe ich nicht. Als Kind mochte ich sehr gern Die Gänsemagd und Die zertanzten Schuhe. Als Autor habe ich aber festgestellt, dass es für mich spannender ist, Märchen zu adaptieren, die ich selbst bisher gar nicht so extrem mochte, wie Hänsel und Gretel etwa.

Das Sequel zu Rosen und Knochen spielt im phantastischen Russland. Deshalb habe ich mich mit Märchen aus dieser Kultur beschäftigt – auch wenn ein anderes bekanntes deutsches Märchen, das in meinem Debüt bereits angedeutet wird, ebenfalls eine wichtige Rolle spielt.

Literatopia: Auf TOR-online stellst Du regelmäßig 5 Bücher zu bestimmten Themen vor – was sind aktuell Deine 5 Lieblingsbücher?

Christian Handel: Wie schwierig ich solche Listen finde. Aber gut, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben sind das momentan:

KEINER SAGT DIE WAHRHEIT von Caleb Roehrig (Jugendbuch-Krimi mit schwuler Hauptfigur)

SPIN THE DAWN von Elizabeth Lim (asiatische Fairytale-Fantasy)

DER SCHWARZE THRON von Kendare Blake (Game of Thrones meets Jugendbuch)

DAS LIED DER KRÄHEN von Leigh Bardugo (dazu muss ich euch sicher nichts sagen)

TWO BOYS KISSING von David Levithan (der vielleicht beste schwule Jugendroman, den ich jemals gelesen habe).

Und ja, ich habe mich mit Absicht auf nicht-deutschsprachige AutorInnen konzentriert, weil ich im deutschsprachigen Bereich derzeit viele Lieblinge habe und mich einfach nicht entscheiden kann.

Literatopia: Du stammst aus der Schneewittchen-Stadt Lohr am Main und bist inzwischen in den Großstadtdschungel umgesiedelt. Wie gefällt Dir das Leben in der Stadt? Welche Vorteile bieten sich Dir? Und vermisst Du manchmal die Ruhe der Kleinstadt?

Christian Handel: Vor meinem Umzug nach Berlin war ich mir fast sicher, die Großstadt würde mich nicht lange halten können. Jetzt kann ich mir kaum mehr vorstellen, an einem anderen Ort zu leben.

Ja, Berlin kann oft laut, schnodderig und oberflächlich sein und steht nie still. Und manchmal kann einem das auf den Wecker gehen. Die Stadt ist aber auch voller Energie und lässt dich so sein, wie du willst. Sie will dich nicht verbiegen. Hier ist Platz für alle.

Und vor allem: Hier muss ich nicht nach Menschen suchen, die so sind, wie ich. Seien es einerseits Autorenkolleginnen und -kollegen und Buchmenschen, mit denen ich mich zum Schreiben und Austauschen treffen kann, andererseits andere Schwule. Hier laufen einem Paare händchenhaltend entgegen: Frauen mit Frauen und Männer mit Männern - und niemanden stört's. Das ist immer noch etwas Besonderes für mich, nach all den Jahren.

Trotz dieser Liebeserklärung an die Hauptstadt vermisse ich meine alte Heimat und die Ruhe, die du ansprichst, manchmal sehr. Wenn ich "nach Hause" komme, bin ich schockiert und begeistert, wie "langsam" sich alles anfühlt, wie entschleunigt. Da muss ich nur ein paar Meter einen Feld- oder Waldweg entlang gehen, und ich spüre, wie Stress von mir abfällt, von dem mir gar nicht klar war, dass er da war.

Literatopia: „Becoming Elektra“ ist frisch erschienen – kannst Du uns trotzdem schon einen Ausblick auf kommende Veröffentlichungen geben? Schreibst Du bereits am nächsten Roman?

Christian Handel: Gerade befinde ich mich mit der Schreib-WG auf Mallorca und mache das Manuskript für die Fortsetzung von Rosen und Knochen lektoratsfähig.

Außerdem schreibe ich an einem neuen Jugendbuch, das im Herbst 2020 im Ueberreuter Verlag erscheinen soll. Statt Nearfuture-Thriller wird es diesmal ein magischer Highfantasy-Roman voll von dunkler Magie, Liebe und dem einen oder anderen märchenhaften Zug – auch wenn es sich nicht um eine Märchenadaption handelt. Unter dem Hashtag #iriann verrate ich auf instagram und Facebook in den nächsten Monaten mehr darüber.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Christian Handel: Lieben Dank dir! Die Fragen sind genial! Ich freu mich sehr.


Autorenfoto: Copyright by Christian Handel

Autorenblog: www.fantasy-news.com

Autorenhomepage: www.christianhandel.de 

Rezension zu "Becoming Elektra - Sie bestimmen, wer du bist"

Rezension zu "Rowan & Ash - Ein Labyrinth aus Schatten und Magie"

Interview mit Christian Handel (2020)


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.