The City We Became (N.K. Jemisin)

Orbit (2020)
Taschenbuch
437 Seiten 14,99£
978-0-356-51267-9

Genre: Urban Fantasy


Klappentext

From three-time Hugo Award-Winning and New York Times bestselling author N.K. Jemisin, The City We Became tells a revolutionary story of culture, magic and myths in contemporary New York City.


Rezension

“The City We Became” spinnt die erste Kurzgeschichte aus N.K. Jemisins Anthologie „How long ’til Black Future Month”, die hier als Prolog fungiert, weiter: Die Stadt New York steht kurz davor, „geboren“ zu werden – sich in einem Avatar zu manifestieren und eine neue Lebendigkeit und Stabilität zu gewinnen, wie es anderen Städten zuvor gelungen ist. Doch es gibt Mächte von außerhalb dieser Welt, die das verhindern wollen, und unsere Realität infiltrieren und sich dabei von Rassismus und Gentrifizierung Huckepack tragen lassen. Andere Städte sehen mit Interesse zu, aber schnell stellt sich heraus, dass hier einiges anders läuft als in der Vergangenheit: Der Avatar der Stadt, ein Schwarzer, queerer junger Mann ohne Wohnung, weiß sich mit unerwarteten Fähigkeiten zu verteidigen, aber auch die andere Seite hat neue Tricks auf Lager, und die Last, die Stadt zu retten, verteilt sich damit auf gleich mehrere Schultern.

Denn wie sich herausstellt, ist New York zu groß, um von einer einzigen Person verkörpert zu werden: Die einzelnen Stadtteile haben alle ihre Avatare. Da ist Manny, ein von Amnesie betroffener, manchmal überraschend kaltblütiger Student. Bronca, die misstrauische Direktorin einer kleinen Kunstgalerie in der Bronx, die schüchterne Mathematikerin Padmini, die Ex-Rapperin, jetzt Lokalpolitikerin Brooklyn, und schließlich Aislyn, die umgeben von Gewalt und Vorurteilen aufgewachsen ist. Es ist ein vielfältiger Cast – die Figuren haben verschiedene ethnische und ökonomische Hintergründe, sexuelle Orientierungen und Identitäten und sind auch verschieden alt. Gerade letzterer Aspekt ist eine seltener beachtete Achse von Diversität in Büchern, aber es ist eine echte Bereicherung, auch mal eine mittelalte (Brooklyn) und eine ältere Frau (Bronca) als Hauptfiguren in einem Urban-Fantasy-Roman zu sehen. Diese Figuren müssen einander finden, zusammenarbeiten (nicht unbedingt einfach, angesichts dessen, wie viele starke, streitlustige Persönlichkeiten hier zusammenkommen) und den Avatar New Yorks finden.

Dabei, ihre ungewöhnliche Situation zu begreifen, hilft ihnen tatsächlich ihre mysteriöse Gegenspielerin: Ein Wesen, dass sich als eine Frau in Weiß manifestiert, die in langen, wirren Monologen erklärt, was es mit New York und ihren ganz eigenen Plänen für die Stadt auf sich hat. Das ist ein Aspekt des Buches, über den ich gestolpert bin, weil er die große Gegenspielerin irrational und lächerlich wirken lässt, und damit das Gefühl der Bedrohung reduziert. Womöglich handelt es sich aber um eine bewusste Entscheidung, da die Figur eng mit den Darstellungen von Rassismus im Buch verbunden ist, und ein wenig kalkulierte Lächerlichkeit hier womöglich dessen Bloßstellung dient. Und schließlich wird auch eindrucksvoll vermittelt, welche Gefahr der Stadt droht, inklusive überzeugendem „Alles ist verloren“-Moment.

„The City We Became“ ist nicht in einer Art zeitlosen Urban-Fantasy-Gegenwart angesiedelt, sondern in New York zu einem bestimmten Zeitpunkt, in einer bestimmten politischen Situation. Die Figuren erzählen immer wieder von dem Rassismus und der Queerfeindlichkeit, mit der sie konfrontiert sind – gerade Bronca, eine indigene, lesbische Amerikanerin, blickt auf jahrzehntelange Kämpfe für ihre Rechte zurück. Das Buch geht auch sehr spezifisch auf die neuen Formen von Aggression gegen Angehörige von Minderheiten ein: Manny und sein Mitbewohner, der schlagfertige trans Mann Bel, werden in einem Park von einer Frau überrascht, die unnötig die Polizei ruft, Bronca und ihrem Team in der Galerie wird von einer Gruppe Neonazis ein wütender Internet-Mob auf den Hals gehetzt. Die Hauptfiguren konfrontieren auch einander hin und wieder heftig wegen Vorurteilen, die sie gegeneinander haben. „The City We Became“ ist sehr explizit und spezifisch, wenn es um diese Themen geht und ich bin über einen Moment gestolpert, in dem zwei Figuren einen Dialog führen, der eher fürs Publikum als für sie bestimmt zu sein scheint, aber die selbstbewusste Wut, mit denen die Figuren auf Angriffe reagieren, hat auch etwas Kathartisches.

Während andere Lesende laut so einiger Rezensionen von den vielen Perspektivwechseln verwirrt waren, habe ich persönlich sie sehr genossen. Das Worldbuilding des Romans ist spannend und originell, das übernatürliche Geschehen mal bizarr-komisch, mal unheimlich. Das Buch spielt auf spannende Weise mit der Mythologie H.P. Lovecrafts, eignet sich kreativ Ideen des für seinen Rassismus bekannten Autors an, um eine Geschichte zu erzählen, die klar gegen dessen Weltbild Stellung bezieht. Aber der Plot wäre tatsächlich ein wenig dünn, wenn da nicht die Figuren wären, die das Buch mit ihren Persönlichkeiten, ihren Interaktionen und ihrem Humor tragen. Sprachlich ist „The City We Became“ ebenfalls gut gelungen. Das Buch ist im etwas weniger üblichen Präsens, in der 3. Person geschrieben (außer Prolog und Epilog, die aus der ersten Person erzählt werden), und die Narration passt sich den erzählenden Figuren an, tänzelt durch mehrere sprachliche Register. Die Beschreibungen New Yorks sind gleichzeitig kritisch und liebevoll und lassen die Stadt für die Lesenden zum Leben erwachen.


Fazit

„The City We Became“ ist ein origineller, manchmal beinahe verspielter Urban-Fantasy-Roman, der gleichzeitig die Lupe auf politische Probleme der Gegenwart richtet. Die große Stärke von N.K. Jemisins neuestem Buch ist jedoch das vielfältige, einprägsame Figurenensemble.


Pro und Contra

+ fantastisches Figurenensemble
+ tolle Dynamik zwischen den Hauptfiguren
+ Schilderungen New Yorks
+ originelles Wordbuilding

o viele Perspektivwechsel

Wertung:

Handlung: 4/5
Figuren: 5/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis-Leistung: 3,5/5

Tags: Urban Fantasy, Schwarze Autor*innen, N. K. Jemisin, New York