Ueberreuter (August 2019)
Hardcover mit Schutzumschlag
416 Seiten, 17,95 EUR
ISBN: 978-3-7641-7094-3
Genre: Science Fiction / Jugendbuch
Klappentext
Als die junge und schöne Elektra Hamilton bei einem Reitunfall ums Leben kommt, erhält Isabel ein unerwartetes Angebot. Sie, die Elektra wie aus dem Gesicht geschnitten ist, soll deren Platz einnehmen. Sie muss lediglich für immer verschweigen, wer sie wirklich ist. Ein Leben in Luxus winkt ihr – und die Verlobung mit dem attraktiven Phillip von Halmen.
Zunächst scheint keiner Verdacht zu schöpfen. Doch Elektra hatte eigene Geheimnisse und während diese sie langsam einholen, wächst in Isabel die Gewissheit, dass Elektras Tod kein Unfall war. Wer trachtete Elektra nach dem Leben? Und wird der Mörder erneut zuschlagen?
Isabel weiß nur, dass sie keinem trauen kann …
Rezension
Isabel wächst abgeschottet in einem Institut auf und wartet sehnsüchtig auf den Tag, an dem sie ihre Freiheit erhält und Teil der Gesellschaft wird. Bis dahin haben sie und ihre Mitschüler jeden Tag Angst, dass einer von ihnen zur Organentnahme geholt wird. Denn Isabel und die anderen im Institut sind Klone – Ersatzteillager für Reiche. Isabels Schwester wurde bereits eine Niere entnommen. Beide sind Klone von Elektra Hamilton, der Tochter des Institutsbesitzers und mächtigen Konzernbosses. Als sie ums Leben kommt, will die Familie ihren Tod vertuschen. Isabel soll Elektras Platz einnehmen und sich mit Philipp von Halmen verloben, damit die Hamiltons über dessen Vater Einfluss auf die Politik nehmen können. Elektra zu spielen ist jedoch nicht leicht, auch wenn Isabel ihr Klon ist, so hat sie einen ganz anderen Charakter. Außerdem stellt sich heraus, dass Elektra ermordet wurde und Isabel damit in Lebensgefahr schwebt …
“Becoming Elektra“ beginnt als Dystopie in einem Institut, in dem Menschen als Ersatzteillager leben. Die Entmenschlichung der Klone geht unter die Haut, da sie durchaus realistisch ist. Die Reichen sprechen sich von jedweder moralischen Verantwortung frei, indem sie die Klone zu ihrem Besitz, also „Ware“ erklären. Dass es sich bei ihnen ebenfalls um Menschen, mit Träumen und Ängsten, handelt, ist den Besitzern egal. Sie lernen ihre Klone niemals kennen, da diese von der Außenwelt isoliert aufwachsen und mit Glück als junge Erwachsene in die Freiheit entlassen werden. Viele von ihnen müssen dann mit Einschränkungen leben. Beispielsweise wurde einer von Isabels Mitschülerinnen die Augen entnommen, eine grausige Vorstellung. Zudem ist fraglich, wie sich diese in völliger Abschottung aufgewachsenen jungen Menschen in der Gesellschaft zurechtfinden können. In „Becoming Elektra“ geht es jedoch um etwas anderes.
Nach dem beklemmenden Einstieg sieht die Welt gar nicht mehr so dystopisch aus, denn die zukünftige Gesellschaft hat auch Fortschritte gemacht und beispielsweise das Verkehrsproblem mit umweltfreundlichen Magnetaxis gelöst. Die Geschichte spielt überwiegend auf dem riesigen Anwesen der Hamiltons im Grünen, wobei die Idylle trügt. Priamos Hamilton ist ein eiskalter Konzernboss, der Isabel dazu erpresst, seine Tochter zu spielen. Sabine Hamilton begegnet der falschen Tochter mit Kälte und Hass und Elektras Bruder Hektor scheint ein arroganter, aufgeblasener Idiot zu sein. Nach und nach erkennt Isabel jedoch, dass Hektor ebenfalls unter der Familie leidet und allmählich wird er für sie zur Stütze und hilft ihr, sich in ihrem neuen Luxusleben zurechtzufinden.
Insbesondere der Gedanke an ihre Schwester, die im Institut zurückblieb, hält Isabel aufrecht. Die vielen Lügen belasten die junge Frau, die zwar aussieht wie Elektra, aber durch ihr gänzlich anders verlaufenes Leben auch ein ganz anderer Mensch ist. Es fällt ihr schwer, mit dem Luxus zurechtzukommen. Immer wieder überkommt sie ein Gefühl der Ungerechtigkeit. Zudem reichen reine Informationen nicht aus, um einen Menschen wirklich kennenzulernen und ihn überzeugend zu spielen. Immer wieder fliegt Isabel beinahe auf, weil sie zum Beispiel Fleisch isst oder Laufen geht. Zudem hatte Elektra Geheimnisse vor ihren Eltern, die Isabel zum Verhängnis werden können.
“Becoming Elektra“ gestaltet sich ungemein spannend, da auf Isabel viele Stolpersteine warten. Es wird früh klar, dass Elektra nicht bei einem Unfall starb, sondern ermordet wurde und der Mörder es immer noch auf sie abgesehen hat. Ab der Mitte ahnt man zwar, wer hinter Elektras Tod steckt, doch Christian Handel gelingt es dennoch, seine Leser am Ende nochmals richtig zu überraschen. Auch die Entwicklung der freundschaftlichen Beziehung zwischen Isabel und Hektor liest sich spannend, ebenso wie das Kennenlernen von Philipp, der die echte Elektra nur flüchtig gekannt hat. Damit eröffnet sich Isabel die Chance, sich ihm so zu zeigen, wie sie wirklich ist. Auch wenn die Entwicklung der Liebesbeziehung abzusehen ist, ist es schön zu lesen, dass Isabel jemand zur Seite steht.
Schade ist, dass der Autor seine SF-Elemente nur oberflächlich einsetzt.„Becoming Elektra“ ist vor allem ein Jugendthriller, der in einer nahen Zukunft spielt. Der Fokus liegt auf den Charakteren und ihren Beziehungen, auf Intrigen und der konkreten Bedrohung von Isabels Leben. Das Luxussetting rundet die dramatische Handlung ab und dürfte den Geschmack der jungen Zielgruppe bestens treffen, trotz oder gerade wegen mancher Klischees (junge Frau in traumhaften Kleidern). Dennoch hätte man gerne mehr von den anderen Klonen im Institut gesehen und ihre persönlichen Schicksale verfolgt. Die Handlung ist am Ende abgeschlossen, lässt jedoch die Tür für eine Fortsetzung offen und beschert den Lesern nochmals einen gruseligen Schockmoment.
Fazit
”Becoming Elektra – Sie bestimmen, wer du bist“ ist ein beklemmender Near-Future-Thriller, hinter dessen luxuriösem Setting finstere Abgründe lauern. Der psychische Druck auf die Protagonistin ist enorm. Schmerzhaft muss sie lernen, dass sie niemandem trauen darf – und wird dennoch so manches Mal positiv überrascht. Die SF-Elemente sind leider nur oberflächlich angelegt, trotzdem liest sich „Becoming Elektra“ ungemein spannend und veranschaulicht eindrucksvoll, wie egoistisch und grausam Menschen sein können.
Pro und Contra
+ beklemmende Stimmung im Klon-Institut
+ Isabel ist eine starke Protagonistin
+ bietet diverse Spannungsmomente
+ Überraschungen in der zweiten Hälfte
+ flüssig und packend geschrieben
+ futuristischer Jugendthriller á la „Denver Clan“
+ schöne Gestaltung das Hardcovers
- SF-Elemente sind nur Hintergrund
- teils zu viele Jugendbuchklischees
Wertung:
Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4/5
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