Ein Ehebruch (Edoardo Albinati)

albinati ehebruch

Berlin Verlag, 2019
Originaltitel: Un adulterio (2017)
Übersetzung von Verena von Koskull
Gebunden, 123 Seiten
€ 20,00 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,91
ISBN 978-3-8270-1407-8

Genre: Belletristik


Rezension

Erri (Eraldo) ist 37 Jahre alt, verheiratet und Vater von zwei Mädchen. Clem (Clementina) ist 29 Jahre alt, verheiratet und seit wenigen Monaten Mutter. Beide sind sich vor drei Wochen auf einer Party begegnet, körperliche Anziehung führte zu wenigen kurzen sexuellen Begegnungen, die Clem als ausgeklammerte Momente, als Intermezzi wertet. Sie verlangt mindestens eine gemeinsame Nacht, um das, was Liebe sein oder werden könnte, auf die Probe zu stellen. Also verbringen Erri und Clem ein Wochenende auf einer Insel im Mittelmeer. Ihre Partner belügen sie auf traditionelle Weise, Clems kürzlich entwöhnter Sohn ist gut untergebracht. Sie liebt ihren Mann nicht mehr und hatte schon vor der Geburt ihres Kindes längere Zeit keinen Sex mit ihm. Erri liebt seine Frau und Töchter. Erri und Clem kennen sich nur oberflächlich und haben auch kein Interesse, einander während dieses Wochenendes näher kennenzulernen. Sie wissen übereinander vermutlich so wenig wie wir.

Die Zutaten von Ein Ehebruch sind Standard in einer Erzählung über ein heißes Sexwochenende: keine blaue Lagune, aber eine kleine Mittelmeerinsel, blauer Himmel, Sonne, Strand, kaum andere Menschen. Sex im Liegen, ineinander verschlungen, Sex im Stehen, dazwischen nackt im Sand liegen. Wenn es allein das wäre, hätte Edoardo Albinati ein uninteressantes Buch veröffentlicht. Zwischendurch schreibt Albinati von Glück und Liebe. Aber es ist nicht nur das enge Korsett aus Raum und Zeit und Nebendarstellern, das dem Glück und der Liebe die Luft abschnürt. In den Momenten der körperlichen Vereinigung kommt es bei beiden zur inneren Selbstbeschau. Beim Sex ist sich jeder der Nächste. Zwischen beiden ist so oft die Rede vom Überwältigenden, von der Unübertrefflichkeit, vom Wunderschönen, dass man ahnt, sie wollen die Atmosphäre aufladen, wo sie nicht aufgeladen oder aufladbar ist.

Erri will Clem in ihrer Nacktheit, will sie belagern, liebkosen und „umarmen, bis sie fast erstickt und ihr Rücken fast bricht.“ Er will mit seiner Zunge in ihren Mund, „um das Gegengift gegen die Angst herauszusaugen.“ Clem könnte sich in Erri verlieben, weil er die gefährlichste Seite in ihrer Persönlichkeit zum Schwingen bringen könnte: „den brennenden Wunsch, sich zu verlieren.“ Der Körper der anderen Person ist ein Ort, den man vorübergehend okkupiert (Erri dringt ein, Clem lässt eindringen), es kommt zu sanfter Gewaltausübung. Clem soll Erri keine sichtbaren Verletzungen zufügen, was er ihr wiederholt und in an Schärfe zunehmendem Ton sagt. Er hingegen schlägt ihren Hintern rot. Wenn er auf Clem war, „zerquetschte er sie, er walzte sie nieder“. Sie zeigt „Widerstand und Gegenwehr“. Erri stößt in der Affäre auf eine dunkle Seite seiner Persönlichkeit, die seine Vorstellung weit übersteigt.

Gelegentlich stolpern wir während des Lesens über Klischees, über die vielleicht auch die Protagonisten stolpern, wie Clem in der Selbstbeschau vor dem Spiegel. Clems Brüste sind wichtige narrative Stützen, mehr noch ihre recht häufig erwähnten Dehnungsstreifen, über die sie sich reichlich Gedanken macht. Erri und Clem stellen sich Fragen zum Gegenüber, wollen aber keine Antworten. Clem fragt sich wiederholt, ob eine ihrer Wahrnehmungen auf Liebe hinweisen könnte, nur um dies sofort zu verneinen. Im Äußeren sind Erri und Clem zwar mehr Oberfläche als Charaktere. Aber das muss kein Mangel der Erzählung sein. Unter der Oberfläche haben sie viel zu bieten, wenngleich nichts, was sichtbar wäre für das Gegenüber. Interessant ist, dass die Erzählung hindurch beide sich, sogar beim Sex, in der Selbstreflexion vergraben.

Es scheint einen impliziten Kontrakt zwischen beiden zu geben, der die gegenseitige Nutzung über einen befristeten Zeitraum vorsieht. Die einzige mögliche Vertragsverletzung: sich ineinander zu verlieben und eine Beziehung eingehen zu wollen. Clem sagt am ersten Abend, sie sei es leid, Gefühle zu haben. Erri und Clem sind einander fremd und wollen dies auch bleiben. Erri hat Angst vorm Ertrinken, als sie im Meer schwimmen, Clem gefällt das Schwimmen besser als Sex. Man sieht, die beiden werden nicht zusammenfinden. Die Einheit von Liebe, Ehe und körperlicher Beziehung ist im Mikrokosmos von Ein Ehebruch längst aufgelöst. Das letzte Kapitel liefert in filmischer Montage eine Art Manöverkritik des Wochenendes, am Montag der Abreise, eine Dekonstruktion dessen, was hätte gewesen sein, was hätte werden können.


Fazit

In Edoardo Albinatis Ein Ehebruch begibt sich eine auktoriale Erzählinstanz in das Innenleben von Erri und Clem, deren Körper kurzzeitig zusammenkommen. Beschrieben wird eine andere Art von Affäre, weitab davon, die Hitze der sexuellen Interaktion sich vulkanisch entwickeln zu lassen – oder doch: vielleicht im Sinne eines Vulkaniers. In der sexuellen Begegnung erfahren Erri und Clem viel über sich selbst, aber nur wenig über den anderen. Entsprechend endet die Affäre dann auch.


Pro und Kontra

+ anatomische Betrachtung eines zweifachen Ehebruchs
+ unterkühlte Auseinandersetzung mit Emotionen

Wertung:sterne4

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5