Rafaela Creydt (04.08.2019)

Interview mit Rafaela Creydt

rafaela creydtLiteratopia: Hallo, Rafaela! Aus Deinem aktuellen Roman „Der letzte Winter der ersten Stadt“ hast Du letzten Monat auf der Nordcon gelesen – was für eine Szene hast Du dafür ausgewählt? Wie kam das Buch bei den Lesern an?

Rafaela Creydt: Ich habe ein paar Szenen aus dem ‚Heilerkrieg’ ausgesucht. Für Lesungen liebe ich Szenen mit Action, Streit und sarkastischen Dialogen. Weil ich noch nie so einen langen Slot zu füllen hatte – eine ganze Stunde! – wollte ich außerdem ein Thema haben, über das wir diskutieren konnten. Die unterschiedlichen Sichtweisen zum Thema Heilkunst bieten da im Zeitalter der Impfgegner viel Stoff.

Mein Plan scheint auch aufgegangen zu sein, denn niemand ist eingeschlafen, es gab ein paar Lacher und jede Menge clevere Fragen.

Literatopia: Dein Protagonist Krai ist Heiler, Koch, blockierter Geisterseher und verzweifelter Lügner– klingt nach jemandem, der das Chaos an seiner Seite hat und trotzdem mit jeder Situation zurechtkommt? Was treibt ihn an? Und was verbindet ihn mit der Königin der Ersten Stadt?

Rafaela Creydt: Oh Gott, wenn du wüsstest, wie schlecht Krai mit erstaunlich vielen Situationen klarkommt! Er ist ein Fafa, von ihm wird erwartet, dass er eine Verbindung zu den Geistern hat, die in allen Dingen leben. Durch diese Verbindung ist ein Fafa in der Lage, das Gleichgewicht zu wahren oder wiederherzustellen, also, Menschen gesund zu erhalten oder zu heilen.

Krai ist mit Anfang dreißig bereits der persönliche Fafa der Königin von Efon, also ausgesprochen fähig und erfolgreich. Aber er fühlt sich als Betrüger, denn er hat diese Verbindung zu den Geistern nicht. Krai glaubt, dass die Tagoren die Geister gefangen halten und hasst sie dafür. Und dann muss er seine Königin in die Hauptstadt der Tagoren begleiten. Super Idee.

Literatopia: Wie tritt die Kalligraphin Neschka in Krais Leben? Welchen Einfluss hat sie auf ihn? Und was zeichnet sie aus?

Rafaela Creydt: Neschka ist eine lebenslustige Gardistin des Kaisers und Kalligraphin in einer seiner Schreibstuben, die gerne mal aus der Reihe tanzt. Sie hatte ihren Platz im Leben gefunden, aber dann beschließen ihre Vorgesetzten, dass sie in einem anderen Leben besser aufgehoben ist. Neschka soll sich selbst aufgeben, um dem Reich zu dienen.

Und niemand scheint auch nur zu verstehen, warum sie ein Problem damit haben könnte! Anstatt sich weg zu ducken, oder still zu leiden, wird sie laut und kämpft für sich. Das ist der Moment in dem Krai Neschka begegnet. In einem Volk von Bürokraten und treuen Bürgern hat Krai jemanden so widerspenstiges nicht erwartet. Also beschließt er, Neschka zu helfen. Und macht damit erstmal alles nur noch schlimmer.

Literatopia: „Der letzte Winter der ersten Stadt“ spielt in der gleichen Welt wie „Die Stadt am Kreuz“ – wie stark sind beide Romane miteinander verwoben? Trifft man z.B. bekannte Charaktere wieder?

Rafaela Creydt: Nach „Die Stadt am Kreuz“ fragte mich der Verlag, ob ich ihnen nicht so einen Roman aus der gleichen Welt schreiben könnte. Sie haben sich vermutlich eine Fortsetzung gewünscht. Ein bisschen mehr aus Duremm, oder über die gleichen Figuren. Was sie bekamen war eine Geschichte, die dreihundert Jahre früher in völlig anderen Ecken des Kontinents spielt.

Man könnte sagen, „Der Letzte Winter der ersten Stadt“ steht zu „Die Stadt am Kreuz“ wie „Das Silmarillion“ zu „Der Herr der Ringe“. Auch wenn beide leichter zu lesen sind, und die Handlung deutlich weniger breit angelegt ist. Da in „Die Stadt am Kreuz“ keine unsterblichen oder länger lebenden Völker auftauchen, gibt es auch keine Überschneidungen im Cast. Trotzdem gibt es natürlich Verbindungen. Ich habe „Der letzte Winter der ersten Stadt“ auch geschrieben, um herauszufinden, wo die Wurzeln für den Krüppelkontinent liegen. Wer nach der „Stadt am Kreuz“ also gern mehr über die Läufer, das Treue Volk, das Kaiserreich und die Tempel wissen wollte, wird hier fündig. Wer nach „Der letzte Winter der ersten Stadt“ keine Ahnung hat, wie es jetzt noch weitergehen soll - schau in Duremm vorbei.

Literatopia: Beschreib uns die Welt Deiner beiden Fantasyromane genauer. Welche Völker leben dort? Was hat es mit den Geistern auf sich? Und wie viel Magie steckt in Deiner Welt?

der letzte winter der ersten stadtRafaela Creydt: Menschen leben dort. Menschen in zig verschiedenen Kulturen, die durch mehr als dreitausend Jahre gemeinsame Geschichte, ein großer Teil davon in einem einheitlichen Reich, verbunden sind.

Also gibt es viele Aspekte, die überall gleich oder zumindest bekannt sind, die aber vielleicht unterschiedlich bewertet werden, abhängig von Zeitpunkt und Ort. Der Glaube an die drei Götter mit Tagore, dem Herrn der Ordnung, an der Spitze, ist so ein Punkt. Wie wichtig diese Religion aber im täglichen Leben ist und wie sie ausgelegt wird, ist wandelbar.

Im Tagore-Glauben ist Magie ein Geschenk des Gottes und wurde nur einem Volk gewährt, dem einzigen, dass ihn und die Kaiser nie verraten hat, und daher das Treue Volk genannt wird. Wie die Machtposition des Treuen Volkes ist, was seine Aufgaben sind und wie es vom Rest der Welt gesehen wird, unterscheidet sich wieder. Das Volk der Efoni, zu dem auch Krai, der Protagonist aus „Der letzte Winter der ersten Stadt“ gehört, glaubt an Geister, die in allem leben was existiert. Efoni und gläubige Tagoren kommen schon alleine deswegen nicht besonders gut miteinander aus.

In „Die Stadt am Kreuz“ sind wir in Duremm und Relven unterwegs, die beide durch Handel geprägt sind. Duremm ist eine Wüstenstadt, die den Zusammenbruch des Reiches der Ordnung überlebt hat, Relven ein Inselstaat, der niemals Teil der Ordnung war.

In “Der letzte Winter der ersten Stadt“ führe ich zum ersten Mal so etwas Ähnliches wie eine intelligente Fremdrasse ein, die Wanderwurzeln. Das sind Menschen, die in Symbiose mit einem Baum leben, dessen Same sich in ihnen eingenistet hat. Diese Verbindung bringt den Menschen ein paar Vorteile wie verlängerte Lebenserwartung, verändert aber auch ihren Charakter. Gemeinhin gilt die Auswahl zum Leben als Wurzel als Große Ehre. Es ist das Schicksal, dass Neschka zugedacht wird und gegen das sie rebelliert.

Literatopia: Wie bist Du eigentlich zum Schreiben gekommen? Und was zeichnet Deinen Schreibstil aus?

Rafaela Creydt: Leider gibt es keine spannende Geschichte, wie ich zum Schreiben kam. Ich wollte schon schreiben, bevor mich Lesen interessierte. Mit elf habe ich dann die erste Geschichte ohne schulischen Auftrag geschrieben (Star Wars Fanfiction), mit dreizehn den ersten Roman (Star Wars Fanfiction), parallel angefangen, eigene Welten zu entwickeln und seitdem hat sich irgendwie nichts geändert.

Der Stil von „Die Stadt am Kreuz“ und „Der letzte Winter der ersten Stadt“ ist intensiv. Ich wollte, dass man diese Welt schmecken kann, dass man den Stein unter den Fingerspitzen und den Nebel auf den Wangen spürt. Schuld daran ist Herr Süskind. Als ich „Die Stadt am Kreuz“ begann, hatte ich gerade „Das Parfum“ verschlungen und beschloss größenwahnsinnig, dass ich diese intensive, sinnliche Atmosphäre auch für meine Geschichte haben wollte. Wenn ihr euch also fragt, wo die Schilderung von Duremm in Kapitel 1 herkommt ... Als dann der Auftrag für Krais Geschichte kam, war klar, dass es wieder der gleiche Stil werden musste, schließlich ist es die gleiche Welt.

Anderen Welten gebe ich aber gern andere Stimmen. Ich glaube fest daran, dass es den einen richtigen, universellen Stil nicht gibt und jede Geschichte nur gewinnen kann, wenn man sich als Autor die Freiheit gibt, auszuprobieren.

Literatopia: Bist Du auch als Leserin in der Phantastik zu Hause? Welcher Roman hat Dich in den letzten Monaten besonders begeistert?

Rafaela Creydt: Ziemlich verspätet habe ich vor einiger Zeit die „Harry Dresden“-Reihe für mich entdeckt. Ich mag, dass sie überhaupt nicht versucht, mehr zu sein, als sie ist. Ich wollte geradlinige Abenteuer mit ein bisschen Acton-Film Humor, deren Figuren und Konflikte mir nicht das Herz zerhäckseln. Genau das habe bei Harry bekommen, bis ... „Harry! Tu das nicht! Hol sofort mein Herz aus dem Häcksler!“

Woraus ich gelernt habe, dass jede Figur, die wir mögen, das Potential hat, uns furchtbar leiden zu lassen.

Gerade habe ich „Roma Nova“ von Judith Vogt beendet – dieser eine Figurentod macht mich wirklich fertig und ich glaube, das hatte sie so noch nicht mal beabsichtigt. Jetzt steht ein neuer Harry Dresden auf meiner Liste und dann „Feuerschwingen“ von Sabrina Železný.

Literatopia: Auf Deiner Homepage findet sich der Menüpunkt „Triggerwarnungen“ – warum sind diese so wichtig? Und finden sie sich auch in Deinen Büchern?

Rafaela Creydt: Leider sind sie nicht in meinen Büchern zu finden. Ich wurde erst nach der letzten Veröffentlichung auf das Thema aufmerksam, deshalb habe ich die Kategorie auf meinem Blog eingefügt.

die stadt am kreuzFür viele, viele Menschen sind Triggerwarnungen überhaupt nicht wichtig. Aber für einige eben doch. Es gibt Menschen, denen es das Leben sehr erleichtert, wenn sie vorher prüfen können, mit welchen Extremsituationen oder Themen sie in einem Roman konfrontiert werden. Dann können sie entscheiden, ob sie diese Geschichte zu diesem Zeitpunkt vielleicht lieber auf den SuB legen. Oder ob sie es gerade wegen der Triggerwarnungen doch lesen können, weil ihnen die Warnung die Möglichkeit gibt, sich vorzubereiten. Ich habe bei der „Die Rückkehr des Königs“ Verfilmung immer ein Kissen in Griffweite. Weil ... Kankra. Und ich habe nicht mal ein überdurchschnittlich großes Problem mit Spinnen.

Elea Brandt hat das in ihrem Blogbeitrag ganz wunderbar und vor allem fundiert erläutert: klick

Die Kurzzusammenfassung ist: Triggerwarnungen intelligent verortet nehmen niemanden die Freude am Lesen und können einigen Menschen das Leben leichter machen.

Literatopia: Seit April bist Du auf Twitter unterwegs – welche Erfahrungen hast Du bisher gemacht? Und wie wichtig ist es heutzutage, als Autor*in in den Social Media präsent zu sein?

Rafaela Creydt: Ich bin auf Twitter nicht explizit in Sachen Autoren-Marke oder Marketing unterwegs, sondern habe einfach ein bisschen Spaß und taumele als planloser Newbie von einem Tweet zum nächsten. Dasselbe gilt für Instagram. Auf Facebook betreibe ich meine Autorenseite EXTERNER LINK: https://www.facebook.com/RafaelaCreydtAutorin/ , mit Hinweisen zu Lesungen, Vorträgen, Rezensionen, Hintergrundinfos, aber auch da möchte ich vor allem eine gute Zeit haben. Jeden Freitag poste ich zum Beispiel ein kleines Schreibspiel, in dem es nur darum geht, die Hirnwindungen ein bisschen zu entknoten, und sich zu trauen, mal etwas auszuprobieren. Und dann gibt es natürlich meine offizielle Seite www.rafaela-creydt.com, unter anderem mit den Triggerwarnungen.

Insgesamt ist Social Media vor allem für Selfpublisher*innen und Kleinverlagsautor*innen sehr wichtig. Es ist eine extrem niederschwellige Möglichkeit, mit unglaublich vielen Menschen in Kontakt zu kommen. Das ist verführerisch, vor allem für Autor*innen, die ja meistens diese seltsame Mischung aus Rampensau und „Oh Gott, ich sterbe auf einer Bühne“ sind. Auf Social Media kannst du Rampensau sein, ohne deinem Publikum ins Gesicht sehen zu müssen. Man darf nur nebenbei das Geschichtenerzählen nicht vergessen.

Literatopia: Auf Twitter meintest Du, Du fügst gerne „World-Building-Details an unerwarteten Ecken“ ein – wo zum Beispiel? Und warum magst Du keine klassischen Fantasywesen wie Elfen, Drachen und Zwerge?

Rafaela Creydt: Ich habe nicht gesagt, dass ich sie nicht mag, sondern, dass ich sie nicht gern schreibe. Was ich an der Fantasy, der Phantastik, so unglaublich genieße, ist die Freiheit, die sie einem bietet. Solange ich überzeugend erklären kann, warum etwas in meiner Welt ist, wie es ist, kann ich machen, was ich will. Wie geil ist das denn? Dass nutze ich jetzt nach Kräften aus.

Kurz gesagt, ich schreibe sie nicht gern, weil ich alles andere lieber schreibe.

Versteckte Worldbuilding Details machen mir einfach Spaß, weil dann plötzlich Dinge zusammenklicken und die Welt lebendig wird. Ich möchte Worldbuilding nicht als Tapete, die nichts mit der Handlung und den Menschen im Vordergrund zu tun hat. Meine Figuren leben in dieser Welt. Sie beeinflusst ihr Denken, ihre Entscheidungen, ihr Handeln. Je enger das verzahnt ist, desto glücklicher bin ich.

In Atai ist es zum Beispiel üblich, die Schuhe auszuziehen, bevor man ein Gebäude betritt. In Krais Heimat trägt niemand Schuhe. In einer Szene streiten Krai und Neschka in einem Tempel in Atai. Krai haut ab, ohne an seine Schuhe zu denken. Dass passt zu ihm. Dass Neschka in dieser Situation an seine Schuhe denkt, passt zu ihr. Dass sie die Dinger trotz Streit mitnimmt und ihm später zurückgibt, sagt auch etwas über ihre Gefühle und die Beziehung der beiden zueinander aus.

Außerdem macht es mir Spaß, wenn ich mitten in Drama und Weltuntergang die Heldin mit einem ausgelatschtem Paar Schuhe in der Hand und Ärger im Bauch durch den Palast laufen lassen kann.

Literatopia: Würdest Du uns verraten, woran Du gerade arbeitest? Kehrst Du in die gleiche Fantasywelt zurück oder bist Du schon dabei, eine neue zu erschaffen?

Rafaela Creydt: Über den Krüppelkontinent ließen sich noch Dutzende Geschichten erzählen. Ja, auch eine Geschichte für Arrian und eine für Raan.

Aber jetzt gerade habe ich einen ganzen Strauß an Projekten von zeitgenössischer Literatur über Urban-Fantasy bis Space Opera, zwischen denen ich herumhüpfe wie ein Kind im Süßigkeitenladen, oder eben eine Weltenbauerin im Kosmos unendlicher Möglichkeiten. Im Moment sieht es so aus, als hätte Space Opera den anziehendsten Hüftschwung. Irgendwo zwischen „Die Krone der Sterne“, „Dune“ und „Firefly“ habe ich mein Herz verloren. Aber vielleicht möchte ich doch lieber von einer Drachentöterin in der Freiwilligen Feuerwehr erzählen? Oh, da ist ja doch ein Drache. Ups.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Rafaela Creydt: Danke, es hat großen Spaß gemacht.


Autorenfoto: Copyright by Rafaela Creydt

Autorenhomepage: https://rafaela-creydt.com


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.