Berlin Verlag, 2019
Originaltitel: The Handmaid’s Tale (2019)
Übersetzung von Ebi Naumann
Gebunden, 240 Seiten
€ 25,00 [D] | € 25,70 [A] | CHF 36,90
ISBN 978-3-8270-1405-4
Genre: Comic
Rezension
Der Report der Magd, ein dystopischer Roman von Margaret Atwood aus dem Jahr 1985, spielt in einer nicht weit entfernten Zukunft, in der eine Katastrophe zur Unfruchtbarkeit der meisten Frauen in den USA geführt hat. Infolge eines Umsturzes wurde die Republik Gilead etabliert, ein theokratisches, streng hierarchisches System unter männlicher Führung durch sogenannte Kommandanten. Bald darauf durften Frauen nicht mehr arbeiten und kein Geld mehr haben. Die Erzählerin, June Osborne, wurde aus ihrem Job in einer Bibliothek entlassen, ihr Bankkonto auf ihren Mann Luke übertragen. June und Luke versuchten mit ihrer Tochter nach Kanada zu fliehen, wurden aber gefangen. Die Erzählerin wurde von Mann und Kind getrennt und in ein Umerziehungslager gebracht, wo sie eine Ausbildung zur Magd durchlief.
Mägde sind fruchtbare Frauen, deren einziger Existenzgrund die Reproduktion ist. Ihren Nachwuchs bekommen sie grundsätzlich von dem Kommandanten, als dessen Magd sie durch ihren neuen Namen ausgewiesen sind – June wird die Magd des Fred. Folglich darf sie sich künftig nur noch Desfred nennen. Die Kinder der Mägde werden den unfruchtbaren Ehefrauen der Kommandanten übergeben. Unter den Kommandanten stehen in der Hierarchie Wächter, die die Polizeimacht bilden. Die neue Gesellschaftsordnung differenziert Frauen nicht allein in Mägde und kinderlose Ehefrauen von Kommandanten. Marthas arbeiten als Bedienstete in den Haushalten der Kommandanten oder in Unternehmen. Die Gesellschaft wird durch sogenannte Augen im Alltag ausspioniert. Wer sich nicht unterwirft, wird in die radioaktiv verseuchten Kolonien deportiert oder exekutiert.
Desfred hat heimlich ihre Geschichte auf Bänder gesprochen, die in einer fernen Zukunft gefunden und Element geschichtswissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem nicht mehr existenten Gilead sind. Die Erzählerin wechselt zwischen einer Darstellung der Gegenwart und Rückblicken in die Zeit vor der Wende, als sie, Tochter einer feministischen Aktivistin und alleinerziehenden Mutter, die Universität besuchte, eine Freundin namens Moira hatte und ein Verhältnis mit dem verheirateten Luke.
Nachdem der Roman für das Kino, die Oper und das Fernsehen adaptiert wurde, folgt nun eine Übertragung in das Format der Graphic Novel. Die Kanadierin Renée Nault zeichnet verantwortlich für die Bearbeitung des Romantextes und die Illustrationen. Die Story wird in 15 Kapiteln ohne Seitenangaben erzählt. Die Kapitelüberschriften sind einfach und bezeichnend. Sechs Kapitel sind mit Nacht überschrieben, die anderen Überschriften kommen alle nur einmal vor. Die Zeichnungen sehen sehr schön aus, nicht unbedingt wie etwas, das man in einer Dystopie erwarten würde. Offensichtlich ließ sich Nault ästhetisch auch von Modemagazinen inspirieren.
Grundlegend sind die Farben, die Gilead wie im Roman und in der Hulu-Serie The Handmaid’s Tale: Der Report der Magd definieren und damit bereits vorgegeben waren. Die voluminösen Kleider der Mägde leuchten in sattem Rot. Die blauen Kleider und die Schleier der Ehefrauen sehen altmodisch aus. In Grün werden die Marthas als Gruppe erfasst. Die Betrachterinnen dieser Bilder verstehen die Codierung intuitiv, auch ohne die Serie zu kennen. Die Szenen in Gilead sind allein in diesen Symbolfarben sowie Schwarz und Weiß gehalten. Die Erinnerungen an die Zeit davor nutzen ein erheblich breiteres Farbspektrum, die verwendeten Wasserfarben sind jedoch weniger gesättigt und wirken wärmer.
Die Verwendung der Farbe Rot bestimmt natürlich das Buch. Es enthält Panels und Bilder, deren Hintergrund schwarz-weiß gehalten ist, und das Rot sieht darin aus wie Blutstropfen. Als Desfred im Garten ist und über den Tod nachdenkt, darüber, dass sie nicht an der Mauer aufgehängt enden will, ist der Hintergrund dunkelrot, während die Tulpen die Form aufgehängter Mägde haben. Diese und andere Bilder spiegeln Naults eigenen Zugang zum Stoff. So sehen wir in der Bordellszene, in der Teile der Herrschaftselite sich illegal Vorstellungen von der "guten alten Zeit" hingeben: junge Frauen in Cheerleader-Uniformen oder im Outfit eines Playboy-Bunnys, etwas, das es im Roman nicht gibt. Atwood inszeniert das verseuchte Exil nahezu als Nicht-Ort. Dies funktioniert in einer Graphic Novel natürlich nicht, weshalb Nault sich ein paar erschreckende Bilder einfallen ließ.
Da die Figuren uniformiert sind, hätte es vielleicht nahegelegen, durch eine stärkere Ausdifferenzierung der Gesichter die Unterscheidbarkeit zu erhöhen, die nicht immer gewährleistet ist. Nault beschreitet hier einen anderen Weg. Der Ausdruck der Figuren ist bei allem Schrecken subtil. In vielen Szenen sind die Mägde (auch) im Gesichtsausdruck nahezu uniform. Sogar die Hauptfigur Desfred ist, abgesehen von ihren braunen Augen und Haaren, innerhalb einer größeren Gruppe oftmals gar nicht auszumachen. Ist Desfred mit einer anderen Magd unterwegs, verschwinden die Unterschiede bisweilen auch. Hier unterscheidet sich die Graphic Novel von der Hulu-Serie, in der die Figuren durch die Gesichter der Schauspielerinnen immer eindeutig bestimmt sind.
Zu klären wäre auch die Frage, warum die Mägde schön sind, während die Ehefrauen und Tante Lydia, die in der Umerziehungseinrichtung für die Mägde arbeitet und nahezu ausschließlich in Desfreds Erinnerungen sichtbar ist, eher unattraktiv daherkommen. Als würden äußere, sichtbare Merkmale den Charakter eines Menschen spiegeln. Nicht unproblematisch. Luke und Nick, der Chauffeur Freds, sehen ebenfalls gut aus. Kommandant Fred hingegen sieht viel älter aus als in der Hulu-Serie.
Die in rote Kleidung und weiße Hauben gewandeten Mägde sind heute ein Symbol kulturellen Widerstands gegen die sexuelle und reproduktive Ausbeutung der Frau. Verantwortlich dafür ist nicht der Roman, sondern die Hulu-Serie, die dem Zeitgeist korrespondierend in Verbindung mit #MeToo, dem repressiven neuen Abtreibungsrecht in Alabama und Georgia, Staaten des Bibelgürtels, und natürlich der Trump-Regierung in den USA rezipiert wird. Die religiösen Zeremonien und Litaneien, die das Leben der Mägde bestimmen, die ritualisierten Vergewaltigungen durch die Kommandanten, während die Mägde mit dem Kopf im Schoß der Ehefrauen gehalten werden, diese Bilder haben sich eingeprägt. Für Kinder ist diese Graphic Novel aufgrund verstörender Inhalte, wie grafische Vergewaltigungsszenen, keine geeignete Lektüre.
Fazit
Renée Naults Graphic Novel Der Report der Magd illustriert nicht einfach nur einen Roman, dessen Geschichte bildästhetisch ohnehin durch die weltweit erfolgreiche Hulu-Serie definiert ist. Sie ist dem Inhalt getreu gefolgt und hat ihn grafisch einfallsreich und ansprechend visualisiert.
Pro und Kontra
+ gelungene Romanadaption
+ weniger explizit als die TV-Serie
Wertung:
Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5