Katherina Ushachov (04.06.2020)

Interview mit Katherina Ushachov

Literatopia: Hallo, Katherina! Vergangenen Sommer ist Deine SF-Novelle „Stahllilie und der mechanische Löwe“ erschienen. Was erwartet die Leser auf dem Planeten Motis? Und was hat es mit dem mechanischen Löwen auf sich?

katherina ushachov2020Katherina Ushachov: Motis ist ein Eisplanet mit einem aktiven Vulkanismus – die Leser*innen erwartet also Handlung, die überwiegend in Vulkanschächten abläuft, da alles außerhalb sehr lebensfeindlich ist und nur betreten wird, wenn es sein muss. Alles läuft indoor ab, sowohl die Forschung als auch die Freizeitaktivitäten. Der Löwe ist – so viel darf ich verraten, ohne zu spoilern – eine von einem genialen Menschen geschaffene Maschine.

Literatopia: Der Name Stahllilie klingt nach einer Mischung aus Härte und Zartheit. Ließe sich Deine Protagonistin so charakterisieren? Was zeichnet ihre Persönlichkeit aus?

Katherina Ushachov: Sie ist eigentlich eine stille Sportlerin, die sich ihrer Karriere widmet und sich nicht allzu sehr einmischen will. Das Harte und Zarte zeigt sich besonders gut in der Situation, in der Elon sie um Hilfe bittet – sie ist bereit, ihn für falsch gewählte Worte (während eines Kampfes hatte eine gegnerische Person einen tödlichen Unfall) nackt durch die Gladiator*innenschule zu jagen, aber sobald sie erfährt, dass es um ihre Schwester geht, verhält sie sich ganz anders.

Literatopia: Deine Romane „Zarin Saltan“ und „Der tote Prinz“ gehören zur Romanreihe der Märchenspinnerei. Wie bist Du zu der Autorinnengruppe gestoßen? Und wer gehört noch dazu?

Katherina Ushachov: Ich bin eine Person, die in alle Organisationen und Vereinigungen eher „reinrutscht“ – eigentlich haben wir im „Tintenzirkel“ (das ist ein von Maja Ilisch gegründetes Forum für Autor*innen) einfach nur darüber geredet, dass uns das Klischee stört, im Selfpublishing könne keine Qualität entstehen und dann darüber geredet haben, dass man doch auch im Selfpublishing sich mal richtig gegenseitig upliften könnte, enger verzahnt, als dies bei eher losen, reinen „Wir werben auf Facebook für unsere Bücher, die aber sonst nicht viel miteinander zu tun haben“-Gemeinschaften der Fall ist. Und obwohl ich zu dem Zeitpunkt (2016) für mich Selfpublishing eigentlich ausgeschlossen hatte, war ich schon länger eine begeisterte Leserin und habe eigentlich fast nichts mehr aus den klassischen Publikumsverlagen gekauft. Seit ungefähr 2013 schon. Da fiel das Ganze auf fruchtbaren Boden und ehe ich mich versah, war ich mittendrin beim Gründen der Märchenspinnerei.

Eine Liste aller Autorinnen in der Gruppe findet sich hier: http://maerchenspinner.layeredmind.de/autoren/

Literatopia: Welches Märchen hast Du Dir bei „Der tote Prinz“ zum Vorbild genommen? Und wie wurde daraus dystopischer Steampunk?

stahllilieKatherina Ushachov: Das war „Das Märchen von der toten Zarewna und den sieben Recken“, umgangssprachlich auch oft „die tote Prinzessin“ genannt und unter diesem Namen vielleicht etwas bekannter. Wie daraus dystopischer Steampunk wurde, ist bei mir immer schwer zu sagen – ich notiere mir zwar oft Zwischenschritte meiner Ideen, sodass ich sie meistens in irgendeiner Form nachvollziehen kann, aber mir fehlt zumindest der Zwischenschritt der „Genrewahl“ in meinen Notizen komplett.

Ich kann zumindest sagen, dass der Satz „Mein Setting: Eine dystopische, postapokalyptische Welt. Einzelne Territorien werden von Warladys regiert, weite Teile der Erde sind unbewohnbar. Es herrscht das Matriarchat“ bereits seit dem 09.01.2017 so in meiner Notiz stand und zwischen diesem Pitch und einer groben Vor-Zusammenfassung des Plots (an dem ich nicht mehr viel geändert habe), verging ungefähr eine Viertelstunde.

Ich kann also leider nicht sagen, wie genau das Genre zustande kam.

Literatopia: Wie sieht Elessas Leben inmitten rivalisierender Warladys aus? Und was erwartet sie außerhalb des Palastes?

Katherina Ushachov: Sie ist eine verwöhnte Göre, irgendwo zwischen Wohlstandsfrust, der dazu führt, dass sie sich aus dem Hause schleicht, um mit den Ärmsten im Müll zu wühlen (und ihre Funde ihnen zu überlassen) und Unverständnis feststeckt. Sie will von ihrer Mutter aufrichtig geliebt werden und nicht immer dann mit Geschenken bestochen, wenn etwas von ihr gewollt wird. (Ihre Mutter hat gute Gründe für ihre Agenda, aber eine Fünfzehnjährige will trotzdem Liebe) Sie wird dazu ausgebildet, selbst Warlady zu werden – also eine Armee in den Krieg zu führen, eine Plastikrüstung zu tragen … was dazu gehört. Und sie weiß, dass ihre Mutter jederzeit sterben könnte, sodass sie dann die Nachfolge anzutreten hat.

Außerhalb des Palastes erwartet sie die Außenwelt, die über die mageren Worte, die sie bereits betreten hat, hinausgeht. Elessa kennt einen Müllberg in der Nähe des Palastes, hat sich aber nie zu Fuß auf den Weg gemacht und weiß somit nichts. Weder, wie sie sich schützt, noch wie sie sich zu verhalten hat, um nicht aufzufallen.

Literatopia: Was reizt Dich persönlich an Märchen? Und hast Du vielleicht ein Lieblingsmärchen, das Deine Eltern Dir als Kind tausend Mal vorlesen mussten?

Katherina Ushachov: Das war „die tote Prinzessin“ – mich haben makabre Geschichten mit Identitätsverlust („Il pianeta degli alberi di Natale – „Der Planet der Neujahrsbäume“ – von Gianni Rodari) oder eben Mordanschlägen und Glassärgen (wie „die tote Prinzessin“) schon als Kind gereizt.

Ich liebe an Märchen, dass sie, wenn man sie auf ihre archetypischen Ursprungsbedeutungen herunterbricht, oft zeitlos sind. Man muss sie lediglich in einen neuen Kontext stellen. (Nehmen wir als Beispiel Schneewittchen – wenn man von der psychoanalytischen Interpretation ausgeht, in der der Tod der Stiefmutter durch rotglühende Pantoffeln bedeutet, dass mit dem Erwachsenwerden – symbolisiert durch eine Hochzeit – die kindischen und unreifen Neid-Aspekte aus der Kind-Person ausgebrannt werden sollten, wird dies zu einer Parabel aufs Erwachsenwerden).

Ich beschäftige mich mit Sachtexten zu den verschiedenen Lesarten und Deutungsaspekten von Märchen und lerne dabei sehr viel, das ich dann nach Möglichkeit in meine Adaptionen einbaue.

der tote prinzLiteratopia: Was sind Deiner Meinung nach die wichtigsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen russischen Märchen und der Sammlung der Gebrüder Grimm?

Katherina Ushachov: Im deutschsprachigen Raum eher weniger bekannt, gibt es auch russische Märchensammlungen, ich habe dazu diesen Gastbeitrag geschrieben: https://www.randompoison.com/2017/08/03/russische-maerchen/. Märchen zu sammeln, war im neunzehnten Jahrhundert ein internationales Zeitgeistphänomen – sowohl in den damaligen deutschsprachigen Territorien als auch im russischsprachigen Raum. Die Sammelnden waren dabei in beiden Fällen Wissenschaftler, besonders Afanassjews frühe Sammlungen dienten ausschließlich Forschungszwecken. (Es gibt auch von den Grimms beispielsweise eine Sammlung „Irische Elfenmärchen“ mit einem literaturwissenschaftlichen Nachwort) Das Sammeln und Kuratieren von „einheimischen Märchen“ um daraus den „Geist des Volkes“ zu destillieren, war eng mit der im neunzehnten Jahrhundert aufkommenden Nationalstaatsidee bzw. generell dem entstehenden Konzept von so etwas wie „Nation“, „Nationalstaat“ verknüpft.

Natürlich unterscheiden sich somit die im einzelnen gesammelten Märchen von einander, auch wenn Forscher*innen inzwischen verbindende Märchenarchetypen ermittelt und Märchen anhand dieser Gruppen zugewiesen haben. Aber sowohl die Methodik, als auch die ursprünglichen Zwecke der Sammlungen sind in beiden Fällen ähnlich.

Interessant wird es bei hybriden Geschichten – ich erwähne in meinem Gastartikel Puschkin, der sowohl selbst Versmärchen schrieb (dabei aber durchaus auf Volksmärchen und deren Motive zurückgriff), als auch eigene Sammlungen anfertigte, die er vor seinem Tod einem anderen Sammler übergab.

Unterschiede gibt es in charakteristischen Details – russische Märchenfiguren haben sehr oft Eigennamen, die gleichzeitig Archetypen darstellen, ermöglichen gleichzeitig aber auch eine Form des „Shared Universe“, bei dem man einfach sagen könnte, dass die gleiche Hexe in mehreren Märchen auftaucht und das, in dem sie besiegt wird, in der Chronologie dann wohl zuletzt einsortiert wird. Für mich als begeisterte Adaptorin von Märchen geradezu ein Buffet an Sujets und Möglichkeiten.

Literatopia: Egal ob Gedicht, Kurzgeschichte, Novelle oder Roman, Du hast Dich bereits in vielen Formen ausgedrückt. Kommst Du mit allen Formen gleich gut zurecht oder fällt es Dir bei Kurzgeschichten zum Beispiel schwer, Dich kurz zu fassen?

Katherina Ushachov: Ich habe meist keine Probleme, mich kurz zu fassen – mir bereiten in der Regel Mindestwort- oder Zeichenvorgaben weitaus größere Probleme, als Maximalwortzahlen, die ich meist nicht einmal ansatzweise erreiche. Lyrik ist ein Genre, das mir meist einfach passiert und bei dem ich den geringsten Druck habe – entweder es kommt ein Gedicht oder es kommt keins. Bei Ausschreibungen schaue ich also meist meinen Fundus durch (ich habe eine dreistellige Anzahl an Gedichten geschrieben, von denen bisher nur ein Bruchteil veröffentlicht wurde).

Bei Kurzgeschichten habe ich, wie gesagt, öfter Probleme damit, dass meine Rohfassungen zu kurz sind und ich zusehen muss, ob ich sie auf die notwendige Länge bekomme, ohne zu schwafeln. Manchmal waren die Diskrepanzen zwischen der geforderten Mindestzahl und meiner mehrfach überarbeiteten Fassung immer noch so hoch, dass ich es einfacher fand, eine zweite Geschichte zu schreiben und einzuschicken, als an der einen weiter irgendwelche Verlängerungen zu machen. (Ich weiß, dass die meisten Autor*innen mit dem gegenteiligen Problem hadern.)

Bei Romanen und Novellen habe ich dieses Problem meist nicht – die werden dann einfach so lang, wie sie werden und ich ordne sie dann nach Wesensmerkmalen. „Stahllilie“ ist eine Novelle, weil es dort ein starkes Dingmotiv gibt, um das sich die gesamte Handlung rankt und das sehr stringent durchgezogen wird. „Zarin Saltan“ dagegen ist ein Kurzroman, da er alle Merkmale des Romans aufweist – allerdings einfach kurz (unter 150 Seiten) ist.

zarin saltanLiteratopia: Du arbeitest auch als Lektorin für Selfpublisher und Kleinverlage. Beeinflussen Dich die lektorierten Werke als Autorin? Zum Beispiel indem Du Fehler erkennst, die Du selbst machst, oder siehst, was besonders gut funktioniert?

Katherina Ushachov: Also auf alle Fälle findet hier ein gegenseitiges Beeinflussen insofern statt, dass ich Fehler, die ich selbst schon häufig gemacht habe (und angemerkt bekam) besonders gut bemerke und dann, ja, wiederum Fehler, die mir in Manuskripten auffallen, im eigenen Schreiben nicht mehr mache.

Den Effekt gibt es auf alle Fälle. Den umgekehrten eher weniger, weil ich in meinen schreiberischen Entscheidungen bisweilen sehr eigenwillig bin und was für andere funktioniert, für mich oft unter „Ja, formal/handwerklich ist das toll, aber ich selbst würde das so nicht machen.“

Literatopia: Alias Evanesca Feuerblut betreibst Du Deinen eigenen Blog – was finden neugierige Leser*innen dort?

Katherina Ushachov: Ich habe den Blog ursprünglich 2007 gegründet, weil eine Mitschülerin einen hatte und ich das Konzept cool fand. Also … habe ich mir auch einen geholt. Entsprechend hat es nie ein übergeordnetes inhaltliches Konzept gegeben. Die alten Postings aus der Gründungszeit sind inzwischen zu großen Teilen auf „privat“, aber man sieht, was mich ungefähr seit 2011 so bewegt hat. Es gibt einen Leitfaden zum Gründen und Führen eines Forums, Gedanken über Ereignisse in der Ukraine aus dem Jahre Schnee und sehr viel #Autor_innenleben. Prinzipiell kann sich aber so gut wie jedes Thema darauf verirren.

Außerdem habe ich einen ausführlichen „Homepageteil“ mit Infos rund um meine Bücher. Da gibt es viel – Rezensionen, Zusatzmaterial, Hintergründe.

Literatopia: Du bist eine begeisterte Leserin. Welches Buch hat Dich zuletzt so richtig umgehauen?

Katherina Ushachov: „Myrie Zange – die Symmetrie der Schneeflocken“. Das Buch kann man ausschließlich bei der Schreibperson oder als Gratisdownload auf der Seite der Schreibperson beziehen, da es seys Anliegen ist, dass das Buch theoretisch für alle frei zugänglich ist (nach dem Freeware-Gedanken). Es ist hier verfügbar: https://www.karlabyrinth.org/stories/Myrie.html 

Das Buch ist etwas Besonderes.

Literatopia: Musik gehört für Dich zum Schreiben. Was findet sich beispielsweise auf Deiner Vampirplaylist? Und welche Songs passen zu Steampunk?

Katherina Ushachov: Meine Vampirplaylist funktioniert nach diesen Prinzipien: - Das Lied muss entweder inhaltlich mit Vampiren zu tun haben, aus einem größeren Kontext mit Vampirbezug stammen (zum Beispiel aus passenden Musicals) oder zumindest mit etwas Fantasie so interpretierbar sein.

- Das Lied muss mir gefallen.

Dadurch handelt es sich um einen ziemlich wilden Genremix. Ich habe mehrere Sprachversionen von „Tanz der Vampire“ (die sich bisweilen im Text sehr stark unterscheiden, das ist spannend!), das Dracula-Musical mit Lyn Liechty, einen Balkanpopsong (bei dem das Vampirwort das einzige ist, was ich daran verstehe), viel Metal und lustige Lieder, wie „Lesbian Vampires from Outer Space“.

Mir ist dabei tatsächlich sehr wichtig, dass ich mitsingen kann und auch mal ein wenig tanze, das ist eine willkommene Auflockerung beim Schreiben und recht willkommen.

Was ich nicht mache, ist, Musik spezifisch auf Genres ausrichten. Die Vampirplaylist höre ich einfach zu so gut wie allem. Daher habe ich auch keine dezidierte Steampunk-Musik.

Literatopia: Durch die Corona-Krise hat sich schon so manche Veröffentlichung verschoben, teilweise sind sogar Verträge gar nicht zu Stande gekommen. Wie ist es Dir ergangen?

2146 die verfolgtenKatherina Ushachov: Ich hatte Glück. Bei mir hat sich nichts in dieser Hinsicht geändert. Allerdings habe ich als Hybridautorin den Vorteil, dass meine Veröffentlichungen entweder meinem eigenen Zeitplan folgen oder dem Plan eines flexiblen Kleinverlags. Andere Kolleg*innen hatten deutlich weniger Glück.

Literatopia: Kannst Du uns abschließend einen kleinen Ausblick auf kommende Veröffentlichungen geben?

Katherina Ushachov: Derzeit schreibe ich an „Stahllilie 2“. Außerdem veröffentliche ich derzeit alle zwei Wochen ein Kapitel des Young-Adults „R0mEO und Julz“ auf Patreon. Sobald die Veröffentlichung dort abgeschlossen ist, soll es auch als Buch erscheinen. Das eBook-Cover ist bereits erworben, allerdings soll das Buch neben dem Lektorat auch Sensitivity Reading durchlaufen und das dauert ein bisschen.

Ein weiteres Projekt ist für dieses Jahr geplant, ich kann aber gerade nicht absehen, wann ich das verkünden kann.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!


Autorenfoto: Copyright by Katherina Ushachov

Autorenblog: https://feuerblut.com 


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.