Christian Krumm (12.05.2020)

Interview mit Christian Krumm

Literatopia: Hallo Christian, möchtest du ein wenig darüber erzählen, worum es bei deinem jüngsten Buch geht?

Christian Krumm: Mein Buch heißt "Heaven 11. Ein Psychiatrie-Roman". Es ist eine Geschichte, die auf der geschlossenen Station spielt, auf der ich früher als Zivi und ungelernte Kraft gearbeitet habe. Insgesamt war ich fünf Jahre dort. Als ich damals dort aufhörte, weil ich einen Job an der Uni bekam, habe ich mir vorgenommen, irgendwann einmal ein Buch über all diese Erlebnisse dort zu schreiben. Ich wusste lange nicht, ob es ein Sachbuch oder ein Roman werden sollte. Aber als ich dann anfing, Geschichten zu schreiben, war ich mir sicher, dass diese Erlebnisse sich am besten in einer zusammenhängenden Geschichte erzählen lassen. Das ist die Idee des Romans. Die Handlung selbst ist fiktiv, die Figuren, besonders die Patienten, sind aber größtenteils real.

Literatopia: Real im Sinne von „vage von echten Menschen inspiriert“ oder im Sinne von „1 zu 1 aus der Wirklichkeit übertragen“?

Christian Krumm: Teils, teils. Die Patienten und ihre Angewohnheiten sind oft 1 zu 1 übertragen. Auch die Erlebnisse, die ich mit ihnen hatte und die mein Protagonist Marc Vossberg in der Geschichte mit ihnen durchlebt. Manchmal habe ich kleine Facetten geändert, wenn es die Handlung verlangte. Aber meine ehemaligen Kollegen, die das Buch gelesen haben, sagten selbst, dass es im Grund genauso war auf der Station.

Literatopia: Wie hast du den Wunsch, deine Erfahrungen authentisch widerzuspiegeln mit der Privatsphäre der Patienten ausbalanciert? War das etwas, das dich beim Schreiben beschäftigt hat?

Christian Krumm: Dieser Gedanke mit der Privatsphäre war tatsächlich sehr präsent beim Schreiben. Denn ich wollte ja das Gefühl authentisch rüberbringen, das war mein Hauptziel. Also habe ich erst einmal viele Anekdoten aus meinen Erinnerungen aufgeschrieben und ebenso mit den Originalnamen versehen. Sogar bis in die letzte Fassung des Manuskripts standen noch die richtigen Namen drin, erst danach habe ich sie ausgetauscht. Damit war für mich der wesentliche Aspekt der Privatsphäre gelöst. Darüber hinaus ging es mir besonders um die Darstellung der einzelnen Figuren. Mein wesentliches Ziel war, dieses öffentliche Bild von psychischen Krankheiten ein wenig zu dekonstruieren. Psychisch kranke Menschen sind ja nicht verrückt, so wie wir uns das vorstellen, sie sind krank und ihre Krankheit beeinträchtigt sie. Darüber hinaus sind sie gewöhnliche Menschen mit gewöhnlichen Bedürfnissen. Das herauszustellen war mein Anliegen. So dachte ich mir, wenn irgendjemand auf Grund irgendeiner Beschreibung auf die Idee kommt, welcher reale Mensch hinter der Figur stecken könnte, ist das auch nicht schlimm. Außer bei meinem liebsten Patienten, dem ich das Buch u.a. auch gewidmet habe, schrieb ich in der Widmung dann seinen richtigen Namen.

Literatopia: Auf deiner Website erfahren Lesende einiges über deine breit gefächerten Interessen – Geschichtswissenschaft, Kino, Musik … Gerade letztere scheint ja auch einen Weg in einige deiner Bücher gefunden zu haben, immerhin lauten die Rubriken auf deiner Seite „Romane, Kurzgeschichten und Heavy-Metal-Bücher“. Wie können sich Lesende eine solche Verbindung von Literatur und Musik vorstellen?

Christian Krumm: In erster Linie auf zwei Arten. Ich habe ja Geschichte studiert und eine Doktorarbeit geschrieben, das war gewissermaßen mein erstes Buch. Dann kamen die Ideen zu Sachbüchern über Musik, speziell Heavy Metal, die in der Hauptsache auf Interviews mit den Beteiligten basieren. Man redet mit den Leuten und schreibt dann eine zusammenhängende Geschichte auf. Das ist die erste Art Musik mit Literatur zu verbinden und gar nicht so weit weg von dem, was ich beruflich gelernt habe. Da gibt es dann noch den zweiten Weg: Bei den ganzen Interviews ist mir aufgefallen, dass man in Sachbüchern zwar jede Menge Fakten und Anekdoten zusammentragen kann, die auch ein wenig Gefühl vermitteln. Aber es blieben bei mir immer noch so viele Eindrücke übrig, die ich nicht in ein Sachbuch bringen konnte, dass ich mich entschloss, auch einen Roman darüber zu schreiben. Der ist allein aus den Emotionen, die aus der Musik und den Menschen kommen, entstanden und heißt "At Dawn They Sleep".

Literatopia: Du konntest auch bei einer Theaterproduktion mitmachen, bei der einige deiner Geschichten auf die Bühne gebracht wurden. Wie war das?

TraumschrottChristian Krumm: Großartig! Leider ist ja aus der Aufführung nichts geworden. Die sollte Open Air sein und genau an dem Tag war dann Sturmwarnung und sie ist abgesagt worden. Gab natürlich keinen Sturm. Der Nachholtermin ist dann abgesagt worden, weil sich irgendwelche Leute nicht einigen konnten, wer ein paar Euro für benötigten Strom locker macht. Aber egal, dies nur als Ergänzung.

Viel wichtiger ist: Die Anfrage der Regisseurin Yvonne Keßel, ob ich für ihr Projekt Geschichten schreiben könnte, ließ mich einige Kurzgeschichten überarbeiten und neu schreiben, aus denen dann meine Sammlung "Traumschrott" geworden ist. Yvonne schrieb die Geschichten in "Drehbücher" um und probte das mit den Schauspielern. Da war ich einmal dabei, das ist der Wahnsinn, wenn richtige Menschen Figuren spielen, die aus dem eigenen Kopf entsprungen sind. Für die Schauspieler hat mir die Absage auch unendlich Leid getan, sie haben echt alles gegeben. Für mich war es im Nachhinein nicht so schlimm, denn ich hatte ja das Buch "Traumschrott" in Händen. 

Literatopia: Apropos „Traumschrott“: Erlebst du das Schreiben von Romanen und Kurzgeschichten verschieden? Was sind die Möglichkeiten und Schwierigkeiten, die dir diese Textformen jeweils präsentieren?

Christian Krumm: In der Art, wie ich schreibe, haben Kurzgeschichten und Romane mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Schreiben von der ersten Idee bis zum fertigen Manuskript ist für mich so, als würde ich in Holland losspazieren und irgendwo in China ankommen. Ich schreibe und entwickele Ideen weiter, streiche sehr viel (ich habe oft pro 100 Seiten 90-150 rausgestrichene Seiten am Ende) und das fertige Manuskript hat mit den ersten Ideen oft gar nichts zu tun. Jede Geschichte ist eben ein Weg, den man beschreitet und man weiß nie, wo man ankommt. Für eine Kurzgeschichte von 20 Seiten brauche ich so auch gerne mal 4-6 Monate. Für einen Roman natürlich länger, aber der Weg, der Arbeitsprozess ist in etwa derselbe. Beide Textformen sehe ich nicht unter dem Aspekt Vor- und Nachteile. Das kommt ganz auf die Idee an.

Literatopia: Was hat dich motiviert, Geschichte zu studieren? Und was sind spannendsten/überraschendsten/am nachdenklichsten machenden Dinge, die du aus dem Studium mitgenommen hast?

Christian Krumm: Eigentlich wollte ich mal nach der Schule Journalist werden, habe mein Praktikum bei einer Zeitung gemacht und der Chefredakteur hatte auch Geschichte studiert. Daher dachte ich, ist wohl gut, das zu machen, schließlich ist er Chefredakteur. Darüber habe ich dann entdeckt, dass Journalismus nichts für mich ist, weil ich mich lieber sehr intensiv mit Themen auseinandersetze. Journalismus ist eben doch sehr Fließbandproduktion für mich. Aus dem Studium mitgenommen habe ich vor allem eine Erkenntnis: Dass die meisten Menschen glauben, wir wüssten heute mehr als die Menschen in früheren Zeiten. Aber das stimmt nicht. Vielleicht wissen wir andere Dinge, aber meistens machen wir immer wieder denselben Blödsinn.

Literatopia: Du schreibst viel über deine Kinobesuche. Was sind Filme, die sich dir besonders eingeprägt haben?

Christian Krumm: Einprägsame Kinofilme, mal überlegen. Also "Mother!" heißt ein Film mit Jennifer Lawrence und Javier Bardem, der war echt krass, so eine Mischung aus Horror- und Kunstfilm. "Wind River", ein toller Thriller, "Game Night", großartige Komödie und die beiden Teile von "ES" haben mir ziemlich gut gefallen. Bei zweiten war ich in der Double-Feature-PRemiere, das finde ich schon immer super, wenn Kino auch so ein wenig Eventcharakter hat.

Literatopia: Arbeitest du derzeit an einem neuen Projekt? Falls ja: Kannst du schon etwas darüber verraten?

Christian Krumm: Ist schwierig, viel zu verraten, nicht weil ich so ein Geheimnis daraus machen will, sondern wegen der Arbeitsweise, die ich oben geschildert habe. Im Moment weiß ich mit Sicherheit, dass der neue Roman so in Richtung Horror-Mystery gehen soll und dass er ein wenig an meine Kurzgeschichte "Das seltsame Verschwinden des Peter Johan Wagner" sowie an die Kurzgeschichte "Dämonen" aus Traumschrott anknüpft. Ein Spukhaus soll drin vorkommen und es soll am mystischen, sumpfig-nebeligen und mit Geistern und Legenden bevölkerten Niederrhein spielen. Das sind zumindest die Punkte, die sich seit der ersten Idee nicht geändert haben. 

Literatopia: Danke für das Interview.


Autorenfoto: Copyright by Artur Rundt

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Dieses Interview wurde von Swantje Niemann für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.