Die neunte Konfiguration (William Peter Blatty)

blatty neunte konfiguration

Festa, 2020
Originaltitel: The Ninth Configuration (1978)
Übersetzung von Patrick Baumann
Gebunden, 192 Seiten
€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 24,90
ISBN 978-3-86552-824-7

Genre: Mystery


Rezension

William Peter Blatty hat mit Die neunte Konfiguration ein Buch veröffentlicht, das mit den Worten beginnt: "Es war ein abgelegenes Herrenhaus im gotischen Stil, gewaltig, von Wald umschlossen, grotesk." Man ist nach Der Exorzist geneigt, einen weiteren Horrorroman zu erwarten, in dem Besessenheit und ein Dämon eine Rolle spielen. Anklänge an den Exorzisten gibt es, weil Die neunte Konfiguration Seelenzustände, die bestimmt sind durch Traumatisierung und innere Dämonen, Traumabewältigung, Fragen nach Gott und das persönliche Opfer zum Inhalt hat.

Nahezu alleiniger Handlungsort ist Zentrum 18, ein Schloss, das als psychiatrische Klinik für Offiziere genutzt wird. Captain Nammack, Pilot eines Bombers B-52 im Vietnamkrieg, war der erste einer Reihe von Offizieren der Streitkräfte, die mit einer plötzlichen Geistesstörung und bizarren Zwangsvorstellungen innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums dienstunfähig wurden. Die Regierung initiierte daraufhin Ende 1968 das Projekt Freud, zu dem Zentrum 18 gehört.

Nammack hält sich für Superman und ist überzeugt, eine geneigte Gebärmutter zu haben. Captain Fairbanks arbeitet daran, seine atomare Struktur so zu verändern, dass er durch Wände gehen kann. Reno, der einzige Insasse mit Hund, schreibt nach und nach das Gesamtwerk Shakespeares um, damit es mit Hunden als Darstellern aufgeführt werden kann.

Der einzige Patient, der nicht zu den Offizieren der Streitkräfte gehört, ist der Astronaut Captain Billy Thomas Cutshaw. Er erlitt eine Panikattacke, als er einen Start ins All abbrach, weil er die Vorstellung einer von Gott verlassenen Welt und einer unendlichen Leere im Universum, in der nichts von Bedeutung ist, nicht ertragen konnte. Cutshaw hat als Partygast in Der Exorzist einen Kurzauftritt. In Die neunte Konfiguration hat er ein Spiel entwickelt, dass In Zungen reden heißt und kryptischen Unsinn zum Inhalt hat.

Die Patienten bilden ein auf bizarre Weise im Gleichgewicht befindliches System. Bis zur Ankunft von Colonel Hudson Stephen Kane, dem neuen psychiatrischen Leiter der Institution. Kane ist ein Vertreter recht unorthodoxer Behandlungsmethoden, seine Vorgesetzten versprechen sich davon Erkenntnisse darüber, ob die Offiziere tatsächlich krank sind oder simulieren. Kane ist schnell fasziniert von den Männern. Er möchte sie in ihren Vorhaben und Zielen unterstützen. Dabei strudelt er immer tiefer hinein in seine eigene belastete Psyche, hat wiederkehrende Alpträume, die seine Arbeitsfähigkeit zunehmend beeinträchtigen.

Wir lernen die Figuren und ihre Probleme nach und nach kennen. Gemeinsam ist ihnen allen, dass ihr Leben bestimmt wird durch belastende Erinnerungen und Bilder. Das Gehirn bearbeitet die Bilder mehr oder weniger erfolgreich so, dass die Offiziere mit ihnen fertig werden und zur inneren Ruhe gelangen können. Reno imaginiert Kane, den er nicht einschätzen kann und durch den er beunruhigt wird, als Gregory Peck in Alfred Hitchcocks Film Spellbound, was ihm das Bedrohliche nimmt. Die Soldaten befinden sich primär im Krieg mit sich selbst, sie bestimmen in der Sphäre ihrer Existenz ihren Lebenssinn neu und lernen auf diese Weise, ihre Traumata und Ängste zu einem weniger belastenden Teil ihres Lebens umzugestalten.

Große Teile des Romans bestehen aus Dialogen zwischen Cutshaw und Kane, die im Zentrum der Erzählung stehen. Aus kleineren Auseinandersetzungen zwischen ihnen entwickelt sich ein Wortgefecht, in dem Cutshaw erklärt, dass er grundsätzlich wohl an Gott glauben möchte, für dessen Existenz jedoch keinen Beweis hat. Kane, der gläubig ist, einigt sich mit ihm darauf, dass, wenn sie einen Menschen finden, der uneigennützig und gegen sein eigenes Interesse einem anderen Menschen Güte entgegenbringt, dies zwar kein Gottesbeweis sei, wohl aber als Beleg dafür akzeptiert werden könne, dass im Universum das Gute existiert.

In den folgenden Kapiteln versucht Kane den Beweis anzutreten. Cutshaw erledigt aber jeden Versuch damit, dass er der jeweiligen Handlung zugrundeliegendes Eigeninteresse herausschält. Während ihrer Gespräche entwickeln sie im Grunde drei Hypothesen: (1) Gott existiert vielleicht, aber er existiert für diejenigen, die an ihn glauben; (2) Gott existiert nicht, ein Gedanke, der Cutshaw den Start ins All abbrechen ließ; (3) Gott existiert, was dadurch bewiesen ist, dass ein solch groteskes Konstrukt wie der Mensch existiert und die Welt beherrscht – die Evolution hätte den Menschen längst als Fehlkonstruktion beseitigt.

Die Richtung des Narrativs deutet sich bereits früh an, als die Gelegenheit zur Sünde angesprochen wird. Der Roman ist durchzogen von Gesprächen über Gott, nicht die Frage, ob es Gott gibt, sondern wo er ist, in Konsequenz: warum er uns verlassen hat. Blatty schrieb das Manuskript "Twinkle, Twinkle, „Killer“ Kane" im Jahr 1966. Nach Der Exorzist überarbeitete er es grundlegend und veröffentlichte es 1978 als The Ninth Configuration. Zwei Jahre später führte er Regie bei der Verfilmung, die wenig erfolgreich in den verschiedenen Auswertungsstufen vermarktet wurde.


Fazit

Die Neunte Konfiguration ist ein ungewöhnliches Buch. Zu Beginn ein wenig irritierend, entwickelt es schnell einen Sog in seiner erzählerischen Leichtigkeit und der inhaltlichen Schwere, seinem düsteren Thema und dessen absurder, mitunter grotesker Präsentation. Obwohl es kurz ist, sind die Charaktere gut entwickelt. Es ist kein Buch für zwischendurch oder zur schnellen Lektüre, eher eins zum Mitdenken und Reflektieren. Dabei ist es alles andere als langweilig.


Pro und Kontra

+ Wahnsinn als Ausdruck des Bedeutungsverlusts
+ Bedeutungsgewinn durch Opfer als Handlung, die nicht eigennützig vollführt wird

Wertung:sterne4

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5


Rezension zu Der Exorzist