Während das Science-Fiction-Panel „Think Ursula“ 2018 auf dem Gelände der Messe stattfand, musste man ein wenig laufen, um den Veranstaltungsort der Nachfolgeveranstaltung „Dream Ursula“ zu erreichen: Ein Hotel in der Nähe des Hauptbahnhofs. Es fanden vor allem andere Phantastik-Autor*innen den Weg dorthin, um den Panelist*innen James Sullivan, Alessandra Reß, Christoph Hardebusch, Regine Bott, Kai Hirdt und Natalja Schmidt zu lauschen. Moderiert wurde von Diana Menschig. Die Veranstaltung begann mit einer Keynote von Theo Downes-Le Guin. Der Sohn Ursula K. le Guins leitete den Vortrag mit einem Bild ein: Einer verspielten Skizze seiner Mutter, die „Balloon Cats on a Quiet Day“ zeigte. Liebevoll zeichnete er das Bild einer klugen, humorvollen Frau und gab einen Einblick in ihren Arbeitsplatz oder in ihre letzte gemeinsame Reise. Im Weltenschöpferinnen-Phantast gibt es übrigens einen langen Artikel über sie.
Die Veranstalter*innen hatten sich die Kritik an „Think Ursula“, wo die Redezeit sehr ungleich verteilt war, offenbar zu Herzen genommen, denn diesmal hatte jede*r Teilnehmer*in die Gelegenheit, exakt vier Minuten lang auf zwei Fragen zu antworten, die sie sich zuvor aus einem Katalog ausgesucht hatten. So sehr sich die Moderatorin auch bemühte, die Fragen und Antworten miteinander in Verbindung zu bringen, ergab sich dadurch doch eher der Eindruck, zahlreichen Mini-Vorträgen zu lauschen – die allerdings alle in sich sehr spannend waren.
Es ging um Science Fiction als Inspiration für Wissenschaft und Gesellschaft, utopische Gesellschaftsentwürfe, um die Zukunft der Arbeit, um Menschenrechte, künstliche Intelligenz und zeitgemäße Held*innen. Nahezu jedes der angesprochenen Themen hätte der Gegenstand eines eigenen Panels sein können. James Sullivan erklärte, dass Science Fiction nicht die Zukunft vorhersage (er stimmte Le Guin darin zu, dass „Science Fiction lügt“). Allerdings beeinflusse sie aktiv die Zukunft. Nach den wichtigsten Regeln für das zukünftige Zusammenleben gefragt, plädierte er leidenschaftlich dafür, antidemokratischen Kräften entschieden entgegenzutreten und Menschenrechte als nicht verhandelbar anzusehen.
Alessandra Reß verwies auf die von Schuld und Selbstzweifeln geplagte Protagonistin von Jay Kristoffs „Nevernight“ und fragte, ob selbstkritische Antiheld*innen im Vergleich zu Hauptfiguren, die im Glauben an ihre eigene moralische Überlegenheit zahlreiche „Bauernopfer“ akzeptierten, nicht in mancher Hinsicht besser dastünden. Natalja Schmidt zitierte als Reaktion auf die gleiche Frage die Helden-Definition aus Zedlers Universallexikon (18. Jahrhundert), um deutlich zu machen, wie sehr sich der Inhalt des Begriffs gewandelt habe – alle waren sich einig, dass ein*e Held*in nicht länger ein außergewöhnlich starkes „Mannsbild“ sein müsse. Stattdessen hob sie Aufopferungsbereitschaft und Mitgefühl als heroische Eigenschaften hervor. Auf die Frage, ob KIs Menschenrechte haben sollten und respektieren würden, kam von Regine Bott die trockene Antwort, dass man deren Einhaltung erstmal für Menschen garantieren müsse.
Christoph Hardebusch verlieh auf die Frage nach dem Stellenwert von Arbeit in der Zukunft hin seinem Wunsch Ausdruck, dass deren Wert nicht länger nach der Höhe des Gehalts bemessen werde. Ich musste in diesem Zusammenhang an die beiden Bücher Bullshit Jobs und Utopien für Realisten denken.
Immer wieder kehrte das Gespräch zur gesellschaftlichen Realität zurück – soviel zum Thema Science Fiction als von der Realität entkoppelter Eskapismus. Ebenfalls wurde – sehr passend zum Thema – immer wieder auf das Werk Le Guins verwiesen, insbesondere auf The Dispossessed und The Left Hand of Darkness. Anschließend las Jenny-Mai Nuyen aus ihrem Fantasyroman Die Töchter von Ilian und wurde anschließend von Autorin und Lektorin Jennifer Jäger zu ihren Inspirationsquellen interviewt, darunter die Geschichte der Kupferzeit und Fragen rund um Geschlecht und Macht. Es war eine schöne Lesung und ein spannendes Interview, und da es bei letzterem auch um gesellschaftliche Kontexte ging, schlug es einen Bogen zurück zum Panel, auch wenn eine Fantasy-Lesung nach einem Science-Fiction-Panel ein wenig überraschte.
Doch so spannend die einzelnen Beiträge auch waren, ergab sich dadurch, dass die Interviewten und Panelist*innen nicht unmittelbar aufeinander reagieren konnten, kein stimmiges Ganzes. Die Bezüge aufeinander wirkten gezwungen und die gesamte Veranstaltung blieb die Summe ihrer Teile. Eventuell würde sich für eine Folgeveranstaltung ein kleineres, weniger starr moderiertes Panel mit einem klaren Schwerpunkt und mehr Austausch anbieten.
Am nächsten Tag verzichtete ich darauf, die Messe zu besuchen. Isa Theobald, Autorin und Lektorin bei Edition Roter Drache, deren Buch Tintenphönix vor kurzem erschienen ist, war so nett, mich zum BuCon nach Dreieich zu fahren. Dort hatten zahlreiche kleine Verlage ihre Stände aufgebaut, und neben den bekanntesten Gesichtern der deutschen Phantastik waren auch viele Autor*innen unterwegs, deren Bücher (noch) eher Geheimtipps sind, wie z.B. Elea Brandt. Im aktuellen Phantast gibt es übrigens ein Interview mit ihr und eine Rezension zu „Sand und Wind“, ihrem Wüsten-Fantasy-Roman, dessen Fortsetzung „Sand und Klinge“ dieses Jahr erschienen ist. Ich lernte endlich Erin Lenaris, mit der ich schon lange online Kontakt gehabt hatte, persönlich kennen. Sie und Veronika Carver lasen im Cosplay und mit ihren Maskottchen (Drache und Chamäleon) auf dem Tisch aus den neuesten Titeln aus der Ring-Chroniken- und der Wyvern-Serie. Wer mehr über Erins Welt ohne Regen erfahren möchte, findet ihren Werkstattbericht ebenfalls im Phantast.
Meine eigene Lesung lief ebenfalls sehr gut – ich teaserte schon mal Band drei der Drúdir-Trilogie an, und erzählte dem Publikum bedauernd, dass ich zwar dazu gekommen war, schaurige Tiefseedrachen einzubauen, aber nicht die ciarvanische Kugelrobbe. Anschließend schlich ich mich in die Lesung von Judith und Christian Vogt und James Sullivan, die mit verteilten Rollen als Die Stadt der Symbionten und Wasteland lasen, und hatte sehr viel Spaß dabei, ihnen zuzuhören. Ich unterhielt mich mit vielen verschiedenen Leuten und lernte z.B. Henning Mützlitz kennen, der neben Fantasy auch historische Romane schreibt. Schließlich nahm mich Kai Meyer zurück nach Frankfurt und wir unterhielten uns noch ein wenig über Lesungen und die Herausforderung, dafür Stellen in Büchern zu finden, die kein Vorwissen erfordern und nicht spoilern.
Anders als die vorhergegangenen Tage, an denen die Messe nur Fachbesucher*innen und am Freitag zusätzlich noch Schulklassen offenstand, waren Samstag und Sonntag Verkaufstage, an denen alle Interessierten Zugang zur Messe hatten. Gerade in den Hallen, in denen Belletristik verkauft wurde, drängten sich die Besuchenden. Wo bekannte Autor*innen signierten bildeten sich bemerkenswerte Schlangen und in so einigen Gängen konnte man sich nur im Schneckentempo bewegen. Viele der Autor*innen und Verkäufer*innen waren ähnlich müde und reizüberflutet wie ich, taten aber erfolgreich ihr Bestes, um gute Stimmung zu verbreiten. Ich traf Nora Bendzko, die zwischen Gesprächen mit anderen Autor*innen und Arbeit an ihrem aktuellen Romanprojekt wechselte, und sprach noch einmal mit den Leuten vom PAN e.V., deren große Buchverlosung eine Menge Leute anzog und mein „Hilfe, mein Koffer ist zu klein“-Gefühl verstärkte.
Darüber hinaus hörte ich mir noch zwei Bühnenveranstaltungen an. Die erste war ein Panel, auf dem Bernhard Hennen, Carsten Steenbergen und Diana Menschig über die Zusammenarbeit von Autor*innen und Lektor*innen sprachen. Da ging es um die Fähigkeit von Lektor*innen, Autor*innen zu motivieren, das volle Potenzial ihrer Ideen auszuschöpfen, aber auch die Gefahr, an eine Person zu geraten, die einen Text nach ihren eigenen Ideen umgestalten will. Die drei sprachen über Lieblingsformulierungen, die dann dutzende Male im Text auftauchen, über das gute Gefühl, wenn ein*e strenge*r Lektor*in mal einen Smiley dalässt, und die Erschöpfung und die kleinen Knackse im Ego nach mehreren Stunden Korrekturen bearbeiten.
Die zweite Veranstaltung, der ich lauschte, wurde vom Layman e.V. ausgerichtet, einem Cosplay-Verein, der Geld für wohltätige Zwecke sammelt. Die auf langjährige Erfahrung zurückblickende Cosplayerin Nero erklärte, wie man am Besten für Kameras posiert. Sie hatte solide Ratschläge parat (Finger auffächern, Körperspannung, sich je nach Winkel ein wenig vorlehnen, damit der Kopf nicht zu klein wirkt, …) und zwei Cosplayer*innen demonstrierten, was sie sagte. Das Ganze war recht locker und witzig angelegt, allerdings wären ein paar der Bemerkungen, die zwischen den Präsentierenden hin und her flogen, wenn überhaupt in einem privaten Setting besser aufgehoben gewesen (z.B. Witze über den Bauchumfang des die Veranstaltung moderierenden Vereinsvorsitzenden). Schade war auch die Notwendigkeit einer Warnung, dass man mit fremden Fotografen nie allein sein sollte.
Hannes Riffel von Fischer Tor nahm sich die Zeit, mir zu zeigen, dass die große kommentierte Dracula-Ausgabe, die vor kurzem herauskam, anders als das englischsprachige Original auf ihrem Cover verschiedene Texturen mischt und teilweise farbige Illustrationen hat. Nach Buchtipps gefragt ermunterte er mich, in Electric State zu blättern, einer melancholischen, postapokalyptischen Geschichte, die durch atmosphärische Texte und vor allem Bilder erzählt wird. Wir beide bedauerten, dass die Übersetzung von Mark Lawrence’ Buch des Ahnen-Trilogie bisher nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit findet, wie sie verdient (ein Schicksal, das sie mit so tollen Reihen wie Robert Jackson Bennets Die göttlichen Städte und N.K. Jemisins Zerissene Erde (Rezension im Weltenschöpferinnen-Phantast) und den Folgebänden teilt, die im englischsprachigen Raum von der Kritik gefeiert wurden und durchaus populär sind, aber hier nicht annähernd so beliebt zu sein scheinen).
Schließlich machte ich mich mit schmerzenden Füßen auf den Weg zurück zu meiner Unterkunft und grübelte darüber, wie ich einen großen Beutel voller Info-Material und neun Bücher wieder nach Berlin transportieren sollte.
- Swantje