Die Verbindung. Du kannst niemandem trauen (Cambria Brockman)

brockman verbindung

Goldmann, 2019
Originaltitel: Tell Me Everything (2019)
Übersetzung von Sibylle Schmidt
Taschenbuch, 448 Seiten
€ 10,00 [D] | € 10,30 [A] | CHF 14,50
ISBN 978-3-442-48897-1

Genre: Mystery, Thriller


Rezension

Handlungsort des Debüts von Cambria Brockman, Die Verbindung, ist das elitäre Hawthorne College in New England. Drei Studentinnen und drei Studenten werden im ersten Studienjahr schnell zu einer Gruppe von Freunden, ziehen zusammen und gehen eine schlussendlich zerstörerische Verbindung ein. Die in sich verkapselt wirkende Malin, Ich-Erzählerin der Geschehnisse, benutzte die auffallend schöne Ruby, mit der nahezu jeder befreundet sein will, als eine Art Eintrittskarte in die Gruppe. Bald wohnt sie mit Ruby, Gemma, den Cousins Max und John sowie Khaled zusammen. Ruby verliebt sich in John, der sich ihr gegenüber grausam verhält. Als beide ein Paar sind, lässt John sich kurz sexuell mit Gemma ein, aber nur um sie zu misshandeln und zu demütigen. Die Britin Gemma ist eine Drama Queen, trinkt zuviel Alkohol und stürzt während der vielen Partys gelegentlich ab.

Malin konzentriert sich intensiv auf ihr Studium und schreibt nur Bestnoten, was ihr die Aufmerksamkeit des Dozenten und Doktoranden Hale einbringt. Sie versucht die Schwächen ihrer Freunde herauszufinden und liest heimlich Rubys Tagebuch. Sie bemerkt, dass John seinen Cousin drangsaliert, dass die einsame Gemma sich ins Vergessen säuft, wie sich Ruby John unterwirft, dass Khaled ständig auf der Suche nach Bestätigung ist und auffallend oft an einer Sexpuppe herumfingert. Khaled ist Sohn reicher Araber und stellt seinen Reichtum in Verbindung mit gespieltem Understatement gerne aus. Hingegen verbirgt Malin ihre düstere Vergangenheit, auf die sie sich lange Zeit nur in vagen Andeutungen bezieht, die sich allein an die Leserinnen richten. Alle in der Verbindung haben etwas zu verbergen und versuchen bisweilen krampfhaft, eine Fassade aufrecht zu erhalten, die als Fake-Persona ihr Ich maskiert. Am Senior Day, der mit einem alten College-Ritual und einer Abschlussfeier beendet wird, kommt eine Person aus der Verbindung zu Tode.

Brockman zerlegt die Handlung in drei Teile, 48 Kapitel und sechs zeitliche Segmente: dem ersten und dem letzten Studienjahr, dem Senior Day und der Abschlussfeier, einem kurzen Zwischentext und Rückblicken auf Malins Kindheit in Texas. Durch das ständige Umschalten Malins zwischen diesen Segmenten werden die Entwicklung und Vertiefung der Beziehungen sowie die dunklen und tragischen Ereignisse stückweise offengelegt und erklärt. Die Erinnerungen Malins an ihre Kindheit in Texas, an ihre Eltern und ihren eigenartigen älteren Bruder Lev, grundieren ihr Verhalten.

Gegenüber dem Originaltitel Tell Me Everything betont der deutsche Titel Die Verbindung den Aspekt des Campus-Romans. Dieses Subgenre ist in den USA und Großbritannien sehr beliebt und wurzelt in Nathaniel Hawthornes Fanshawe aus dem Jahr 1828, dessen Handlungsort das fiktionale Harley College ist. Cambria Brockman, die aus Texas stammt und in New England studiert hat, hat das College in Die Verbindung nach Hawthorne benannt. Der tiefere Zusammenhang zwischen Nathaniel Hawthorne, dem fiktiven und einem realen Hawthorne College in New England lässt sich bei Interesse leicht im World Wide Web recherchieren. Der Campus-Roman erlaubt es, Einblicke in den Universitätsbetrieb zu geben, weil die Handlung inhaltlich und räumlich überwiegend an einer Universität und in deren Umfeld spielt. Der Fokus liegt dabei grundsätzlich entweder auf dem akademischen und bürokratischen Personal einer Universität, wie in Philip Roths Der menschliche Makel (2003), oder auf den Studierenden, wofür Tom Wolfes Ich bin Charlotte Simmons (2004) ein herausragendes Beispiel ist.

Das Hawthorne College ist ein gleichsam geschlossener Raum, in dem eigene Spielregeln, Normen und Werte gelten. Strukturen und Abläufe sind vorgegeben. Auf dem Campus, der ein Teil der realen Welt und eine Kunstwelt zugleich ist, kommen Menschen aus der realen Welt zusammen und müssen sich in der Kunstwelt einen Platz suchen. Die Geschichten, die sich in diesem Umfeld erzählen lassen, sind vielfältig. Alles, was sich in diesem Mikrokosmos ereignet, spiegelt die Außenwelt, zwischen beiden gibt es eine enge Beziehung. Die Geschehnisse und deren Bewertung durch die Protagonisten sind Ausdruck der Herkunft aus der Außenwelt. Das College ist für die sechs Studierenden ein Versteck oder Fluchtpunkt vor der Außenwelt, vor den Problemen, die sie dort haben. Diese Probleme haben sie in das College mitgebracht und hoffen sie dort überwinden oder bewältigen zu können. Alle Charaktere täuschen einander und lügen über ihre Vergangenheit und ihre Gegenwart. Gruppenbildung, Identität, Macht, Arroganz bis hin zur Hinterhältigkeit und Boshaftigkeit bestimmen die soziale Ordnung im College wie auch der Verbindung.

Da das Leben auf dem Campus zyklischen Mustern folgt (Semester, Veranstaltungen, Prüfungen, wechselnde Studienjahrgänge…), gibt es viele Wiederholungen in der Erzählung, wenngleich mit gelegentlichen kleinen Veränderungen. Themen neben dem akademischen Leben sind am Hawthorne College Sexualität, Geschlechterfragen, Erwartungen an das Leben und die Zukunft. Klassenprobleme sind ein offensichtliches Thema an elitären Universitäten. Brockman thematisiert mit Blick auf Entwicklungen der letzten Jahre zwei Fälle tatsächlicher oder behaupteter körperlicher Übergriffe und sexueller Belästigung. Beide verarbeitet sie in geschickten parallelen Konstruktionen. Brockman springt zwischen Zeiten und Figuren hin und her, wie wir dies bereits aus einem anderen Campus-Roman der jüngsten Zeit kennen, R. O. Kwons Die Brandstifter (2019). Beide brauchen einige Zeit oder Seiten, um in die Gänge zu kommen und sind sprachlich wie stilistisch Minimalisten, die jedoch auf kraftvolle Weise den Wahnsinn, der diesen Mikrokosmos bestimmt, beschreiben.


Fazit

Die Verbindung erzählt in Gestalt einer Mischung aus Thriller und Mystery-Geschichte von einer Gruppe Studierender an einem Elite-College in New England, vom Alltagsleben am College, von Beziehungsängsten und -problemen, von der Persönlichkeitsentwicklung in einer sozialen Blase.


Pro und Kontra

+ guter Einblick in den Alltag an einem Elite-College
+ teils gute Charakterentwicklungen
+ überraschendes Ende

- braucht lange, um in die Gänge zu kommen
- viel Redundanz auf den ersten rund 200 Seiten

Wertung:sterne3.5

Handlung: 4/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 4/5