Ulf Torreck / David Gray (19.04.2020)

Interview mit Ulf Torreck / David Gray

Autorenvita: Ulf Torreck, geboren 1973 in Leipzig, nahm an der friedlichen Revolution teil, studierte Jura, arbeitete als Zimmermann, Barkeeper und Rausschmeißer. Nach einer Ausbildung zum Drehbuchautor und Arbeit als Filmkritiker und Journalist, folgten längeren Aufenthalten in Südostasien, Frankreich, Irland und Großbritannien. Torreck veröffentlichte unter verschiedenen Pseudonymen Kriminalromane und Shortstorys, bevor er mit "Fest der Finsternis" sein Debüt bei Heyne gab. 2019 erschien sein derzeit jüngster Roman „Zeit der Mörder.“


Literatopia: Laut deiner Vita bist du schon ziemlich weit herumgekommen und hast in sehr verschiedenen Jobs gearbeitet – gibt es Orte und Momente, die sich dir besonders eingeprägt haben?

Ulf Torreck: Ja, klar. Nepal und Südostasien haben mich eindeutig geprägt. Meine Freunde behaupten, da sei ich endlich erwachsen geworden. Was diese besondere Prägung ausmachte, war neben der direkten Konfrontation mit immenser Armut und Korruption, auch ein anderes Selbstbewusstsein. Wenn du mal einige Zeit ohne Pass und Rückflugticket in einem nepalesischen Ausländerknast gesessen hast, sehen viele erste Welt Probleme relativ klein aus. Solche Erlebnisse schaffen Selbstvertrauen. Allerdings lösen sie auch eine gewisse Demut aus. Die einem hierzulande ganz gut ansteht finde ich.

Kulturell haben mich seit jeher allerdings UK und Frankreich fasziniert. Ich habe meine Englischnote beim Abi nur deswegen verbessert, weil ich den neuesten James Ellroy noch nicht in Übersetzung bekam, den aber unbedingt gleich lesen wollte.

Was mich an Frankreich faszinierte, waren die Fin de Siècle und Decadence Autoren. Die, ganz klar, auch Spuren in meinem Schreiben hinterließen.

Literatopia: Schreiben ist ein gutes Stichwort: Worum geht es in deinem neuesten Buch?

Ulf Torreck: Hah, ich ahnte diese Frage, auf die ich völlig vorbereitet bin. Es geht darin um einen deutschen Beamten im besetzten Paris 1943/44 der eigentlich in die Stadt kam um sich dort in aller Ruhe tot zu trinken, weil er ahnt, dass die Welt nach der absehbaren dt. Niederlage nicht unbedingt besser für ihn wird. Das Problem ist nur, dass er sich eines Tages gezwungen sieht gegen einen Serienkiller zu ermitteln, dessen Taten die dt. Besatzungsbehörden geflissentlich übersehen wollen. Dieser Mörder basiert auf einem realen Vorbild, nämlich Frankreichs wahrscheinlich bis heute profiliertstem Serienkiller Dr Petiot. Den ich in meinem Roman natürlich reichlich verändert habe. Man könnte andererseits auch sagen, dass es ein Roman über einen Feigling ist, der einsehen muss, dass es manchmal einfach nicht reicht, sich aus dem Leben herauszuhalten.

Wem das jetzt zu komplex klingt, dem sei gesagt: Ja, es gibt ne Menge Tote in dem Buch, und Gewalt und einige Liebesszenen und wenn auch kein Koks, dann immerhin Huren.

Beispielhafte Zitat aus dem Buch: "Keine Angst, Madame, ich bin leider zu nüchtern, um Sie nicht verstehen zu können"

Zitat 2: "Der Trick in dieser beschissenen Welt über die Runden zu kommen, besteht darin einzusehen, dass die Ungeheuer unter unseren Kinderbetten einige von uns nicht ängstlicher, sondern gefährlicher gemacht haben."

Literatopia: Ich glaube, dass dir die Lesenden auch ohne den Zusatz gut hätten folgen können. Das Buch spielt in einer Zeit, die bis heute lange Schatten wirft und bei der besonders deutlich hervortritt, dass Erinnern und Nicht-Erinnern auch immer politisch sind. Wie hat das deinen Schreibprozess beeinflusst?

Ulf Torreck: Eigentlich gar nicht so sehr, denn ich wollte bewusst kein Lehrbuch schreiben sondern einen Unterhaltungsroman. Allerdings gab es dennoch mindestens zwei historische Aspekte, die ich durchaus hervorheben wollte, der erste) - dass die Wehrmachtsverschwörer des 20. Juli nicht in allem dem entsprachen, was wir heute von ihnen annehmen und wie sie in etwas oberflächlichen Büchern und Filmen geschildert werden.

Aspekt zwei) - gerade Frankreichs Widerstand beweist, dass du eine erfolgreiche Resistancebewegung nicht nur mit gesetzestreuen Bürgern führen kannst, sondern dazu kriminelle Energie gehört. Die eben auch von Kriminellen oder zumindest Zwischenweltcharakteren am besten aufgebracht werden kann. Was jetzt keinesfalls die Opfer der Widerständler schmälern soll. Im Gegenteil. Ich als Krimiautor hege schließlich durchaus eine gewisse Bewunderung für die kriminelle Klasse.

Literatopia: Du schreibst teilweise unter einem offenen Pseudonym – was unterscheidet die Bücher von Ulf Torreck und David Gray?

Ulf Torreck: Ulf Torreck ist ja meine Premium Marke, das heißt, der schreibt etwas anspruchsvoller, weniger auf bloßen Effekt hin. Außerdem sind Ulf Bücher immer dicker als David Grays. Sonst beschäftigen uns beide aber schon sehr ähnliche Themen.

Dave experimentiert auch mehr mit Genres als Ulf. Dave schreibt zum Beispiel ja auch schon mal eine Horror-Satire mit einem Satan, dessen hervorragender Charakterzug seine Faulheit darstellt. Dave hat ja auch - sehr zu Ulfs Verdruss - einige Pornos verfasst. (Hinweis von Dave: Ulf ist ein Snob!)

(Hinweis von Ulf: Dave ist nie richtig erwachsen geworden. Der olle Punk!)

Wir kommen dennoch erstaunlich gut miteinander aus.

Literatopia: In „Fest der Finsternis“ schreibst du über das Paris des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts und lässt verschiedene historische Persönlichkeiten auftreten. Was hat dein Interesse an dieser Epoche und diesen Figuren geweckt?

Ulf Torreck: Damals wurde unsere moderne Welt geboren. Gezeugt wurde sie ja vielleicht in der Renaissance. Aber zur Welt kam sie und ihren ersten Schrei tat sie 1789 während der Französischen Revolution. Ich verstehe nicht wirklich, weshalb diese Zeit so viele Menschen nicht interessieren kann.

Bei "Fest der Finsternis" kam ja noch hinzu, dass meine Hauptfigur einfach unwiderstehlich war, für jeden, der sich für Literaturgeschichte und Psychologie interessiert, denn das war der berüchtigtste Literat überhaupt, nämlich der Marquis de Sade. Ein gar herrliches Monstrum.

Neben de Sade spielt da ja auch Talleyrand, Napoleons Außenminister, eine tragende Rolle, der ist das Urbild eines zynischen Politikers, von dem sie heute noch alle lernen könnten. Von Orban bis Trump und Macron bis Merkel. Auch er ein- wenn auch ganz anders gestricktes - herrliches Ungeheuer.

Literatopia: Wenn du ein oder zwei der historischen Persönlichkeiten, über die du für deine Bücher recherchiert hast, Fragen stellen könntest, was würdest du dann wissen wollen?

Ulf Torreck: Oha, das ist ne clevere Frage. Hm, mal nachdenken. Ich glaube ich würde de Sade fragen, ob ihm eine Welt in der Sex tatsächlich für viele Leute so easy verfügbar geworden ist, wie für seine Roman Figuren, eigentlich ängstigen würde. Und ich würde eine andere Figur aus einem meiner Romane, nämlich einen umstrittenen deutschen Schriftsteller, der in "Zeit der Mörder" eine Nebenrolle bekommen hat, fragen, was dazugehörte, dass er über weit als achtzig Jahre hinweg, kreativ bleiben und schreiben konnte. Diese Angst, dass die dunkle Quelle, die man irgendwo in sich hat und der man besser nie zu nahe kommen sollte, eines Tages versiegen könnte, schwingt in diesem Job ja immer mit.

Ich meine, jeder Zauberer ist immer nur so gut wie sein allerletzter Trick und jeder Clown nur etwas wert, solange er ein Publikum findet, das über seine Pantomime staunt oder lacht. Sowohl die Fähigkeit für die Zaubertricks wie die das Publikum erstaunen lassen zu können, eines Tages verlieren zu müssen wäre schon hart. Ein Albtraum.

Literatopia: Mit „Das Grab der Molly Maguire“ reihst du dich in eine lange Tradition von Geschichten um Sherlock Holmes ein. Welche eigenen Twists verpasst du der berühmten Figur? Gibt es Holmes-Adaptionen anderer Autor*innen, die dir gut gefallen haben bzw. bei dir den Wunsch geweckt haben, es anders zu machen?

Ulf Torreck: Es gibt mMn so unendlich viele blöde Sherlock Holmes Pastiches, dass man die gar nicht aufzählen kann. Ich erinnere mich an eine ganz besonders dumme, wo man Sherlock (ohne Watson!) gegen Saurier antreten ließ. WTF? Es gibt ja harte Holmes-Gegner, die ihn als obsolet und zu viktorianisch abtun, oder Leute, die ihn gar dem Cosycrime Genre zuschlagen wollen. Very wrong indeed, denn Sherlock ist ein Badass und alles andere als cosy. Ich habe allerdings auch mal einen Essay über Sherlock geschrieben, in dem ich ihn als Behinderten einstufte. Keinesfalls als körperlich behindert, versteht sich, aber als sozial behindert. Denn das ist der Typ ja eindeutig, der hat nie eine ernsthafte sexuelle Beziehung zu einer Frau oder einem Mann eingehen können (und sorry, Jungs, Sherlock ist nicht closeted gay). Der Typ ist aufgrund der unmenschlichen Denkmaschine in seinem Kopf auf ewig dazu verurteilt einsam zu bleiben. Selbst Watson, der ja nun wahrhaftig kein Trottel ist, sondern für seine Zeit überdurchschnittlich gebildet und intelligent, kann Holmes ja nicht das intellektuelle Wasser reichen. Diese tragische Einsamkeit und ja, soziale Behinderung, macht Mister S Holmes für mich zu einer endlos faszinierenden Figur.

Bei mir tritt Sherlock übrigens zum ersten Mal nicht in "Das Grab der Molly Maguire" auf, sondern in "Der Geist des Architekten".

Ich war und bin ein großer Doctor House Fan. Das ist eine Adaption von Sherlock, die ich sehr gelungen fand. Genauso wie Johnny Lee Miller in "Elementary", der ist die für mich als Typ die aktuell beste Verkörperung von Sherlock, gleich nach Jeremy Brett natürlich, der ihn in der klassischen BBC Adaption spielte. Benedict Cumberbatch ist ein Sonderfall, finde ich, da sind die Drehbücher exzellent, aber Cumberbatch ist mir in seiner Darstellung ein wenig zu manieriert. Aber dennoch hat "Sherlock" die Messlatte für alle zukünftigen Holmes Darstellungen und Adaptionen noch mal wahnsinnig hoch gehängt.

Literatopia: Der Roman "Requiem für Miss Artemisia Jones" ist ein gemeinsames Projekt mit Isa Theobald. Wie sah eure Zusammenarbeit aus?

Ulf Torreck: Isa hat mich bei der Deadline hintergangen und zu für mich untypischem Fleiß in der Schreibendphase gezwungen. Was ich ihr nicht vergessen werde! Ansonsten war es ein außerordentliches Vergnügen. Wir haben das ganze Buch innerhalb von zwei Stunden in einem Café geplottet und hatten dabei ungewöhnlichen Spaß. Isa ist die deutlich größere Nerdine und außerdem besser organisiert, weshalb sie den Überblick im Text bewahrte. Sie arbeitet mit Organisationsprogrammen. Ich mit meinem Instinkt. Eigentlich hätte das grandios schiefgehen sollen. Tat es aber nicht. Wunderbarerweise. Wofür ich ihr beinah verzeihe, dass sie mich bei der Deadline gemein belog.

Literatopia: Du hast mittlerweile so einige Bücher veröffentlicht. Was sind die wichtigsten oder überraschendsten Dinge, die du durch diese Erfahrung über das Schreiben und Vermarkten von Büchern gelernt hast?

Ulf Torreck: Dass es immer wieder gelingt aus einem Gedanken, den man mal irgendwann hatte, oder ja auch einer Frage, die man sich stellte, einen ganzen Roman zu formen überrascht mich jedes Mal aufs Neue. Und beim Schreiben, das ja idealerweise immer auch mit denken einhergehen sollte, lernt man stets auch etwas über sich selbst. Sobald einige meiner Freunde anfangen mein neuestes Buch zu analysieren, werde ich immer sehr still. Was jetzt weder für Ulf noch Dave sonst so wirklich selbstverständlich ist.

Bei der Vermarktung lernt man letztlich das Handwerk der Werbung. Und das ist auch nicht immer Zauberei. Erstaunlich ist aber jedes Mal, dass man sich Fans erwirbt, die so treu sind. Ich bin gern die Rampensau. Aber ich brauch danach auch meine Einsamkeit. Da fällt es manchmal schwer, beides gesund zu gewichten.  

Worauf man achten sollte ist sich nicht immer zu wichtig zu nehmen. Aber zugleich auch öffentlich für Dinge und Ideen einzugestehen, die einem wichtig sind. Da kassierst du auch Klatschen. Aber das gehört zur Jobbeschreibung dazu. 

Wie eine von mir sehr geschätzte Kollegin mal anmerkte: "Es ist keine Voraussetzung Masochist/In zu sein in diesem Job, aber es hilft schon die Masse an Arschlöchern in der Branche zu ertragen"

Literatopia: Als die Leipziger Buchmesse ausfiel, ging das große „Bücherhamstern“ von zu Hause aus los. Hast du mitgemacht? Und welche Buchempfehlungen hast du für Menschen, die sich mit noch mehr Lesestoff versorgen wollen.

Ulf Torreck: Ich habe da - ja, ja, doof! - mich leider nicht so engagiert wie andere Kollegen. Aber ich empfehle regelmäßig auf meinen FB Profil Titel von Freunden oder einfach nur interessante Neuerscheinungen. Daher war das Versäumnis vielleicht nicht gar so böse. Wenn du mich jetzt so fragst, dann würde ich hier, wie auch schon einige Male zuvor, das Buch einer gewissen Kollegin empfehlen, die verdammt nah an Michael Ende rankommt. Nämlich Fabienne Siegmunds "Der Zirkus der Einhörner". Aber auch Andreas Kollenders Romane, alle! Und die Texte von Michael Schweßinger und die neuen James Lee Burke Romane, bei Pendragon. Cormac McCarthy ist auch immer wieder einfach geil. Und natürlich Michael Ondaatje. Und Margaret Atwood, die den Nobelpreis längst hätte haben müssen. Noch lange vor diesem Sänger, der damals nicht in Woodstock dabei war. Ehrfurcht habe ich auch vor James Ellroy, der gerade ein zweites LA-Quartett schreibt. Jeder Band bisher ein echter Hammer (und Türstopper, mit jedes Mal über 800 Seiten!)

Literatopia: Das sind eine Menge Empfehlungen. Vielen Dank dafür und vielen Dank für das Interview. 


Autorenfoto: Copyright by Sascha Storz


Dieses Interview wurde von Swantje Niemann für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.