Cyber Trips (Marie Graßhoff)

Bastei Lübbe (2020)
Taschenbuch, 445 Seiten, 15,00 EUR
ISBN: 978-3-404-20967-5

Genre: Cyberpunk / Solarpunk / Military-SF


Klappentext

Ein Supersoldat, der das Kämpfen aufgeben will
Ein Träumer, der einen Alptraum lebt
Ein Untergrundkämpfer, der verfolgt wird
Eine Jägerin, die mit einer Maschine verhandelt

Es ist das Jahr 2101. Die Menschheit führt einen verzweifelten Kampf gegen eine außer Kontrolle geratene Künstliche Intelligenz namens KAMI. Bestehend aus einem Schwarm Nanocomputern, befällt KAMI wie ein Virus Menschen und verwandelt sie in hyperfunktionale Cyborgs, sogenannte Moja. Um sie auszuschalten, hat die Weltregierung eine Bombe abgeworfen. Doch KAMI überlebte – ein herber Rückschlag.

Sofort tritt ein Notfallplan in Kraft, und Millionen von Menschen werden evakuiert. Während auf der ganzen Welt nach einem Heilmittel gegen das technologische Virus geforscht wird, versucht die Kämpferin Andra hingegen Kontakt mit KAMI aufzunehmen – überzeugt davon, dass das Programm eine Persönlichkeit entwickelt hat.


Rezension

Die Künstliche Intelligenz KAMI hat sich in einer jungen Frau manifestiert und spürt nun zum ersten Mal den Wind auf ihrer Haut. Überwältigt von den Eindrücken, zieht KAMI los, um die Sperrzonen zu öffnen und endgültig alle Menschen in Cyborgs = Moja zu verwandeln – um ihnen Frieden zu bringen. Denn KAMI ist überzeugt davon, dass die Menschheit immer wieder neues Leid hervorruft und vor sich selbst gerettet werden muss. Doch die Menschen wollen keine willen- und emotionslosen Moja werden und wehren sich verbissen gegen die übermächtige KI, die sich mittels Nanoncomputern in Menschen einnistet und sie kontrolliert. Auch Soldat Flover ist inzwischen von KAMI infiziert, doch er verwandelt sich nicht in einen Moja. Kadett Luke versucht daher alles, um seinen Freund zu retten, und überredet ihn zum Undenkbaren: Sie suchen Schutz bei DMV, jener Gruppierung, die KAMI für einen Maschinengott hält und unbedingt infiziert werden will …

Während Flover und Luke verzweifelt ums Überleben kämpfen, träumt Jägerin Andra wieder von KAMI. So reift in ihr die Idee, mit der KI zu reden, denn sie ist überzeugt davon, dass diese eine Persönlichkeit entwickelt hat. Es ist ein verzweifelter Versuch, denn nicht einmal Bomben können der KI etwas anhaben. Andra will so vor allem verhindern, dass Okijen weiter kämpfen muss. Der Supersoldat ist zwar unfassbar stark, doch er verabscheut den Kampf und leidet unter seiner Vergangenheit. Auch wenn die Moja als tote Menschen gelten, so kommt er nicht darüber hinweg, so viele von ihnen getötet zu haben. Die Weltregierung besteht jedoch darauf, dass sein größtenteils kybernetischer Körper ihr Eigentum sei und zwingt ihn erneut zum Kampf.

“Cyber Trips“ führt die Geschichte aus "Neon Birds“ nahtlos fort, wirkt in der ersten Hälfte jedoch sehr bemüht. Der erste Band endete mit einem großen Knall und nun müssen die Charaktere erst neue Kräfte sammeln. Vor allem Flover ist von seiner Infektion stark mitgenommen und wenn Luke nicht bei ihm wäre, würde er aufgeben, sich stellen und erschießen lassen. Ihre Freundschaft leidet darunter, dass Luke Flover lange über seine wahren Beweggründe, zum Militär zu gehen, belogen hat, denn er ist der Zwillingsbruder der jungen Frau, die nun KAMIs Hauptwirt ist. Flover und Luke haben damit die spannendste Ausgangsposition für diesen zweiten Band, doch sie bekommen deutlich zu wenig Screentime. Insbesondere Flover verblasst zunehmend, dabei ist sein innerer Konflikt besonders interessant.

Marie Graßhoff konzentriert sich stärker auf Okijen und Andra, deren aufflammende Gefühle nun deutlich zu bemerken sind. Andra hat seit ihrer Kindheit eine besondere Verbindung zu KAMI und will diese nun nutzen, allerdings gibt es noch einige Geheimnisse aus ihrer Vergangenheit, die im dritten Band wohl eine Rolle spielen werden. Okijen wird im Klappentext zwar als „Supersoldat, der das Kämpfen aufgeben will“ beschrieben, doch in „Cyber Trips“ spürt er neuen Kampfgeist in sich, da er Andra beschützen will. Auch wird KAMI immer mächtiger und je mehr Menschen zu Moja werden, desto mehr kämpft Okijen darum, die Überlebenden zu schützen. Zudem rückt Okijens Ex-Freundin und Mechanikerin Byth mehr in den Vordergrund. Einige Kapitel werden aus ihrer Perspektive erzählt – zu wenige, im Anbetracht der Wichtigkeit ihrer Person am Ende.

Das Setting ist nach wie vor spannend und der Kampf gegen KAMI spektakulär, doch die Story leidet zunehmend darunter, dass wichtige Technologien wie das Teleportieren, also die titelgebenden Cyber Trips, unzureichend erklärt / dargestellt werden. Es erscheint mehr wie Magie, dass die Charaktere von einer Stadt zur nächsten springen. Auch Okijens und KAMIs Fähigkeiten erscheinen geradezu magisch, auch wenn sie eine technische Grundlage haben, die sich der Leserschaft entzieht. Und dann wären da noch die wenigen Mitglieder der Weltregierung, die zwar im späten 21. Jahrhundert einen Zweiten Kalten Krieg beendet haben, aber weniger wie erfahrene, vernünftige Militärs, sondern wie zu junge und gefährliche Narzissten rüberkommen und so zu blassen Antagonisten werden.

„Cyber Trips“ hat als zweiter Band damit zu kämpfen, dass die Ereignisse des ersten Bandes aufgearbeitet und die des finalen dritten Bandes vorbereitet werden müssen. Darunter leiden viele Trilogien und bei den meisten fällt der zweite Band somit schwächer aus – leider auch hier. Erst im letzten Drittel gelingt es Marie Graßhoff, zur Form von „Neon Birds“ zurückzufinden und ihren Leser*innen ein spannendes, mitreißendes Finale zu bieten, das die Karten für „Beta Hearts“ neu mischt.


Fazit

”Cyber Trips“ kann die Erwartungen nicht ganz erfüllen, zu chaotisch liest sich die erste Hälfte. Das Setting zwischen Cyber- und Solarpunk ist nach wie vor reizvoll und in der zweiten Romanhälfte gelingt es Marie Graßhoff endlich, die Leser*innen wieder mitzureißen und zu überraschen – und Mechanikerin Byth schürt Neugier auf den dritten Band.


Pro und Contra

+ spannender Mix aus Cyberpunk und Solarpunk
+ Mechanikerin Byth rückt in den Kreis der Protagonisten
+ Okijen ist nach wie vor ein echter Sympathieträger
+ KAMIs Erleben der Körperlichkeit
+ auch Tiere werden von KAMI infiziert
+ spektakuläres Finale, das die Karten neu mischt

- diesmal geraten Flover und Luke zu stark in den Hintergrund
- spürbar schwächere erste Hälfte
- Fähigkeiten von KAMI, aber auch Okijen wirken zu magisch

Wertungsterne3.5

Handlung: 3/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5


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Tags: Cyberpunk, Solarpunk, Marie Graßhoff, Künstliche Intelligenz, SF-Autorinnen, Military-SF, deutschsprachige SF