Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2020
Übersetzung von Bettina Abarbanell
Mit einem Interview von Wieland Freund
Pappeinband, 60 Seiten
€ 8,00 [D] | € 8,30 [A] | CHF 13,90
ISBN 978-3-499-00440-7
Genre: Sachbuch
Rezension
Im Jahr 1972 wurde eine Studie des Club of Rome zum Zusammenhang von Ökonomie und Ökologie veröffentlicht, Die Grenzen des Wachstums, in der dargelegt wird, wie lokales Handeln globale Auswirkungen erzeugt. Es ist vielleicht das Gründungsdokument der deutschen Umweltbewegung. Seitdem sind die Dauerprobleme bekannt. Es gibt Konstrukte wie die lokale Agenda 21 und viele internationale Großveranstaltungen zur Rettung der Welt, außerdem wissenschaftliche Arbeiten des IPCC und anderer Institutionen, politische Willensbekundungen und multilaterale Verträge.
Gleichwohl trifft man heute noch immer auf Menschen, die die Erderwärmung, den Klimawandel als Lüge oder Irrtum abtun. Sie könnten natürlich aus Gründen den quantitativen anthropogenen Anteil zur Diskussion und infrage stellen. Nicht jedoch, dass der Mensch seinen Anteil hat, noch weniger, dass der Klimawandel eine messbare Tatsache ist. Auch kann man diskutieren, wie die besten Reaktionen auf das Klimaproblem aussehen könnten, wobei sich die diskursive Komplexität beachtlich steigern ließe.
Der Schriftsteller Jonathan Franzen beschäftigt sich in Essays seit Jahren immer wieder mal mit Fragen des Natur- und Klimaschutzes, nicht zuletzt, weil er Vogelliebhaber ist. Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? ist der deutsche Titel eines Essays, den Franzen im Jahr 2019 als What if We Stopped Pretending? in der Zeitschrift The New Yorker veröffentlicht hat. Der Essaytitel ist zugleich der Titel des schmalen Bändchens, das kürzlich im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen ist. Ihm vorangestellt ist ein Vorwort Franzens speziell für diesen Band. Der dritte Text, Das Spiel ist aus. Der Petro-Konsumismus hat gewonnen ist ein Interview, am 26. Juli 2019 erstveröffentlicht in der Literarischen Welt.
Franzens Schrift gehört zu einer Gruppe von Beiträgen über die Klimaproblematik, die nicht von Wissenschaftlern und Journalisten stammen und zu einer Verbreiterung des Diskurses über Gesellschaft, Umwelt- und Klimaschutz beitragen können. Weltweit Aufsehen erregte Papst Franziskus, der in seiner zweiten Enzyklika, Laudato si‘ (2015), den Schwerpunkt auf Umwelt und Klima legt und die suizidale Lebensweise der Menschheit kritisiert. Dabei stellt er einen engen Zusammenhang her zwischen dem politischen Sektor, der sich durch die Finanzwirtschaft bestimmen lässt sowie dem Umwelt- und Klimaschutz.
Betrachten wir die Klimaproblematik als ein Vergehen gegen die Welt, können wir festhalten, dass nach jahrzehntelangen Ermittlungen hinreichend Beweise vorliegen, um einen Prozess gegen die Verantwortlichen führen zu können. Wobei die Frage danach, wer in welchem Ausmaß und ob überhaupt verantwortlich ist, nach wie vor umstritten ist. Gleichwohl: die Schuldsprüche sind ergangen, die schuldig Gesprochenen scheint es aber nicht wirklich zu interessieren, weil die hohe Strafe nicht unmittelbar wirksam wird. Betrachten wir die Klimaproblematik im Kontext einer kämpferischen Auseinandersetzung, wie dies Jonathan Franzen macht, dann ist mit diesem festzuhalten, dass der Kampf innerhalb eines Zeitfensters zu gewinnen gewesen wäre. Da dieses Zeitfenster nunmehr aber geschlossen ist, gibt es nichts mehr zu gewinnen. Allenfalls Schadensbegrenzung ist noch eine Option. Und diese betreiben wir nicht, weil wir nach wie vor von einer Großoffensive (Franzen: dem totalen Krieg gegen den Klimawandel) träumen.
Gegeben der Mensch, wie wir ihn kennen, haben wir es, kurz gesagt, verratzt. Der bisherige Umgang mit der Klimaproblematik zeigt: wenn es nur globales und lokales Handeln gibt, dann dürfte die größere Bedeutung beim lokalen Handeln liegen. Hier sind Erfolge zu erzielen, die weiteres Handeln initiieren können. Das altbekannte Diktum: global denken, lokal handeln ist vielleicht doch nicht so uninteressant. Aber auch damit können wir das Problem nicht lösen, lediglich die von Franzen adressierte Apokalypse auf der Zeitachse nach hinten verschieben, dies in der Hoffnung, realisierbare Lösungen zu finden, die das Ausmaß dieser Apokalypse einzuschränken helfen.
Fazit
In Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? präsentiert Jonathan Franzen seine persönliche Sicht auf das globale Problem der Erderwärmung, mehr noch aber auf unser in vielfältiger Weise inkonsistentes Verhalten. Wie der Papst regt auch Franzen an, etwas komplexer nachzudenken, wozu auch gehört: „Gegen extreme Vermögensungleichheiten vorzugehen ist eine Klimaaktion.“ Ob globales oder lokales Handeln, es sollte keine Beiträge mehr geben zum Untergraben der Widerstandsfähigkeit „einer Natur, die ohnehin schon um ihr Überleben kämpft.“
Pro und Kontra
+ ein zwar nicht wissenschaftlicher, aber ernsthafter Diskussionsbeitrag ohne kriegerischen Gestus
Wertung:
Informationsgehalt: 4/5
Verständlichkeit: 4/5
Preis/Leistung: 3/5