Interview mit Juliane Seidel
Literatopia: Hallo, Juliane! Schön, wieder einmal mit Dir zu sprechen. Dieses Jahr ist Dein Jugendbuch „Herz aus Kristall“ beim Tagträumer Verlag erschienen. Was erwartet die Leser?
Juliane Seidel: Ich freue mich auch sehr, nochmal dabei zu sein – vielen lieben Dank. In „Herz aus Kristall“ erwartet die Leser*innen ein spannendes Abenteuer in Brandenburg mit viel Action, düsteren Legenden über irische Feenwesen, einem Hauch Grusel und natürlich einer ordentlichen Portion Liebe und Romantik. Und jeder Menge „Otter-Action“, denn ein wichtiger Nebencharakter ist ein kleiner Otter namens Su.
Literatopia: Stell uns Deine Protagonistinnen Lynn und Daja kurz vor. Was zeichnet die beiden aus? Wo liegen ihre Stärken und Schwächen?
Juliane Seidel: Lynn ist ein unscheinbares, zurückhaltendes Mädchen, das die Nase am liebsten in Büchern hat und den Stechlinsee und die natürliche Umgebung liebt – im Gegensatz zu anderen Mädchen mag sie Discos, Shopping und Jungs nur bedingt. Sie hat einen Hang zum Wasser, dem Schwimmen und Tauchen, ist gerne mit ihren Freundinnen Marie und Lia unterwegs und führt das mal ruhige, mal chaotische Leben einer 15-jährigen Schülerin. Im Laufe der Geschichte zeigt sich, dass sie extrem loyal und verantwortungsbewusst ist und für ihre Freunde alles tun würde – selbst wenn das bedeutet sich einem rachsüchtigen Kelpie entgegen zu stellen. Es dauert aber, bis sie bereit ist, ihre Angst zu überwinden und ihre Unsicherheiten beiseite zu schieben.
Daja ist eine junge Sidhe und hat den Auftrag, Lynn im Auge zu behalten und notfalls zu beschützen. Auch sie hat mit ihrer eigenen Unsicherheit zu kämpfen, was an ihrer Vergangenheit und ihrer Stellung im Feenreich liegt. Sie braucht lange, um zu vertrauen und sich auf andere einzulassen, ist aber bereit viel zu geben für die Menschen und Wesen, die sie liebt. Daja ist eine Meisterin, wenn es um den Fernkampf mit Pfeil und Bogen geht und beherrscht einige Feenkräfte, um sich zu tarnen. Im Laufe der Geschichte fühlt sie sich zu Lynn hingezogen, was auch an ihrem Seelentier – dem kleinen Otter Su – liegt.
Literatopia: Welchen phantastischen Wesen begegnen die Leser*innen in „Herz aus Kristall“?
Juliane Seidel: „Herz aus Kristall“ ist eine klassischen Feengeschichte, sprich den Leser*innen begegnen Sidhe aus dem Seelie und Unseelie Court. Daja ist eine hohe Sidhe, hat also entsprechende magische Fähigkeiten, die sie jedoch selten einsetzt. Die Antagonistin des Buches, Niamh, ist ein uraltes Kelpie, sprich ein Wasserpferd, dem man nachsagt, an Flüssen und Seen zu lauern und Kinder in die Tiefe zu ziehen, um sie zu ertränken. „Herz aus Kristall“ baut auf zwei irischen Legenden rund um Kelpies auf, die in der Geschichte eine wichtige Rolle spielen.
Literatopia: Warum hast Du den Stechlinsee als Handlungsort ausgewählt?
Juliane Seidel: Als ich für meine damalige Agentur einen Unterwasserroman für Jugendliche verfassen wollte, stand für mich fest, dass es keine Meerjungfrauen-Geschichte werden soll. Stattdessen hab ich mich für eine Kelpie-Geschichte entschieden, die möglichst in Deutschland spielen soll, da ich gerne vor Ort recherchiere und bei Beschreibungen auf meine eigenen Eindrücke zurückgreife. Die Wahl fiel auf den Stechlinsee weil er einer der tiefsten und größten Seen Deutschlands ist – immerhin 70 Meter tief und mit einer Fläche von über 400 Hektar – und damit der idealste Handlungsort war, um in den Tiefen des Sees ein Kelpie anzusiedeln. Er hat einfach am besten gepasst.
Literatopia: Welche Rolle spielt der kleine Otter Su, der auch auf dem Cover zu sehen ist? Und wer hat eigentlich dieses wunderschöne Cover gestaltet?
Juliane Seidel: Su ist eine wichtige Heldin und Handlungsträgerin. Sie ist im Grunde immer mit von der Partie und sowohl für Lynn als auch für Daja eine unschätzbare Hilfe. In „Herz aus Kristall“ konnte ich meiner Liebe zu Fischottern nach Herzenslust frönen, denn ich liebe diese Tiere schon seit ich ein kleines Kind war. Deswegen war es mir auch wichtig am Ende des Buches darüber zu informieren, dass Otter keineswegs als Haustiere gehalten werden dürfen (wie das in vielen asiatischen Ländern der Fall ist), auch wenn Su aus verschiedenen Gründen im Buch wie ein Haustier wirkt. Um in diesem Zusammenhang den Otterschutz aktiv zu unterstützen, spende ich zudem einen Teil meiner Bucheinnahmen an die Aktion Fischotterschutz.
Das Cover des Buches stammt von Marie Graßhoff, die bereits das wunderschöne Cover der „Nachtschatten“ Gesamtausgabe gestaltet hat. Es vereint meine Wünsche nach einem blauen Cover und einem Otter, der als zentrales Element dabei sein sollte.
Literatopia: Zu Deiner „Nachtschatten“-Reihe hast Du kürzlich eine Bonusstory auf Deiner Homepage veröffentlicht. Worum geht es in „Ein neuer Freund“? Und eignet sich die Geschichte auch für neue Leser, die mal in „Nachtschatten“ reinschnuppern wollen?
Juliane Seidel: Die Bonusgeschichte „Ein neuer Freund“ gibt einen kurzen Abriss zu dem Wertiger Ravin und seinem späteren Partner und Freund Henri und spielt vor den Ereignissen der Reihe. In der Kurzgeschichte begeben sich Henri und Ravin auf die Jagd nach einem abtrünnigen Werwolf und lerne sich dabei besser kennen – man erfährt, warum Ravin Indien verlassen hat und was Henri umtreibt, und wie sich die beiden anfreunden.
Sie eignet sich durchaus für komplette Neueinsteiger, die in die Welt von „Nachtschatten“ schnuppern wollen, da sie vollkommen alleinstehend gelesen werden kann. Und wer weiß, vielleicht gibt es irgendwann mehr von den beiden – mich reizt eine Geschichte über die zwei durchaus.
Literatopia: Du liest seit vielen Jahren queere Manga und auf Deiner Homepage finden sich einige Illustrationen, die vom Stil her an Manga erinnern. Könntest Du Dir vorstellen, selbst einen Manga zu zeichnen? Oder mit einem/r Zeichner*in zusammenzuarbeiten?
Juliane Seidel: Früher habe ich immer davon geträumt, Mangas zu zeichnen und bei einem großen Verlag unterzukommen – ich habe sogar an verschiedenen Wettbewerben teilgenommen, teils mit Kurzmangas, teils mit Illustrationen – immer mit Unterstützung meiner Frau Tanja Meurer, die ebenfalls gezeichnet hat. Ich war in der Mangazeichnergemeinschaft sehr aktiv, habe über Jahre eine Künstlervereinigung namens ARS geleitet (bei der viele Manga- und Comickünstler dabei waren, die heute bei großen Verlagen Mangas veröffentlichen oder ihren Weg in die USA gefunden haben) und ARS auf Messen und Veranstaltungen gebracht. In der Zeit haben Tanja und ich als Zeichnerduo Vee-Jas zwei Anthologien mit unseren Mangas im Eigenverlag herausgebracht: „Dreams and Nightmares“ und auch sonst viele gemeinsame Zeichenprojekte gestemmt. Das war eine wilde, verrückte, aber auch anstrengende Zeit.
Irgendwann musste ich aber einsehen, dass ich für das Zeichnen von Mangas nicht gut genug war, zumal es etwas anderes ist, große, aufwendige Illustrationen zu zeichnen und 180 Seiten voller Action und Spannung. Mein längstes Werk „Limit Control“ basiert auf meiner eigenen Boys Love Geschichte, die ich mit knapp 20 geschrieben habe – die Mangafassung kam auf knapp 50 Seiten und 2 Kurzepisoden, die um die 15-20 Seiten umfassten. Fans hatte das Werk trotzdem viele, aber ich habe es nie beendet.
Auf meiner alten Homepage „Welcome to my Fantasy“, die es vor meinem Autorenblog gab (und die noch immer online ist), kann man meine eigenen Mangas finden: http://vee-jas.de/Juliane/gallery_comics.html
Heute zeichne ich fast gar nicht mehr – von den kleinen Illustrationen in meinen Büchern einmal abgesehen, die ich reinzeichne, wenn jemand ein Buch direkt bei mir kauft. Mangas sind inzwischen auch nicht mehr so mein Genre – ich lese immer seltener welche, da mich die meisten thematisch nicht mehr reizen.
Literatopia: Viele Conventions und Messen sind der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen. Wie steht es um das Lesefestival „QUEER gelesen“? Plant Ihr etwas online oder fällt es dieses Jahr aus?
Juliane Seidel: Um ehrlich zu sein, hatte ich damit kein Problem, denn bereits im November/Dezember hat das Team von QUEER gelesen entschieden, 2020 mit dem Lesefestival auszusetzen und neue Kraft zu sammeln. Daher war in diesem Jahr gar kein Festival geplant, sprich es fällt auch keins aus. Im Grunde kann man fast sagen, wie haben uns zur passenden Zeit für ein Sabbatical entschieden ;)
Literatopia: Seit einigen Jahren erscheinen immer mehr phantastische Bücher mit queeren Charakteren – siehst auch Du eine positive Entwicklung? Oder werden zu oft Stereotype reproduziert?
Juliane Seidel: Ich persönlich sehe das grundsätzlich positiv, auch wenn gerade bei großen Verlagen nur eine Hand voll Fantasyromane mit queeren Held*innen zu finden sind. Stereotype wird es dabei immer geben (ganz gleich ob es nun queer oder nicht ist), aber da die reine Präsenz meiner Meinung nach erstmal wichtig ist, finde ich es grundsätzlich gut, dass es da immer mehr gibt und eine breitere Leserschaft mit dem Thema in Berührung kommt. Inzwischen gibt es tolle Bücher, die fernab der klassischen Stereotype sind: „Ich bin Gideon“ (das ich gerade lese), „Die Prinzen“, „Von Rache und Regen“, „Vier Farben der Magie“, „Die Stadt der Maschinenmagie“, „BRÏN“, „Berlin – Rostiges Herz“ … gerade Kleinverlage haben da tolle Bücher am Start.
Jetzt hoffe ich persönlich auf eine ähnliche Entwicklung im Kinderbuchmarkt – gerade im erzählenden Kinderbuch (so zwischen 8 und 12) werden so gut wie nie LGBT-Themen behandelt und wenn dann nur am Rande oder in Form von Problembüchern, statt bei Abenteuer- und Fantasygeschichten. Da würde ich mir wirklich mehr wünschen.
Literatopia: Deine Frau, Tanja Meurer, ist ebenfalls Autorin. Darf sie Deine Texte immer zuerst lesen – und umgekehrt?
Juliane Seidel: Ich persönlich lese fast immer die Geschichten meiner Frau – vielleicht nicht unbedingt als erster Leser (da ich es nicht immer zeitlich schaffe), aber im Laufe der Zeit lese ich mir all ihre Bücher durch. Hin und wieder fungiere ich auch als Korrekturleser für ihre Werke. Ich liebe ihre Geschichten einfach, sie sind spannend, authentisch und alles andere als stereotyp.
Meine Frau schafft es leider nicht, meine Geschichten zu lesen – sie kennt zumeist nur das, was ich bei Lesungen vortrage. Leider hat sie keine Zeit für meine Bücher, zumal sie nicht in ihr bevorzugtes Lesegenre fallen (Urban Fantasy ist nicht ihrs – sie mag (historische) Krimis, Horror und Thriller mehr). Lediglich Kurzgeschichten liest sie sich durch – meist auch, wenn sie mir bei der Überarbeitung hilft.
Literatopia: Welches Buch / welcher Manga hat Dich zuletzt so richtig begeistert?
Juliane Seidel: Der letzte queere Manga, der mich noch so richtig begeistern konnte, war „Ten Count“ von Rihito Takarai – der hat mich wirklich fasziniert, weil er mal was ganz anderes als eine reine, schwule Liebesgeschichte thematisiert hat. Ansonsten bin ich ein großes Fan von „Full Metal Alchemist“, „Death Note“ und „Black Butler“ – die gefallen mir von der Handlung her sehr.
Bei queeren Büchern muss ich einfach „Von Rache und Regen“ von Annette Juretzki nennen (und das trotz Zombies, die normalerweise ein No-Go für mich sind) – hier fiebere ich dem 2. Band entgegen, ebenso „Der Feuervogel von Istradar“ von Ria Winter – ein toller lesbischer Fantasy-Roman mit überraschenden Wendungen. Auch die Reihe „Die Stadt der Maschinenmagie“ von meiner Frau hat mich richtig begeistert – ein toller Genre-Mix (Steamfantasy/Krimi) mit ungewöhnlichen Charakteren und eine richtig komplexen Welt.
Literatopia: Kannst Du uns abschließend wieder einen kleinen Ausblick auf Deine geplanten Projekte geben?
Juliane Seidel: Aktuell arbeite ich an einem Gay Fantasy mit dem Titel „Zwillingsmagie“ – das wäre mein erstes Projekt, dass sich eher an erwachsene Leser*innen richtet. Die Figuren Nazar und Kiama kommen bereits in verschiedenen Kurzgeschichten („Zwillings-XXX“) in Benefizanthologien vor, jetzt plane ich, ihnen eine eigenständige Geschichte zu geben und mehr über die beiden ungleichen Magier zu verraten. Zur Zeit holpert es allerdings ein wenig, da ich mit einer kleinen Schreibblockade zu kämpfen habe – daher weiß ich nicht, wann das Buch fertig sein wird.
Parallel plane ich seit Jahren an einem realistischen Jugendbuch-Roadmovie, das auf zwei Zeitebenen spielt (2. Weltkrieg / heutige Zeit) und in dem der junge Samuel nicht nur den letzten Wunsch seines Großonkels erfüllen möchte, sondern auch zu sich selbst findet. Das Buch steckt noch immer in der Planungsphase – es ist neben „Assjah“ eines meiner Herzprojekte, deswegen will ich das nicht überstürzen.
Ansonsten wächst in mir die Lust zu meinen Ursprüngen zurückzukehren – zum Fantasy-Kinderbuch. Vielleicht ergibt sich ja bei „Assjah“ in den nächsten Monaten etwas, dann könnte ich endlich am dritten Band weiterarbeiten. Schauen wir mal :)
Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!
Juliane Seidel: Vielen Dank für die spannenden Fragen – und die Reise in die Vergangenheit (ich hab mir tatsächlich meine alten Comics angeschaut und teilweise durchgelesen ;)).
Autorenfoto: Copyright by
Interview mit Juliane Seidel (2015)
Autorenhomepage: www.koriko.de
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Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.