Birgit Rabisch (17.07.2020)

Interview mit Birgit Rabisch

birgit rabischLiteratopia: Hallo, Birgit! Im Frühjahr ist eine überarbeitete Neuausgabe Deiner Dystopie „Unter Markenmenschen“ bei duotincta erschienen. Was hast Du im Vergleich zur Version von 2002 verändert? Und inwiefern haben Veröffentlichungen zur Genschere CRISPR/Cas die Überarbeitung beeinflusst?

Birgit Rabisch: Ich habe hauptsächlich stilistische Änderungen vorgenommen und mich ansonsten auf behutsame Aktualisierungen beschränkt wie z.B. das Einfügen eines Jennifer-Doudna-Instituts, benannt nach der Forscherin, die zusammen mit Emmanuelle Charpentier die Genschere CRISPR/Cas entwickelt hat. Aber das nur als diskreten Hinweis darauf, dass wir uns im Roman in einer post-CRISPR-Ära befinden. Als ich ihn vor der Jahrtausendwende geschrieben habe, schien die Möglichkeit, ein Genom zielgerichtet zu verändern noch weit entfernt und meine „Markenmenschen“ waren reine Hirngespinste. Wichtig für die Neuveröffentlichung war mir die Rahmung meiner Dystopie mit einem Vor- und einem Nachwort. Das Vorwort geht auf die Entwicklung in der Gentechnologie seit der Erstveröffentlichung ein und im Nachwort erzähle ich von der Entstehungs-geschichte des Romans, der sich aus sehr unterschiedlichen Quellen und Anregungen speist.

Literatopia: „Unter Markenmenschen“ ist in Form von Tagebucheinträgen der Protagonistin Simone verfasst. Warum hast Du Dich für diese Erzählform entschieden? Was sind ihre Vor- und Nachteile?

Birgit Rabisch: Ich wollte nicht aus der Distanz einer auktorialen Erzählerin schreiben, sondern mich ganz in den Kopf meiner Protagonistin Simone hineinversetzen. Der Nachteil ist natürlich, dass so auch die Leser*innen die Welt nur aus Simones Sicht betrachten können und kein Überblickswissen erhalten. Aber eben das ist auch der Vorteil. Diese fremdartige Gesellschaft erschließt sich ihnen nach und nach. Durch Simones Tagebucheinträge können sie direkt miterleben, wie sich eine junge „ungestaltete“ Frau in einer Welt von gen-optimierten „Markenmenschen“ fühlt. Diese Dimension des Mitfühlens und der Identifikation war mir besonders wichtig.

Literatopia: Simone leidet darunter, ein „No name“ und kein Markenmensch zu sein. Inwiefern lässt sie die zukünftige Gesellschaft spüren, dass sie minderwertig ist? Und wodurch entdeckt Simone die Vorteile ihrer „Wildwüchsigkeit“?

Birgit Rabisch: Das fängt schon in der Schule an, wo Simone den Abscheu spürt, den ihre Mitschüler*innen empfinden, weil sie Simones „naturwüchsiges“ Aussehen als unästhetisch empfinden. Als noch kränkender empfindet sie aber die Blicke des Mitleids. Sie fühlt sich als Außenseiterin, die den herrschenden Standards nicht gerecht wird. Lange Zeit übernimmt sie diese Beurteilungen auch für sich selbst, fühlt sich als Mängelwesen und kann es Ihrer Mutter nicht verzeihen, dass die ihr nicht ein erstklassiges Markengenom finanziert hat, obwohl sie eine wohlhabende Frau war. Erst durch ihre Liebe zu Jean-Paul wächst ihr Verständnis für die Liebesbeziehung ihrer Mutter zu einem Inder, aus der sie als „wildwüchsiges“ Kind hervorgegangen ist. Aber wirklich lösen kann sie sich bis zum Schluss nicht von ihrem Gefühl der Minderwertigkeit, sie entwickelt nur eine Art stolzen Trotz.

Literatopia: In „Unter Markenmenschen“ geht es auch um Erotik, insbesondere um die weibliche Sexualität, die Simone zunächst mit sich selbst auslebt und dabei einen recht pragmatischen und aufgeklärten Eindruck macht. Welches Verhältnis hat die zukünftige Gesellschaft zur Sexualität? Und wie haben die Leser*innen damals und heute auf diesen Aspekt des Romans reagiert?

Birgit Rabisch: In dieser zukünftigen Welt soll Sexualität als pragmatische Triebabfuhr „erledigt“ werden. Sinnbild dafür sind die „Stätten“, in denen die sexuelle Begegnung von Menschen organsiert wird – ganz nach deren Präferenzen.

Simone entdeckt zuerst die Sinnlichkeit ihres eigenen Körpers, was ihr hilft, der gesellschaftlichen Abwertung zu trotzen (s.o.). Im Kamasutra, dem uralten indischen Buch der „Liebeskunst“ aus dem Erbe ihrer Mutter, scheint für Simone trotz der Fremdartigkeit ein Schimmer von Erotik, von verspielter Lust, von nicht rein zielgerichteter Befriedigung auf, wodurch sich ihr eine andere Dimension der Sexualität eröffnet. Und dann kommt mit ihren Gefühlen für Jean-Paul noch die völlig unberechenbare Liebe dazu!

Wie ich einigen Gesprächen mit Lehrer*innen entnommen habe, war der erotische Aspekt des Romans 2002 wohl schuld daran, dass „Unter Markenmenschen“ nicht, wie meine andere Dystopie zur Gentechnologie „Duplik Jonas 7“, zur Schullektüre geworden ist. Auch heute reagieren manche Leser*innen irritiert darauf, vielleicht weil es nicht ihren Leseerwartungen bei einer Dystopie entspricht. Andere schätzen gerade, dass ich diesen wichtigen Aspekt des Lebens nicht ausspare.

Literatopia: In Deinem Roman zeichnete sich bereits im späten 20. Jahrhundert eine gewisse Unduldsamkeit von Makeln ab. Keine Inklusion, sondern Ausgrenzung. Das führte so weit, dass Menschen mit Behinderung in Deiner Zukunftsvision als unzumutbar gelten und nicht mehr geboren werden. Sollte man durch einen Unfall „verunstaltet“ werden, wird man in speziellen Einrichtungen untergebracht, um die Menschheit mit seiner Unvollkommenheit nicht zu belasten. Wenn Du Dich heute umsiehst, steuern wir genau dahin? Oder machen wir es zumindest ein wenig besser als in Deinem Buch?

Birgit Rabisch: Ich sehe in der Gegenwart beide Tendenzen. Zum einen durchaus große Anstrengungen für ein inklusives Leben, für gemeinsamen Unterricht, für die Beseitigung von Barrieren im öffentlichen Raum usw.. Zum anderen wird z.B. die Geburt von Kindern mit Down Syndrom durch Pränatal-Untersuchungen verhindert und bei der künstlichen Befruchtung (in vitro-Fertilisation) werden mittels Prä-Implantations-Diagnostik nicht erwünschte Embryonen aussortiert.

Wie stark der Wunsch ist, sich gesellschaftlichen Vorstellungen von Schönheit und Fitness anzupassen, zeigt sich heute in den Versuchen, den eigenen Körper mit Pillen, OPs, Doping, exzessivem Training usw. den Idealen anzupassen. Wenn tatsächlich einmal die Möglichkeit gegeben sein sollte, schon sein Genom gemäß diesen Vorstellungen zu designen, werden wir dieser Verführung widerstehen?

Literatopia: Im Vorwort von „Unter Markenmenschen“ schreibst Du, dass Dein Roman 2002 neben Science Fiction auch als Frauenliteratur eingeordnet wurde. Warum ist das für Dich das „schlimmste Etikett“?

Birgit Rabisch: In den 70er Jahren hatte der Begriff „Frauenliteratur“ eine durchaus positive Konnotation. Frauen wollten nicht mehr nur als im Wesentlichen von Schriftstellern imaginierte Figuren in der Literatur auftauchen, sondern schilderten jetzt selbst als Schriftstellerinnen die Welt aus ihrer Sicht, oft mit emanzipativem Gestus. Und das mit großem Erfolg! Doch der führte dazu, dass immer mehr Selbstverständigungstexte ohne literarischen Anspruch den Markt fluteten, und irgendwann Trivialromane wie „Beim nächsten Mann wird alles anders“ als prototypisch für die „Frauenliteratur“ galten. Darum war es für mich problematisch, dass „Unter Markenmenschen“ in der (dann auch bald eingestellten) Frauenliteraturreihe des Fischer-Verlags erschienen ist. Wenn heute einem Roman das Etikett „Frauenliteratur“ aufgeklebt wird, bedeutet es eben nicht einfach „Literatur, die von einer Frau geschrieben wurde“, sondern es ist eine Disqualifizierung und Aussonderung aus der allgemeinen Literatur. Das zeigt sich auch daran, dass unter dem Begriff „Männerliteratur“ meistens Romane von und für Schwule verstanden wird. Von Männern geschriebene Literatur firmiert einfach als Literatur - ohne weiteres Etikett. Und ich beanspruche für mich auch, Literatur zu schreiben.

duplik jonas7Literatopia: „Unter Markenmenschen“ war 2003 für den Deutschen Science-Fiction-Preis sowie den Kurd Laßwitz-Preis nominiert, jeweils als einzige Autorin in der Kategorie Roman. Wie hast Du damals als Frau die deutschsprachige Science-Fiction-Szene wahrgenommen?

Birgit Rabisch: Dazu möchte ich eine Anekdote erzählen: 1998 erschien die französische Übersetzung meiner Dystopie „Duplik Jonas 7“ und ich wurde auf das Festival International de Science Fiction in Poitiers eingeladen. Ich saß dann vollkommen unvorbereitet auf dem Podium einer Veranstaltung mit dem Titel Weibliche Science-Fiktion in Europa und sollte als Vertreterin der deutschen SF Auskunft geben über die Lage in meinem Land. Während die anderen Frauen auf dem Podium versierte Science Fiktion-Autorinnen waren, die diese Aufgabe problemlos meisterten, war ich komplett ahnungslos. Wie, um alles in der Welt, mochte es wohl bestellt sein um die weibliche Science-Fiktion in Deutschland? Der Moderator Bruno della Chiesa raunte mir zu, ich solle einfach irgendwas über meinen Roman „Duplik Jonas 7" erzählen, was ich mit bebender Stimme tat. Er übersetzte ins Französische und machte aus meinem Gestammel offenbar eine profunde Analyse, denn das Publikum klatschte anerkennend.

Beim Frühstück am nächsten Morgen erzählte ich Andreas Eschbach, dem Star der deutschen Delegation, von dieser skurrilen Szene und gestand ihm, dass ich wenig Ahnung von SF hätte (ich kannte gerade mal Orwell, Huxley und Lem - und war das überhaupt SF?), erst recht wüsste ich nichts von deutscher SF (vor dem Festival kannte ich auch Andreas nicht) und von weiblicher deutscher SF hätte ich noch nie gehört. Er lachte nur und meinte: Das ist doch ganz einfach. Du bist die weibliche deutsche SF.

Literatopia: Die deutschsprachige Science Fiction ist nach wie vor männlich dominiert, auch wenn es immer mehr Autorinnen gibt, die SF schreiben und veröffentlichen – und sich für queerfeministische Themen engagieren. Beobachtest Du, was die junge Autorinnengeneration so treibt? Und würdest Du sagen, sie haben es leichter / schwerer als Du damals?

Birgit Rabisch: Ich hoffe sehr, dass Frauen es heute leichter haben. Aber trotz meiner beiden veröffentlichten Dystopien „Duplik Jonas 7“ und „Unter Markenmenschen“ bin ich immer noch keine SF-Expertin und kann ehrlicherweise auch heute nichts Kompetentes dazu sagen (Hier kann ich mich ja auch nicht hinter einem Übersetzer verstecken). Ich fürchte allerdings, dass es Frauen in der SF eher noch schlechter geht als in der allgemeinen Belletristik, wo dank solcher Initiativen wie #Frauenzählen die immer noch bestehende strukturelle Benachteiligung von Frauen im Literaturbetrieb deutlich geworden ist. Die meisten meiner Romane spielen eher in der Gegenwart und der Vergangenheit als in der Zukunft, aber dazu später mehr.

Literatopia: Auch in Deinem Roman „Duplik Jonas 7“ geht es um die Schattenseiten der Gentechnologie. Was reizt Dich an der Thematik? Und wie realistisch schätzt Du Dein Szenario heute ein?

Birgit Rabisch: Ich denke, dass sich die Entwicklungen in der Gentechnologie in erheblichem Maße auf unser Leben und unsere Gesellschaft auswirken werden. Und sie stellen uns vor komplexe ethische Fragen, insbesondere wenn wir sie auf uns selbst anwenden. Änderungen unseres Genoms berühren die Essenz des Humanen, stellen die alte philosophische Frage ganz neu: Was ist der Mensch?.

„Duplik Jonas 7“ wurde 1992 erstveröffentlicht. Vieles, was dort thematisiert wird, ist inzwischen Realität, z.B. die Möglichkeit, Menschen zu klonen (Forschungsklonen, wobei die Embryonen wieder vernichtet wurden), organisierte Leihmutterschaften, die Bedeutung von Ethikkommissionen, die Frage, ob es ein Recht auf Nicht-Wissen des eigenen Genoms geben muss, Präimplantationsdiagnostik, Organraub u.v.m. In meiner Dystopie werden Klone erzeugt, um ihre „Originale“ mit Organen versorgen zu können. Das ist zum Glück heute (noch?) nicht der Fall. Mir ging es darum, vor Tendenzen zu warnen, die schon in der Gegenwart angelegt sind. Wenn wir uns erst an den Gedanken gewöhnen, andere Menschen als Mittel zum Zweck zu betrachten und ihnen Menschenwürde nur unter Bedingungen zuzusprechen, befinden wir uns auf einem gefährlichen Weg.

die schwarze rosaLiteratopia: „Duplik Jonas 7“ war damals Schullektüre. Warst Du für Lesungen in Schulen? Wie haben die Jugendlichen auf Deinen Roman reagiert?

Birgit Rabisch: Erstaunlicherweise ist „Duplik Jonas 7“ immer noch Schullektüre und sogar Prüfungsstoff. Und den Roman gibt es inzwischen auch in einer aktualisierten Fassung als E-Book im Verlag duotincta.

Ich habe im Lauf der Jahre weit über hundert Schullesungen gemacht und in der Regel bin ich bei den Schüler*innen auf ein lebhaftes Interesse gestoßen. Je besser die Lesung von den Lehrkräften vorbereitet war, so dass ich nicht erst biologische Grundfragen (Was ist ein Gen?) erklären musste, desto ertragreicher waren die Diskussionen um die ethischen und gesellschaftlichen Folgen der Gentechnologie.

Viele Schüler*innen haben sich dadurch zum ersten Mal Gedanken über eine Wissenschaft gemacht, die das Leben ihrer Generation prägen wird. Manche haben auch ein anderes Ende meines Romans verfasst, den Stoff als Schultheaterstück aufgeführt oder einen kleinen Comic daraus gemacht. Solche Initiativen haben mich natürlich besonders gefreut.

Literatopia: „Duplik Jonas 7“ wird aktuell verfilmt. Wie nah ist der Film Deiner Romanvorlage? Und hattest Du Einfluss auf das Drehbuch?

Birgit Rabisch: Die Verfilmung von „Duplik Jonas 7“ – eine never ending Story! In den Neunzigern wollte der französische Regisseur Philippe Muyl den Roman verfilmen. Nachdem schon ein 100seitiger Vertrag mit dtv ausgehandelt war, wurde dem Produzenten das Projekt plötzlich zu teuer. Eine deutsche Verfilmung scheiterte daran, dass zu der Zeit der Roman „Blue Print“ nach dem Roman von Charlotte Kerner gedreht wurde, so dass es schließlich hieß: „Zwei Filme über das Klonen trägt der Markt nicht“.

Das aktuelle Filmprojekt läuft an der Hochschule Offenburg. Der Regisseur Harald Götz (der mein Buch übrigens als Schüler gelesen hatte) begann damit 2017 als Filmstudent, dann gab es leider eine längere Unterbrechung durch einen Todesfall, mittlerweile ist er selbst Dozent an der Hochschule und der Film ist fast fertig. Doch dann kam Corona und die letzten Dreharbeiten mussten erneut unterbrochen werden. Ich bin selbst gespannt, ob und wann es eine Premiere geben wird. Vielleicht 2022 zum 30sten Jubiläum des Erscheinens des Buches?

Einige abgedrehte Szenen habe ich schon gesehen und sie haben mir sehr gut gefallen. Auf eine Einflussnahme auf das Drehbuch habe ich bewusst verzichtet. Mir ist klar, dass ein Film mit anderen Mitteln arbeiten muss als ein Roman und die kennt der Regisseur besser als ich.

Literatopia: Auch einige Deiner anderen Romane wie „Die Schwarze Rosa“ sind bei duotincta neu erschienen. Warum hast Du Dich gerade für diesen Verlag für Deine Neuveröffentlichungen entschieden?

Birgit Rabisch: Ich habe ja einige Romane in großen Verlagen veröffentlicht. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass man dort möglichst immer auf der Schiene bleiben soll, auf der man einmal Erfolg hatte, dass man „eine Marke aus sich machen“ soll. Das langweilt mich zu Tode und passt überhaupt nicht zu meinem literarischen Schaffen. Ich brauche immer eine neue Herausforderung und habe sehr unterschiedliche Romane aus völlig verschiedenen Genres geschrieben. Im Berliner Indie-Verlag duotincta habe ich einen Verlag gefunden, in dem ich mich nicht auf ein Genre oder einen Stil festlegen muss, in dem ich auch zwischen den Schubladen schreiben kann und für den Eigenwilligkeit kein Manko, sondern eine Stärke ist. Mittlerweile bin ich den drei sehr engagierten Verleger*innen und etlichen Autor*innen des Verlags auch freundschaftlich verbunden. Wir sind eine eingeschworene duotincta-Crew! Parole: 100% Belletristik!

Literatopia: Du schreibst auch Lyrik und hast 2019 den dritten Platz beim Lyrikpreis der Hamburger Autorenvereinigung belegt. Auf Deiner Website kann man die Gedichte zum Thema Toleranz nachlesen. Was macht für Dich ein gelungenes Gedicht aus? Und hast Du schon immer auch Lyrik geschrieben oder sie erst später für Dich entdeckt?

Birgit Rabisch: Es war umgekehrt. Ich habe mit Lyrik angefangen. Über meine Gedichte habe ich mich in der Frauenschreibgruppe einer Hamburger Initiative, der sog. Literaturpost, mit anderen Schreiberinnen ausgetauscht. Daraus entstand 1980 meine erste Veröffentlichung, der Lyrikband „Jammerlürik“. Danach habe ich mich ganz der Prosa zugewandt und nur noch Romane und Kurz-Geschichten veröffentlicht. Der Lyrik-Wettbewerb der Hamburger Autorenvereinigung zum Thema Toleranz hat mich 2019 plötzlich animiert, mal wieder ein paar Gedichte zu verfassen und einzusenden und zu meiner Überraschung bin ich damit sogar auf dem 3. Platz gelandet. Aber ich denke, im Wesentlichen bin ich eine Prosa-Autorin, die sich nur gelegentliche lyrische Seitensprünge leistet.

die vier liebeszeitenLiteratopia: In einem Interview meintest Du, dass Du keinen Stapel ungelesener Bücher hast, weil bei Dir kein Buch lange ungelesen bleibt. Wie viele Bücher hast Du geschätzt in Deinem Leben bisher gelesen? Und gibt es vielleicht ein oder mehrere Romane, die Dich nachhaltig beeindruckt haben und die Du unseren Leser*innen ans Herz legen möchtest?

Birgit Rabisch: Bei ca. 3 Büchern in der Woche komme ich auf ungefähr 8000 Bücher in den ca. 50 Jahren meiner Erwachsenenzeit. Obwohl es für eine Schriftstellerin geschäftsschädigend ist, muss ich gestehen, dass ich längst nicht alle dieser Bücher besitze. Viele habe ich auch aus den hier in Hamburg sehr gut sortierten öffentlichen Bücherhallen ausgeliehen, sonst hätte mein Lesehunger mein Budget gesprengt.

Nachhaltig beeindruckt hat mich die Literatur von Dostojewskij und Kafka. Das Buch „Der Untertan“ von Heinrich Mann kann ich gerade heute wieder als exzellente Studie zur Herausbildung des autoritären Charakters empfehlen. Und von den deutschen Gegenwartsautor*innen: Juli Zeh: „Unterleuten“, Daniel Kehlmann: „Die Vermessung der Welt“ und „Tyll“ und Dörte Hansen: „Mittagsstunde“.

Literatopia: Du hast kürzlich die letzte Überarbeitung Deines Manuskripts „Tod der Autorin“, eine Autofiktion, wie Du sie nennst, beendet. Wie erzählt man ein Leben in elf Romanen? Wann erscheint das Buch? Und warum dieser endgültige Titel?

Birgit Rabisch: Das Manuskript liegt zurzeit beim Verlag duotincta zur Prüfung. Wenn alles gut läuft, wird es wohl im nächsten Jahr erscheinen.

Der Titel „Tod der Autorin“ spielt auf den Aufsatz „Tod des Autors“ von Roland Barthes (1968) an, mit dem er eine literaturtheoretische Debatte über die Rolle des Autors in Bezug auf sein Werk entfachte. In „Tod der Autorin“ setze ich mich sowohl mit der seltsamen Beziehung zwischen der „Autorin“ und ihren in vier Jahrzehnten erschaffenen Figuren aus elf Romanen auseinander, als auch mit ihrem näher rückenden banalen biologischen Tod. Zu ihrem 70sten Geburtstag lädt meine „Autorin“ alle ihre Figuren zu einem großartigen Dinner ein, lässt sie miteinander und mit ihr sprechen und entfaltet so ein Kaleidoskop ihres Lebens und ihrer Literatur. Ähnlichkeiten mit mir sind dabei nicht zufällig, aber da wir ja wissen, dass selbst Erinnerungen größtenteils auf Fiktionen basieren, ergeben sie zusammen mit frei fabulierten Passagen das, was man wohl am ehesten als Autofiktion bezeichnen kann.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!


Autorenfoto: Copyright by Birgit Rabisch

Autorenwebsite: www.birgitrabisch.de 

Rezension zu "Unter Markenmenschen"

Rezension zu "Die Schwarze Rosa"

Video-Leseprobe zu "Unter Markenmenschen" auf YouTube


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.