Festa, 2019
Originaltitel: The Carrow Haunt (2018)
Übersetzung aus dem australischen Englisch von Manfred Sanders
Broschiert, 410 Seiten
€ 14,99 [D] | € 15,50 [A] | CHF 23,90
ISBN 978-3-86552-776-9
Genre: Horror, Mystery
Rezension
Es gibt zwei grundlegende Narrative über das verwunschene Haus. Im älteren Narrativ existiert das Übernatürliche im alten Gemäuer, im jüngeren dringt eine Kraft von außerhalb ein und macht es so zum Alptraumhaus. Wesentlich für diese Erzählungen ist die Interaktion zwischen den bösen oder zerstörerischen Kräften und den Menschen, die ihnen ausgesetzt sind. Wie zeigt sich das Böse den Menschen, wie reagieren diese darauf? Die Beantwortung dieser Fragen geht einher mit dem Bemühen, die Natur der destruktiven Kraft zu ergründen.
Darcy Coates ist Autorin einer Reihe von Romanen über verwunschene Häuser. Der Fluch von Carrow House folgt dem älteren Narrativ. Eine Möglichkeit zur Aufteilung des Handlungsgerüsts besteht darin, den Roman als Dreiakter zu sehen. Im ersten Akt lernen wir Remy Allier kennen, die acht Besucher durch das Carrow House führt. Wir erfahren etwas über sie und das berüchtigte verwunschene Gebäude, dessen Geschichte sie während der Führung erzählt. Ein Mann namens Edgar Porter war der Mörder des ursprünglichen Besitzers John Carrow. Edgar eröffnete das Haus neu als Hotel und ermordete in den folgenden acht Jahren wenigstens 29 Menschen. Einer der Besucher, Mark Sulligent, bittet Remy am Ende der Führung, bei einem zweiwöchigen Studienaufenthalt in Carrow House dabei zu sein. In den Tagen darauf werden die Formalitäten geklärt.
Der zweite Akt beginnt mit der Ankunft der Gäste. Außer Remy und Mark sind dies: Piers, ein Pensionär, dessen Hobby Geister und verwunschene Häuser sind; das Medium Marjorie McAllister mit ihrem Assistenten Bernard; April Mahon, Teenager und Besitzerin des Hauses, nebst ihrer Nanny Lucille Price; Taj Sadana, technologisch orientierter Geisterjäger mit YouTube-Kanal. Nachdem die acht Personen sich mehr oder weniger eingerichtet haben, erkunden sie Carrow House, das eine ausgeprägt blutige Vergangenheit hat. Daraus ergibt sich die Begründung, warum niemand darin wohnen will. Nicht einmal Renovierungsarbeiten durch die häufig wechselnden Besitzer ließen sich erfolgreich zu Ende führen.
Die Hauptfigur Remy ist sympathisch und kümmert sich um die Besucher. Dass sie noch viel mehr über Carrow House weiß, als sie während der Führung erzählt hat, wird der Gruppe während des Aufenthaltes noch von Nutzen sein. Medium und Schlafwandlerin Marjorie ist ziemlich aufgeblasen und argwöhnisch. Sie gerät unter Verdacht, als die Gruppe Probleme bekommt. Ihr ständig mürrischer Assistent Bernard ist gerne allein. April, 17-jährige Tochter steinreicher Eltern, scheint vor nichts Angst zu haben. Die 32-jährige Lucille, von Aprils Eltern als Kindermädchen mitgeschickt, ist eine Vertreterin der ängstlichen und weinerlichen Fraktion, beschwert sich über allerlei. Sie fällt durch Überheblichkeit auf, wodurch sie kompensieren will, dass ihr auf der Suche nach einem wohlhabenden und ihren Vorstellungen angemessenem Ehemann langsam die Zeit ausgeht. Ihr letzter Kandidat schien die jüngere Lucille zu umgarnen, hatte es jedoch auf April abgesehen, was zum Zerwürfnis der ehemals besten Freundinnen geführt hat.
Mark hat einen Grund, an der Veranstaltung teilzunehmen, der nichts mit Sensation zu tun hat, äußert sich hierzu jedoch nicht. Er hält sich auffallend oft in Remys nächster Nähe auf. Coates‘ Figuren sind in etwa die, die man im Zusammenhang einer Geistergeschichte erwarten würde. Während des Aufenthalts lernen wir die Personen besser kennen, durch ihre Interaktion zeigen sich verschiedene Seiten ihrer Persönlichkeit, was zu Spannungen führt. Taj und Marjorie vertreten zwei Ansätze des Umgangs mit übernatürlichen Phänomenen. Taj arbeitet geräteorientiert, möchte Bewegungsmuster und elektrische Felder messen. Marjorie nutzt ihre zweifelsfrei vorhandenen spirituellen Fähigkeiten und kann Kontakt zu den körperlosen Bewohnern von Carrow House aufnehmen.
Es geschehen seltsame Dinge im Haus, eine Seance endet mit unerwünschtem Ergebnis. Die Gäste geraten in Gefahr, unklar ist lange Zeit, ob durch Geister oder einen von ihnen. Das Haus verlassen können sie nicht, weil eine sehr stürmische und regenreiche Wetterlage dies unmöglich macht. Der einzige Fluchtweg führt über eine kleine Brücke, über die ständig das Meerwasser rauscht. In den ersten Tagen erfahren wir und die Gäste viel über verschiedene Formen von Geistererscheinungen, bis hin zu den Möglichkeiten gefährlicher Poltergeister. Es wird deutlich, wie abhängig die Möglichkeiten der Geister vom Energieniveau sind. Es gibt schwache Geister, die nur ihre eigene geringe Energie nutzen können, starke Geister mit höherem Energieniveau, bis hin zu solchen, die auch Umgebungsenergie aus Stromquellen und anderen Geistern aufnehmen.
Nach dem physischen Tod bleibt ein Geist mitunter noch in unserer Welt, besonders, wenn es noch etwas zu klären gibt, wie den unausgeglichenen Passivposten der eigenen Ermordung. Der wichtigste Antagonist in Carrow House ist eine Figur des Grauens und setzt als Geist sein Lebenswerk fort. Dieses Lebenswerk fand seinen Beginn in einem Horrorkult und spezifischen Vorstellungen von Unsterblichkeit. Den abschließenden dritten Akt bildet der Epilog, der ein Jahr nach den gruseligen Ereignissen spielt, die Überlebenden versammelt und mit einer Überraschung aufwartet.
Darcy Coates arbeitet mit Mitteln, die unsere Imagination unter die Oberfläche der Erzählung locken. Sie lässt niemanden aus dem Schatten kommen, den wir zuvor dort vermutet haben. Bei ihr deutet sich das Übernatürliche in einem Flecken an der Wand an, in einem oberflächlich anmutenden Riss im Spiegel, aber auch an einem Schatten, der die Teilnehmer an einer Seance umschleicht. Sie schafft eine feine Balance zwischen dem psychologischen, dem physikalischen und dem spirituellen Zugang. Dies an der Oberfläche, indem sie zwei Figuren gegeneinandersetzt, das Medium und den mit Messgeräten arbeitenden YouTuber. Vor allem jedoch macht sie dies unter der Oberfläche, indem sie zwischen den verschiedenen Zugängen Unschärfen erzeugt.
Ergänzend arbeitet sie mit widersprüchlichen Figuren, die sich teils in ihren Möglichkeiten falsch einschätzen, Sprünge im Verhalten zeigen, oder schlicht lügen. Den Rest bewirkt sie durch Atmosphäre. Es gelingt ihr sehr gut, die Leserinnen über 400 Seiten im Buch zu halten, wo die Literaturgeschichte zeigt, dass die kürzere Distanz das Mittel der Wahl für Geistergeschichten ist. Was weniger gut ist, wenngleich es manchen Leserinnen gefallen dürfte, ist die Auflösung am Ende, die für alles eine Erklärung liefert. Bis dahin ist der Roman eine sehr unterhaltsame Verbindung aus klassischen Geistergeschichten und Agatha Christies Und dann gab’s keines mehr (früher: Zehn kleine Negerlein).
Fazit
Darcy Coates erzählt in Der Fluch von Carrow House eine Geistergeschichte, die in einem verwunschenen Haus realistische Charaktere versammelt und sie einer Bedrohung aussetzt, die es zu meistern gilt. Dies geschieht wie in einer klassischen Detektivgeschichte.
Pro und Kontra
+ verbindet das Übernatürliche geschickt mit dem Motiv des Serienkillers und des Kultes
+ interessante Konstruktion einer geisterhaften Mikrowelt
+ atmosphärische Geschichte
+ unprätentiös erzählt
- der Epilog
Wertung:
Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5