Carsten Steenbergen (07.07.2020)

Interview mit Carsten Steenbergen

Literatopia: Hallo Carsten, auf deinem Instagram-Feed sieht man immer wieder Kaffeetassen: Wie viel davon brauchst du täglich, und wie bevorzugst du deinen Kaffee?

Carsten Steenbergen: Hallo Swantje, direkt so eine private Kaffeefrage, das Lebenselixier für alle, die mit Worten hantieren.  ;) Gibt natürlich auch Schwarztee, andere bevorzugen vielleicht doch Absinth oder Milch oder auch … wie auch immer. :)

"Brauchen" ist so ein starkes Wort. Ich genieße morgens gern genau eine Tasse. Und wenn dabei ein spannendes Motiv herauskommt, gibt es obendrauf ein Kreativfoto. Wenn ich aber wirklich mal etwas langsamer im Kopf bin, z.B. schlafmangelbedingt, dann darf es gern eine weitere Tasse sein. Oder gar noch eine. Am liebsten im Aggregatszustand Cappuccino.

Literatopia: Möchtest du ein bisschen über deinen neuesten Roman erzählen?

Carsten Steenbergen: Das kann ich gern machen. "Im Reich des Toten Königs" erzählt die Geschichte des Kusanters Staubner, der unglücklich mit einem Auftragsmörder verwechselt wird und kurzerhand als solcher in einem versteckten Stadtstaat landet, in dem Leben und Regeln so ganz anders funktionieren, als er es kennt. Aufgrund der Umstände kann er dort nicht einfach verschwinden, nicht einmal, als das Überleben aller Bewohner mehr als zweifelhaft wird. 

So weit, so klassisch, als Fantasy-Roman. Das Setting ist ein aufregender Mix aus aztekischer Optik und Religion und indischem Kastenwesen. Auch wenn es ein paar wenige Göttergestalten gibt, verzichte ich vollends auf Magie, Orks, Zwerge oder komplizierte Elfen-Namen, weil ich das gern einmal komplett anders gestalten wollte. Die Besonderheit des Stadtstaates, der Stadt des ewigen Himmels, ist dabei, dass sie sehr hoch in einem namenlosen Gebirge weitab der übrigen Zivilisation besteht und ihre Wasserversorgung aus einer großen Wolke sicherstellt.

Literatopia: Eine Frage zu einem deiner anderen Bücher: Der Entstehungsprozess des Romans „Steamtown“ klingt ebenso ungewöhnlich wie spannend. Kannst du ein bisschen mehr darüber erzählen?

Carsten Steenbergen: Das war es tatsächlich beides: ungewöhnlich vor allem, spannend und gleichsam fordernd. Ausgangspunkt war die Überlegung zwischen Tom und Stephan Orgel (als Autoren bekannt unter dem gemeinsamen Pseudonym T.S. Orgel) sowie mir, endlich einmal gemeinsam etwas zu schreiben. Die einfachste Möglichkeit "damals" war, das im Internet zu tun, in Romanform - und 3x die Woche neue Passagen zu veröffentlichen. Das lief dann gut 9 Monate so, teilweise mit seeeehr viel Zeitdruck. Das Besondere an der Umsetzung von Steamtown war jedoch, dass wir zusammen eine Art discovery writing veranstaltet haben. Jeder von uns hatte sich eine Figur überlegt, die wir als Ermittlerteam in unser steampunkartiges Setting geworfen haben. Dazu hatten wir einen Startpunkt und das Wissen, dass es irgendeine große Verschwörung geben musste. Und dann haben wir angefangen und uns gegenseitig die Erlebnisse der Figuren auf den Tisch gelegt, auf die der jeweilige Autor, der dran war, reagieren musste. Eine aufregende Zeit...

Literatopia: In deiner Bibliographie sind Hörbuchadaptionen von Literaturklassikern zu finden: Wie sieht der Arbeitsprozess bei einer solchen Adaption aus?

Carsten Steenbergen: Dafür suche ich mir eine möglichst alte und rechtefreie Ausgabe, sofern hier keine anderweitigen Lizenzen für eine Umsetzung bereits verhandelt sind. Je nach Umfang der finalen Adaption, also z.B. 70 min Spielzeit oder eben 600 min, gibt es gelegentlich auch weitere Vorgaben zur Anzahl der Figuren/Sprecher.

In einem ersten Schritt lese ich den Klassiker dann und notiere mir in Kurzform, welche Szenen im Roman welche Handlung und welche Figuren beinhaltet. Um anschließend zu entscheiden, was davon essentiell oder eben "verzichtbar" ist. 

Je weniger Spielzeit am Ende angedacht ist, desto mehr muss die Handlung im Roman komprimiert werden. Dabei kann es vorkommen, dass sich zeitliche Abläufe ändern, Dialoge bei anderen Figuren landen, ganze Passagen nicht stattfinden oder sogar ergänzt werden. Der Trick dabei ist, genau das den Hörer nicht merken zu lassen. ;) Die Basisdramaturgie und das "Feeling" des Klassikers muss meines Erachtens nach unbedingt erhalten bleiben. Wenn ich das beim Hören der fertigen Produktion genau so habe, wie beim Lesen des Klassikers, dann bin ich schon mal sehr zufrieden.

Literatopia: Zu deinen Veröffentlichungen gehören Fantasyromane und Thriller: Was macht beim Schreiben dieser beiden Genres besonders viel Spaß und was sind die besonderen Herausforderungen, vor die sie dich stellen?

Carsten Steenbergen: Herausforderung wie Spaß ergeben sich aus den unterschiedlichen Settings.  In der Phantastik kann man sich als Autor so richtig austoben, Dinge, gar ganze Welten erfinden, die in sich stimmig sind und funktionieren. Also ein allumfassendes "Was wäre wenn?", wenn du so willst.

Beim Thriller mag ich den realen Hintergrund, z.B. Orte, die es tatsächlich gibt, zwischenmenschliche und politische Verwicklungen, die man dann weiterspinnen darf.

Beides Genres besitzen allerdings, wie auch alle anderen Genres, ein unverrückbares Element: die Story. Und der ist es nahezu egal, in welchem Setting sie spielt. ;)

Literatopia: Du gehörst zu den Gründungsmitgliedern des Phantastik-Autoren-Netzwerks. Wie kam es zu der Idee, und was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Dinge, die der Verein bisher bewirkt hat?

Carsten Steenbergen: Die Idee, dass die Phantastik in Deutschland eine geeinte und starke Stimme brauchen würde, geisterte vermutlich schon eine ganze Weile unter den engagierten Phantastik-AutorenInnen. Für historische Romane und Liebesromane gibt es einen entsprechenden Verein schon viele Jahre. Das ganze angestoßen haben dann Diana Menschig und Lena Falkenhagen. Zum Gründungstreffen für einen Verein, der den professionellen Autorinnen und Autoren eine Heimat geben sollte, haben sich dann diverse Leute zusammengefunden, unter denen ich dann einer war.

Zu den wichtigen Dingen zählen sicher die Science-Fiction-Lounge "Ursula" auf der Frankfurter Buchmesse, die Präsenz auf der Leipziger Buchmesse mit der Autorenlounge, die jährlich ausgerichteten Branchentreffs zur Phantastik, bei denen Fachvorträge und Workshops angeboten werden. Für mich am Elementarsten ist es aber, dass der Phantastik in ihrer unfassbaren Breite endlich eine starke Stimme in der Branche gegeben wird.

Literatopia: Welche spannende Erfahrung verdankst du dem Fakt, dass du Bücher schreibst?

Carsten Steenbergen: Ich glaube, die markanteste, neue Erfahrung ist sicherlich der Umstand, dass ich damit auf der "Bühne" gelandet bin. Und das als von Haus aus eher ein Mensch, der nicht unbedingt im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen muss. :)

Lesungen zu geben ist für jeden Autor sicherlich erst einmal eine Herausforderung, ein Teil des Jobs, an den man sich gewöhnen darf. Allerdings hätte ich niemals geahnt, dass mich das u. a. zu Live-Hörspielen bringt, die ich selbst inszeniert habe, oder gar zu den einigermaßen abgedrehten Dingen, die ich mit meinem Kollegen Christian von Aster so verzapfe: Auftritte als Timo von Spitz oder Bruder Kevin, die oft aus Spontanität heraus geboren werden, aber ungemein Spaß machen. Und ich fürchte, da wird in der Richtung noch einiges mehr kommen. :)

Ab und an betätige ich mich mit kleinen Rollen in Hörspielen und kann kaum erwarten, wenn oben erwähntes "Steamtown" ebenfalls als Hörspiel erscheint, in dem ich dann einem der Hauptcharaktere meine Stimme leihen durfte.

Nun aktuell auch noch auf twitch in Talkrunden mitzumischen, sofern man mich lässt, ist ein weiteres Ding in dieser Richtung. Mir macht das ungemein Laune.

Literatopia: Hat dich in letzter Zeit ein Buch begeistert? Welches war es und warum?

Carsten Steenbergen: In letzter Zeit ist relativ ... :)

Gefühlt habe ich in diesem Jahr ausschließlich Bücher gelesen, an und mit denen ich dann gearbeitet hab. Da fehlt dann das private Lesevergnügungsbegeistern etwas. Mir gefiel davon jedoch die "Baker Street" Reihe von Ben Aaronovitch recht gut, da sie den Umgang mit Göttern und Geistern in der normalen Welt einmal von einem anderen Blickwinkel bearbeitet hat. Und zudem eine gewisse Spur an Humor beinhaltet. :)

Literatopia: Und zum Abschluss: Was kannst du über die Projekte verraten, die bei dir gerade in Arbeit oder in Planung sind?

Carsten Steenbergen: Fast auf der Zielgeraden ist der neue Ghostsitterband. Vor einiger Zeit trat Tommy Krappweis an mich heran und fragte, ob ich Lust und Zeit hätte, aus den Ghostsitter-Hörspielen Romane zu machen. Also dieses Mal anders herum adaptieren. :) Meines Wissens erscheint der Roman dann im Herbst bei Edition Roter Drache. Weitere werden wohl folgen.

Aktuell arbeite ich an meinem ersten Jugendbuch, ein echtes Abenteuer, das für 2021 bei Ueberreuter geplant ist. Genug zu tun ist also, bevor ich dazu komme, mich über  ... wir hieß das Wort noch ... beklagen? Langeweile oder so ähnlich. ;)

Literatopia: Danke für das Interview.


Autorenfoto: Copyright by Jean Kerry

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Dieses Interview wurde von Swantje Niemann für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.