Droemer Knaur (Oktober 2019)
Klappenbroschur, 400 Seiten, 14,99 EUR
ISBN: 978-3-426-52391-9
Genre: postapokalyptische Utopie / Hopepunk
Klappentext
Eine Frau mit einem Motorrad - Ein Mann mit einem Baby - Eine Gang mit einem Schaufelradbagger - eine Dystopie mit packendem Endzeit-Setting:
Die alten Regeln gelten nicht mehr, seit drei Kriege und das Wasteland-Virus die Menschheit beinahe ausgelöscht haben. Marodierende Banden beherrschen das Land, und auf dem freien Markt sind Waren nur im Tausch gegen Gefallen zu haben.
Um an Medikamente zu kommen, lässt sich die herumreisende Laylay auf ein Geschäft ein: Weil sie als Einzige immun gegen das Virus ist, soll sie den Marktbewohner Zeeto in der Todeszone aufspüren. Als sie ihn findet, ist er bereits infiziert. Zudem hat er etwas in einer geheimen Bunker-Anlage gefunden: ein Baby. Und obwohl das Virus Laylay nichts anhaben kann, beginnt sie sich zu verändern …
Rezension
Nach drei Kriegen liegt Europa in Trümmern. Ehemals dicht besiedelte Gebiete sind nun sogenannte Wastelands, Todeszonen, in denen kein Mensch überleben kann. Außer Laylay. Ihr scheint das Gift, das die Wastelandkrankheit verursacht, nichts anzuhaben. Gemeinsam mit ihrem Vater ist sie ständig auf Reisen, damit niemand herausfindet, dass sie unbeschadet das Ödland betreten kann. Ihr würde sonst ein Leben als Sklave einer der marodierenden Gangs drohen, die ihre Territorien mit aufgemotzten Bikes und Trucks verteidigen und dabei über Leichen gehen. Als jedoch der Marktbewohner Zeeto im Wasteland verschwindet, macht sich Laylay auf die Suche nach ihm. Er hat in der Nähe einer Bunkeranlage ein Baby gefunden. Während Zeeto längst infiziert ist, geht es dem Baby erstaunlicherweise gut …
Mit „Wasteland“ widmen sich Judith C. Vogt und Christian Vogt erstmals der Postapokalypse, wobei sie ihren Roman auch als „Mad-Max-Utopie“ bezeichnen. Das trifft es auch ziemlich gut, denn die Gangs, die die Überlebenden tyrannisieren, erinnern stark an die überdrehten und bedrohlichen Gangs aus „Mad Max“. Allerdings treiben sie nicht in der Wüste ihr Unwesen, sondern in den trostlosen Gebieten zwischen den Wastelands, wo Menschen leben können, ohne krank zu werden. Gleichzeitig hat der Roman auch utopische Züge, denn nicht alle Menschen organisieren sich in toxischen Gangs und machen sich gegenseitig nieder. Manche, wie die Bewohner des Handgebundenmarkts, halten an ihren Werten fest und leben in einer Gemeinschaft, in der sich jeder gegenseitig respektiert und unterstützt.
Wie bereits bei früheren Werken liegt die Stärke von „Wasteland“ insbesondere in den facettenreichen Charakteren. Laylay und Zeeto sind einzigartige Persönlichkeiten, mit vielen Stärken und Schwächen, die die Handlung maßgeblich beeinflussen. Laylay ist eine selbstbewusste junge Frau, die das stete Umherreisen sehr geprägt hat. Sie hat gelernt, sich anzupassen und Probleme mit Worten zu lösen, auch wenn das im Angesicht der Gangs, die sie wüst beschimpfen und ihr sexuelle Gewalt androhen, manchmal verdammt schwer ist. Zusammen mit ihrem Vater gelingt es ihr, selbst aussichtslose Situationen zu meistern, wobei das Vertrauen zwischen den beiden im Verlauf des Romans bröckelt. Laylay leidet darunter, dass ihr Vater Geheimnisse vor ihr hat (beispielsweise schweigt er sich über den Grund, warum sie ständig Medikamente nehmen muss, aus). Zudem will sie ihre Zukunft aktiv gestalten, während sich ihr Vater viel zu sehr an die immerwährende Flucht gewöhnt hat.
Zeeto ist mit seiner bipolaren Neurodivergenz ein ungewöhnlicher Charakter in einem phantastischen Roman. Bei ihm wechseln sich depressive und manische Phasen ab, in unterschiedlichen Längen und Stärken. Er ist eines von vielen Enkelkindern von Oma Riika, quasi das Oberhaupt des Handgebundenmarkts, wobei die Gemeinschaft nicht hierarchisch organisiert ist. Riika genießt jedoch aufgrund ihrer Lebenserfahrung den Respekt aller und ist insbesondere für Zeeto eine wichtige Stütze. Sie weiß genau, was er durchmacht und gibt ihm in seinen verschiedenen Phasen den Freiraum, den er braucht. Wobei sie nicht tatenlos zusieht, wenn er sich während seiner Depression zurückzieht und versucht von allen abzuschotten. Trotz heftiger Stimmungsumschwünge kommt Zeeto relativ gut zurecht, was vor allem an der Akzeptanz seiner Mitmenschen liegt. So manches Mal rettet ihm seine Todesverachtung oder der Mut der Manie sogar das Leben.
Zwischen Laylay und Zeeto entspinnt sich eine Liebesgeschichte, die beide vor Herausforderungen stellt. In Extremsituationen kommen sie sich schnell nah, gehen aber immer wieder auf Distanz. Positiv fällt dabei auf, wie offen die beiden über ihre Gefühle reden, ihre Zuneigung bekunden, ohne in dramatische Liebesschwüre auszubrechen. Sie sprechen über ihre Sorgen und Ängste und vergessen sie, sobald ihre Gehirne ein Hormonfeuerwerk zünden. Auch die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Markbewohnern sind von großem Respekt geprägt. Hier leben viele verschiedene Nationalitäten zusammen, Männer, Frauen und Enbys, und alle ziehen an einem Strang. Sie sind die Hoffnung inmitten des zerstörten Europas, sie sind „Hoper“. Im Gegensatz dazu sind Gangs wie die Brokes „Toxxer“, die nach Macht und Gewalt (und Drogen) lechzen. Sie verklären die technischen Errungenschaften der Vergangenheit und basteln sich daraus einen abstrusen Glauben, den ihr WiFi-Schamane ihnen im Futur II erklärt. Flammenwerfer und krasse Soundkulisse während ihrer Raubzüge inklusive.
“Wasteland“ wird überwiegend aus Sicht von LayLay im Präteritum und Zeeto im Präsens erzählt. Dadurch lassen sich beide Erzählstimmen gut unterscheiden, wobei sie sich manchmal doch zu ähnlich sind, dafür, dass beide Charaktere ganz unterschiedliche Biographien haben. Ein paar Kapitel werden aus Sicht des Schamanen der Brokes erzählt und lesen sich herrlich wahnsinnig. Zum Ende nimmt der Roman eine unerwartete Wendung, die nicht so ganz zum Mad-Max-Postapokalypse-Utopie-Setting passt. Es wird ein wenig zu phantastisch und das Erzähltempo zieht so stark an, dass man sich als Leser am Ende regelrecht überrollt fühlt (wie von einem gigantischen Schaufelradbagger). Zudem bleibt die Erklärung, warum Laylay ein bestimmtes Medikament nimmt, dürftig, insbesondere aufgrund des Kontexts, in dem uns das Medikament bekannt ist. Positiv fällt dagegen die gendergerechte Sprache auf, die sich natürlich in den Erzählfluss fügt und nur selten bewusst auffällt.
Fazit
Die Postapokalypse in „Wasteland“ steckt voller Hoffnung, auch wenn die Protagonisten mit durchgeknallten, toxischen Gangs und ihren inneren Dämonen konfrontiert werden. Die Geschichte von Laylay und Zeeto überzeugt mit einem hohen Erzähltempo, wahnsinnig sympathischen Nebencharakteren, dem irrsinnigen Unterhaltswert der Brokes-Gang und leisen Momenten, die ans Herz gehen – oder wie es ein WiFi-Schamane ausdrücken würde: Ihr werdet „Wasteland“ verschlungen und geliebt haben!
Pro und Contra
+ Laylay und Zeeto sind einzigartige Persönlichkeiten
+ Postapokalypse mit Menschlichkeit und Hoffnung
+ positiver Gesellschaftsentwurf der Marktbewohner
+ Gangs á la „Mad Max“ mit enormem Unterhaltungswert
+ stimmungsvoll und temporeich geschrieben
+ detailreiches Worldbuildung inklusive Kopfkino
+ gendergerechte Sprache
- im letzten Drittel etwas überfrachtet
Wertung:
Handlung: 4/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5
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