Ace in Space (Judith und Christian Vogt)

Achje Verlag (Juni 2020)
Klappenbroschur, 460 Seiten, 16,99 EUR
ISBN: 978-3947720477

Genre: Science Fiction / Space Opera / Cyberpunk


Klappentext

Sag deinen Followern, wer du bist.
Sei, was du im Datanet darstellst.
Und dann: Dare to fly!

Desillusioniert von ihrem Heimatkonzern Hadronic Inc. flieht die Pilotin Danai mitsamt gestohlenem Raumjäger zur Jockey-Gang ihrer Mutter. Marlene „Deardevil“ führt die Daredevils an – Fliegerasse, die ihre Stunts und kleinkriminellen Aufträge direkt ins Datanet streamen und von ihren Followern dafür geliebt werden.

Danai hat wenig Lust auf Follower und Social Media, aber Fliegen kann sie wie der Teufel. Der Daredevils-Anwärter Kian braucht ihr Talent für eine Stuntflugshow, die verschleiern soll, dass sie einer unabhängigen Siedlung auf Valoun II gegen die Luftangriffe eines Megakonzerns helfen – genauer gesagt: gegen Hadronic Inc.

Und so navigiert Danai mit vollem Schub in den Konflikt zwischen Anonymität, Ruhm und Zivilcourage, zwischen Kian und seine Ex-Freundin Neval, zwischen die Egos der Daredevil-Jockeys und die Fallstricke ihrer eigenen Persönlichkeit.


Rezension

Konzernpilotin Danai ist schwer enttäuscht von ihrem Arbeitgeber Hadronic Inc. und desertiert – zusammen mit ihrer Slipstream, einem Raumjäger, der bei der Jockey-Gang ihrer Mutter Eindruck schindet. Die Daredevils sind kriminelle Influencer, die ihre Runs streamen und sich als heldenhafte Gesetzlose inszenieren, die den Konzernen kräftig einheizen, während sie nebenbei Drogen verticken. Danai legt keinen Wert auf Follower und Likes, auch hat sie kein gutes Gefühl bei den illegalen Aktionen, doch die Daredevils bieten ihr Schutz und sie kann das tun, was sie mehr als alles andere liebt: fliegen. Anwärter Kian passt es gar nicht, dass Danai sofort Vollmitglied wird, und fordert sie heraus. Er staunt nicht schlecht, als die „Prinzessin“ sich als krasses Fliegerass entpuppt. Bald wird er ihr Talent dringend brauchen, denn seine Ex hat sich gemeldet: Sie steckt mitten in einem Krieg auf Valoun II, einem ressourcenreichen Mond, um den sich Hadronic mit einer irren Sekte streitet …

“Ace in Space“ ist der Roman zum Rollenspiel „Aces in Space“ – Vorkenntnisse sind jedoch nicht nötig. Die wichtigsten Begriffe aus dem Jockey-Slang werden kurz erklärt und dann geht’s auch schon los mit einer actiongeladenen Story voller Stunts, Raumkämpfe und Social-Media-Ruhm. In der Zukunft teilen Großkonzerne den Weltraum unter sich auf; sie sind quasi die neuen Staaten, die um Gehorsam und Macht ringen. Dazwischen gibt es sogenannte Free-Turfs, in denen unter anderem Jockey-Gangs Zuflucht finden. Sie leben von ihren Followern, Sponsoring und kriminellen Nebengeschäften. In den Gangs gibt es Fliegerasse, Mechaniker, Social-Media-Profis und jede Menge Streit und Angeberei. Doch wenn es hart auf hart kommt, können sich die Jockeys aufeinander verlassen.

Die Social Media der Zukunft ähneln unseren, wie man an Begriffen wie Gramstar, Yologram und Spacebook erkennen kann. In den Romantext sind immer wieder Ausschnitte aus diesen Social Media eingestreut: Kurze Beschreibungen von Videos, Fanfictions und Kommentare voller Fanliebe und Häme. Das funktioniert so gut, dass man sich noch mehr davon gewünscht hätte. Während in anderen Romanen die Charaktere oftmals wie Digital Immigrants wirken, sind sie hier tausendprozentige Digital Natives, die postkoitale Selfies posten, Tattoosessions live streamen und ihre Zukunftspläne an möglichen Likes ausrichten. Auch Kriegshandlungen werden im Datanet live verfolgt und lösen große Betroffenheit aus – die schnell vergessen ist, wenn ein cooleres Video um die Ecke kommt. Also alles wie bei uns. Social Media helfen, auf Unrecht aufmerksam zu machen und Verbündete zu finden, aber sie offenbaren auch hässliche Abgründe und Oberflächlichkeit.

Kian geht in der Jockey-Kultur und der Sucht nach Likes voll auf. Als Anwärter betreut er die Social-Media-Kanäle der Gang, schneidet Videos und erfindet passende Geschichten für jede Situation. Auf Danai wirkt er zunächst wie ein angeberischer Idiot, doch sie erkennt bald, dass unter seinen türkis leuchtenden Tattoos mehr steckt als eine große Klappe. Kian entstammt einem Nomadenvolk und hat eine besondere Verbindung zu den Sternen. Wie Danai fühlt er sich mitten im All am wohlsten. Die Pilotin muss sich vom ersten Tag an mit Anfeindungen auseinandersetzen, da ihre Mutter Marlene „Deardevil“ sie– ohne es mit ihr abzusprechen – zum Vollmitglied macht. Danais Stottern ist die perfekte Angriffsfläche, doch sie hat gelernt, sprachliche Schwierigkeiten zu umschiffen und ihre Fliegerkünste ersticken die dummen Sprüche bald. Während die Daredevils sie nach und nach akzeptieren, hat Danai mit ihren eigenen Dämonen und Fehlern der Vergangenheit zu kämpfen.

Die dritte Protagonistin ist Kians Exfreundin Neval, die ihr Jurastudium geschmissen hat und nun Siedler auf Valoun II unterstützt. Diese leiden unter Angriffen der Gater-Sekte, die besessen von einem Element sind, das für Wurmlochreisen benötigt wird. Hadronic macht keinen Unterschied zwischen Siedlern und Gatern und bombardiert einfach beide. Eigentlich könnte Neval zu ihrer Familie zurückkehren und in Ruhe und Frieden leben, doch sie würde sich dabei schäbig vorkommen. Sie muss einfach helfen. Neval und Danai sind schnell fasziniert voneinander, doch Danai findet auch Kian reizvoll. Zwischen den dreien entwickelt sich eine Dreiecksgeschichte, die mit heteronormativen Klischees bricht. Die Charaktere sagen sich gegenseitig, was sie wollen – und was nicht. Das Motto der Jockey-Gangs „no fomo“ (no fear of making out / keine Angst, herumzumachen) leben sie in vollen Zügen aus. Die Leserschaft freut sich währenddessen über ein paar heiße Sexszenen.

Neben Kian, Danai und Neval gibt es eine Vielzahl schriller Jockeys, Social-Media-Persönlichkeiten und hartgesottenen Siedlern verschiedener Geschlechter. Auch wenn die Zukunft im All tendenziell dystopisch ist und innerhalb der Gangs eine toxische Stimmung herrscht, so zeigen die meisten einen überraschend großen Respekt vor den Lebensvorstellungen anderer. Nichtbinäre Personen gibt es wie Männer und Frauen in jeder gesellschaftlichen Position und niemand stört sich an den sexuellen Vorlieben anderer. Leider bleiben manche Nebencharaktere erstaunlich blass. Normalerweise reichen den beiden Autor*innen einzelne Sätze, um selbst kleinste Rollen bedeutsam und authentisch zu gestalten, doch dieses Mal ist ihnen das nur teilweise gelungen. Das betrifft insbesondere die Siedler auf Valoun II, aber auch einzelne Daredevils, die neben ihren Kolleg*innen kaum auffallen.

Was “Ace in Space” vor allem auszeichnet ist das Gefühl der perfekten Immersion. Egal welches phantatische Setting, ob Steampunk, napoleonische Fantasy, Postapokalypse oder Weltraumabenteuer, Judith und Christian Vogt gestalten ihre Welten mit so vielen Details bezüglich Alltag, Historik und Sprache, dass die Leser*innen vollständig darin versinken und großartiges Kopfkino genießen können. Der Jockey-Slang geht schnell ins Blut über und auch die Begriffe, die nicht explizit erklärt werden, sind leicht zu verstehen. Hochentwickelte Künstliche Intelligenzen gibt es übrigens nicht, da ein Virus verhindert, dass sie KIs zu schlau werden. Die Menschen müssen sich also um vieles selbst kümmern. Dafür sind sie mit jeder Menge Cyberware ausgestattet und man könnte „Ace in Space“ auch als Cyberpunk in Space beschreiben, insbesondere auch durch den Kontrast zwischen derben Flüchen, Slang und gelungener Metaphorik.

Im Nachwort schreiben die Autor*innen, dass der Roman für die größeren Verlage zu speziell gewesen sei. Dabei ist „Ace in Space“ genau das, worauf man bei jedem neuen Programm hofft: Moderne Science Fiction, die mit Klischees spielt und bricht und aktuelle Themen bedient. Der Roman hat beim Achje Verlag ein schönes Zuhause gefunden und das Klappenbroschur sieht schlicht phantastisch aus. Man sieht einfach, dass sich hier viele Menschen sehr viel Mühe gegeben haben und da könnte sich manch großer Verlag eine Scheibe abschneiden.


Fazit

”Ace in Space“ hat Stil UND Substanz – und drei coole Protagonist*innen, die ihren Weg zwischen heuchlerischen Konzernen und kriminellen Gangs finden müssen. Spektakuläre Flugstunts im All, leuchtende Cyberware, Technobabble und physikalische Phänomene erfreuen die Herzen von SF-Fans, doch darüber hinaus haben Judith und Christian Vogt viel zu sagen – und halten Social-Media-Nutzern den Spiegel vor.


Pro und Contra

+ drei supercoole Protagonist*innen
+ actiongeladener Mix aus Space Opera und Cyberpunk
+ tolles Worldbuilding mit vielen entscheidenden Details
+ tempo- und actionreich erzählt
+ Licht- und Schattenseiten des Social-Media-Ruhms
+ eingestreute Kommentare, Fanfictions und Videobeschreibungen
+ politisch, divers und gesellschaftskritisch
+ heiße Erotik abseits heteronormativer Klischees
+ tolle Gestaltung des Buches

o viel derbes Gefluche, das zum Setting passt

- manch Nebencharakter bleibt zu blass

Wertungsterne4.5

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5


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Tags: Cyberpunk, Space Opera, Judith C. Vogt, Christian Vogt, Ace in Space, queere Figuren, nicht-binäre Autor*innen, progressive Phantastik, deutschsprachige SF