Die 13 Gezeichneten - Der Krumme Mann der Tiefe (Judith und Christian Vogt)

Bastei Lübbe (Februar 2020)
Paperback, Klappenbroschur
622 Seiten, 14,00 EUR
ISBN: ISBN: 978-3-404-20962-0

Genre: Fantasy


Klappentext

Sie zogen aus, um für ihre Magie zu kämpfen. Um sich gegen sie zu schützen, kehren sie um.

Das oberste Gebot des Stadtstaats Sygna lautete schon immer, das Geheimnis seiner besonderen Magie zu schützen – die magischen Zeichen, mit denen Handwerkswaren veredelt und mit übernatürlichen Kräften ausgestattet werden können. Doch das Kaiserreich Aquintien eroberte Sygna und stahl das Wissen um die Zeichen. Es kam zur Rebellion und zum Krieg gegen scheinbar übermächtige Gegner.

Um die Magie Sygnas ein für alle Mal vor dem Zugriff Fremder zu schützen, geht Zachari Erdhand, Großgildenmeister der Stadt, einen wahnwitzigen Pakt mit einer mythischen Kreatur ein: dem Krummen Mann der Tiefe. Zur gleichen Zeit experimentieren die Aquintianer mit der neuen Magie herum, mit fatalen Folgen: Ein unkontrollierbarer Riss lässt die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits verschwinden. Beide Städte drohen, in ewiger Finsternis zu versinken. Die einstigen Feinde sind gezwungen zusammenzuarbeiten, wenn sie ihre Städte retten wollen!


Rezension

Die besondere Zeichenmagie Sygnas weckte seit jeher Begehrlichkeiten. Der Aquinzischen Nation ist es gelungen, den stolzen Stadtstaat einzunehmen und die 13 Urzeichen aus den Katakomben der Verkehrten Stadt zu befreien – mit fatalen Folgen. Es kam zum offenen Krieg und zur Rebellion und sowohl Sygna als auch das aquinzische Naronne versanken im Chaos. Schlimmer noch: Durch seinen Pakt mit dem Krummen Mann der Tiefe hat Großgildenmeister Zachari Erdhand widernatürliche Schatten in die Welt gebracht. Sygna versinkt in Dunkelheit, während in Naronne ein riesiger Riss in der Wirklichkeit klafft und alle, die ihm zu nahe kommen, in den Wahnsinn stürzt. Bevor sie sich den Schatten stellen können, müssen sich die Rebellen Sygnas erst selbst retten und dann mit ihren Feinden zusammenarbeiten …

“Es war nicht mehr an der Zeit, an Ideale zu appellieren. Es war Zeit für Wut.“ (Seite 546)

Nach der Rückeroberung Sygnas und der gescheiterten Rebellion sind die Protagonisten körperlich und geistig verwundet. Während sich Blutzeichenträger Dawyd mit Erzfeind Rufin durch Schattenwelten kämpft, herrscht in Sygna Bürgerkrieg. Die verbliebenen Rebellen formieren sich neu unter der Führung von Elisabeda und Ismayl, es gibt neue Proteste und neue Tote. Erdhand ist jedes Mittel Recht, um an die absolute Macht zu gelangen und diese zu behalten. Kanonen werden auf demonstrierende Menschen abgefeuert und Leute aus ihren Häusern gezerrt, um als Geiseln der Erpressung zu dienen. Neigel gerät in Naronne in Gefangenschaft und muss wie Ismayl in Sygna Folter ertragen. Die menschliche Grausamkeit ist übelerregend, aber wo die einen hemmungslos zuschlagen, gibt es andere, die Befehle verweigern.

“Der Krumme Mann der Tiefe“ ist ein düsterer und schmerzhafter Abschlussband, in dem nahezu jede handlungsrelevante Figur Gewalt erfährt und so manches Mal bildet sich beim Lesen ein fetter Kloß im Hals. Was Menschen anderen Menschen antun können, macht sprachlos, doch im Chaos des Bürgerkriegs ist alles, was geschieht, erschreckend nachvollziehbar. So mancher ist tatsächlich einfach böse und gemein, viele werden jedoch auch zu Grausamkeit und Verrat erpresst oder töten, um sich selbst und ihre Liebsten zu schützen. Judith und Christian Vogt ist es gelungen, die Gräben in Sygna in all ihren Facetten darzustellen und nicht nur ihre Protagonisten, sondern auch nahezu alle Nebencharaktere zu vielseitigen Persönlichkeiten zu machen. Selbst der Mutigste verzweifelt in diesem Roman, während den Verzweifelten Mut zugesprochen wird. Es ist beeindruckend, zu lesen, wie sich die Charaktere gegenseitig stützen, wie sie wütend aufeinander sind und sich verzeihen.

“Die 13 Gezeichneten“ hat nach drei Bänden eine Vielzahl handlungsrelevanter Charaktere, denen man nur schwer gerecht werden kann. Den Autor*innen ist es dennoch gelungen, jedem nochmals wichtige Momente zu geben – und sei es auch ein Abschied. Die Protagonisten entwickeln sich alle weiter, sogar der ewige Widersacher Rufin, der durch die Verschmelzung mit Ignaz eine besondere Verbindung zu den sygnaischen Rebellen verspürt und sich dadurch tatsächlich ändert. Dass Rufin trotz allem, was er getan hat, sympathischer wird, liegt auch daran, dass man Erdhand inzwischen mehr hasst. In Naronne rückt Revolutionär Guillome in den Kreis der Protagonisten und tröstet mit seinem Charme und seiner Offenheit über so manch dunkle Stunde hinweg. Und Elisabeda beeindruckt nicht nur mit ihrer enormen Kraft und moralischen Stärke, sondern auch mit ihren weichen Seiten. 

Bereits im ersten Band zeigte sich „Die 13 Gezeichneten“ als kreative Fantasy, die mit ihrem historischen Setting begeistert. Die napoleonische Zeit passt perfekt zur komplexen Zeichenmagie, die zwar übernatürlich, aber auch erlernbar ist. Man kann vieles mit ihr anstellen, jedoch nicht alles und nicht mit jedem Zeichen. Selbst die Urzeichen sind Gesetzen unterworfen. Im dritten Band zeigt sich zudem, wie gefährlich diese Zeichenmagie ist und dass man nach mancher Macht besser nicht greifen sollte. Die Menschen haben ihre Grenzen überschritten und nun lässt sich die unnatürliche Finsternis, die sie befreit haben, kaum noch zurückhalten. Was da aus den Schatten kommt, ist angsteinflößend und wird nie genau beschrieben, was es umso gruseliger macht. Stellenweise verwandelt sich die Fantasy in Horror und als Leser sollte man besser keine Angst vor der Dunkelheit haben.

“… es lag nicht in meiner Verantwortung, ob sie mir Schmerz zufügen. Der Rote hat gesagt: „Es liegt an dir, ob es aufhört.“ … Aber das ist eine Lüge, das ist die größte Lüge, die sie dir erzählen: Dass es deine Entscheidung ist. Deine Verantwortung. Dass du machen kannst, dass es aufhört. Sie können es aufhören lassen. Sie können entscheiden ...“ (Seite 197)

Was „Die 13 Gezeichneten“ und insbesondere den finalen Band auszeichnet, ist die Diversität der Figuren und die politische und moralische Haltung. Viele wichtige Charaktere sind Marginalisierte: Frauen, People of Color, Homosexuelle oder auch Behinderte. Dadurch, dass all diese Charaktere so facettenreich und menschlich dargestellt werden und man viele von ihnen ins Herz schließt, wird man auch für ihre alltäglichen Probleme sensibilisiert. Man erfährt hautnah, wie es ist, wenn man nicht ernst genommen wird, nur weil man weiblich ist. Oder wie Leute auf der Straße tuscheln, weil man eine andere Hautfarbe hat oder zwei Männer sich küssen. Oder wie frustrierend es ist, wenn man ein Bein verloren hat und nicht mehr das für die Gemeinschaft leisten kann, was man unbedingt will. Wichtig dabei ist, dass die Marginalisierten selbst um ihre Rechte kämpfen, dass sie ein natürlicher Teil der Handlung sind, die nicht nur aus Probleme sondern vor allem auch aus Lösungen besteht. Auch wenn man die Rebellen als die Guten sieht, so sind sie selbst nicht über alles erhaben, machen Fehler und sind damit Teil eines riesigen Grauspektrums.


Fazit

“Der Krumme Mann der Tiefe“ ist ein düsterer, schmerzhafter und zugleich hoffnungsvoller Abschlussband, der seinen Protagonisten und Lesern alles abverlangt. Die Schattenwelt unter Sygna ist nichts für schwache Nerven, ebenso wenig wie die Grausamkeiten, die sich Menschen hier gegenseitig antun. Neben Schockmomenten gibt es jedoch auch schöne Momente, der Kloß im Hals verwandelt sich in ein Lächeln und spätestens wenn man die letzte Seite zuschlägt, ist man überwältigt von dieser originellen, vielschichtigen und mitreißenden Fantasy.


Pro und Contra

+ die beängstigende, widernatürliche Schattenwelt
+ Protagonisten entwickeln sich spürbar weiter
+ aus Feinden werden notgedrungen Verbündete
+ bis zur letzten Seite dramatisch und spannend
+ Neigel und Guillome
+ authentische, diverse Charaktere
+ politische und moralische Haltung
+ atmosphärischer, mitreißender Schreibstil
+ gelungene Auflösung

Wertungsterne5

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5


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Tags: Judith C. Vogt, Christian Vogt, Die 13 Gezeichneten, queere Figuren, historische Fantasy, nicht-binäre Autor*innen, Magie