Interview mit Christian Handel
Literatopia: Hallo, Christian! Im Juli ist Dein neuer Jugendroman „Rowan & Ash – Ein Labyrinth aus Schatten und Magie“ erschienen. Was erwartet die Leser dieses Mal?
Christian Handel: Hallo Judith! „Rowan & Ash“ spielt in einer mittelalterlichen Fantasywelt und erzählt vom Coming Out bzw. Coming of Age eines sechzehnjährigen Jungen, der sich in einen Prinzen verliebt. Eingebettet ist die Liebesgeschichte in eine High Fantasy-Handlung um magische Artefakte, verschwundene Elfen und eine labyrinthartige Festung, in der eine Hexe im Zauberschlaf gefangen liegt.
Literatopia: Was zeichnet Deine Protagonisten Rowan und Ash aus? Was fasziniert sie aneinander? Und wo gibt es Reibungspunkte?
Christian Handel: Die beiden Jungs unterscheiden sich charakterlich stark voneinander: Ash – eigentlich Aristide Aurel – ist der siebzehnjährige Sohn des Königs des Nachbarreichs. Er ist selbstbewusst, ein bisschen wild und verdammt impulsiv. Ganz anders als Rowan, der nachdenklich und sehr pflichtbewusst ist.
Aneinander fasziniert sie sowohl ihre Gegensätzlichkeit als auch das, was sie gemeinsam haben. Ash gelingt es, Rowan etwas aus seinem Schneckenhaus zu locken. Rowan hingegen besitzt das Talent, Ash ein wenig zu erden.
Abgesehen davon, dass es in einer Liebesgeschichte vorteilhaft ist, wenn sich die Beteiligten nicht zu sehr ähneln, wollte ich vor allem zeigen, dass es „den Schwulen“ nicht gibt. Rowan und Ash sind sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, jede mit eigenen Stärken – und Schwächen.
Literatopia: Rowan hat Ash bereits ein Jahr zuvor kennengelernt, was in kurzen Rückblenden erzählt wird. Warum hast Du Dich dazu entschieden, dass die beiden sich bereits kennen?
Christian Handel: Die Entscheidung ergab sich aus der Geschichte, die ich erzählen wollte: Rowans innerer Kampf mit sich selbst, der schwierige Weg, an den Punkt zu kommen, dass er sagen kann: „So bin ich und so will ich sein und mir ist ganz egal, was andere davon halten oder nicht.“ Um an diesen Punkt zu kommen, wollte ich ihn in das actionreiche, phantastische Abenteuer schicken, dass die zweite Hälfte des Buches einnimmt.
Außerdem wollte ich mit dem Mysterium um die verschwundenen Elfen und um die Gefahr, die vom Schattenlabyrinth ausgeht, noch meiner Liebe zu märchenhaften, phantastischen Geschichten Platz geben. Es sollte ja schließlich ein Fantasy-Roman sein. Da ein Jugendbuch oft nur einen gewissen Seitenumfang haben darf, musste ich mich entscheiden, welche Momente im Buch unterkommen, welche nicht.
Dieses Vorgehen gab mir die Möglichkeit, direkt an einer – wie ich finde – spannenden Stelle in der Handlung einzusteigen. Innerhalb weniger Tage geschieht sehr viel. Hätten Rowan und Ash sich erst in dem Sommer, in dem das Buch spielt, kennengelernt, wäre die Liebesgeschichte aus meiner Sicht etwas gehetzt gewesen. Dadurch, dass sie sich bereits ein Jahr zuvor kennengelernt und ineinander verknallt haben, umging ich das. Und durch die Rückblenden konnte ich die wichtigsten Momente ihres Kennenlernens ja noch im Buch schildern.
Literatopia: Rowan hadert sehr damit, für seine Verlobte nur Freundschaft zu empfinden und dafür einen Mann zu lieben. Was bedeutet es in Iriann, queer zu sein?
Christian Handel: Die Menschen in Iriann sehen Homosexualität als etwas „Widernatürliches“, „Verabscheuungswürdiges“ und „Ekliges“ an. Auch wenn sie seit Jahrzehnten nicht mehr angewendet wurde, steht Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern unter schwerer Strafe.
Deshalb hadert Rowan auch so mit sich: Er will ein guter Mensch sein, glaubt aber, das könne er nicht, wenn er gleichgeschlechtlich begehrt. Liebe zwischen zwei Männern ist ein Konzept, das auch Rowans Vorstellungen übersteigt – bis er Ash kennenlernt und auf einmal feststellt, dass an dieser Liebe nichts Falsches ist und er nach seinem eigenen Moralkodex leben muss. Das wird für ihn ein steiniger Weg.
Literatopia: Auf Deiner Homepage schreibst Du, dass Du mit „Rowan & Ash“ ein Buch schreiben wolltest, dass Du mit 14 gern gelesen hättest. Was hat Dir damals gefehlt? Inwiefern ist queere Repräsentation in Büchern wichtig?
Christian Handel: Mir fehlten damals positive Vorbilder. Queere Figuren gab es damals so gut wie nicht in der Popkultur. Solche Themen wurden allenfalls in sogenannten „Problembüchern“ behandelt. Ein schwuler Protagonist in einem Fantasyroman für Jugendliche?! Undenkbar! Ein paar Ausnahmen gab es damals zwar bereits, das weiß ich heute – aber ich habe sie seinerzeit einfach nicht gefunden.
Repräsentation ist jedoch extrem wichtig. Meine komplette Vorstellung davon, was Homosexualität bedeutet, bezog sich auf den sexuellen Aspekt. Und darüber sprach man, als ich vierzehn war, auf dem Schulhof allenfalls abfällig. In der Schule haben wir übrigens Homosexualität gar nicht behandelt – weder in Geschichte, noch im Deutsch, Biologie oder Sozialkunde.
Erst einige Jahre später, durch positive Repräsentation in Fernsehserien, habe ich begriffen, dass Schwulsein mehr ist als Sex – und nicht minderwertig. Was wäre gewesen, wenn ich schon als Kind mit positiven Identifikationsfiguren aufgewachsen wäre?
Man möchte meinen, queer zu sein sei heute kein Thema mehr. Und in vielerlei Hinsicht ist das auch leichter als vor einigen Jahrzehnten. Aber nach diversen Gesprächen auch mit jüngeren Leserinnen und Lesern habe ich festgestellt, dass es so einfach bis heute nicht ist. Man vergisst schnell, dass die WHO Homosexualität noch bis 1992 als Krankheit geführt hat. Bis zur angedeuteten Beziehung zwischen zwei Amazonen in „Wonder Woman“ haben sämtliche Superhelden-Blockbuster das Thema komplett ignoriert. Es gibt keine queeren Heldinnen oder Helden in den großen Trickfilmen (auch wenn ich für mich überzeugt davon bin, dass Elsa lesbisch ist und „Frozen“ ihre Coming Out-Story) und weder in Hogwarts noch in der ursprünglichen Panem-Trilogie sind wir offen queeren Figuren begegnet. Das darf nicht so bleiben.
Wenn ich als Betroffener, der sich viel mit dem Thema beschäftigt, damals solche Schwierigkeiten hatte, wie kann ich da erwarten, dass Nicht-Betroffene ein vielschichtiges Bild von queeren Personen erhalten, wenn nicht ich und andere wie ich davon berichten?
Literatopia: In der Phantastik erscheinen zunehmend mehr Bücher mit queeren Protagonist*innen. Siehst auch Du da eine positive Entwicklung? Und wie wichtig ist, dass dabei „own voices“ (Autor*innen, die selbst zu marginalisierten Gruppen gehören) zu Wort kommen?
Christian Handel: Ja, der Trend ist erfreulich, wenn auch noch Luft nach viel oben ist. Vor allem in den USA sehe ich seit ein, zwei Jahren immer mehr Fantasyromane erscheinen, in deren Mittelpunkt lesbische Heldinnen stehen. Vor allem im Jugendbuch, das sich aus meiner Sicht gefühlt mutiger an ungewöhnliche Themen traut als die Erwachsenen-Fantasy.
Own Voices halte ich für extrem wichtig, weil sie oftmals ein vielschichtigeres Bild davon schaffen können, was queere Identität bedeutet – auch queere Interaktion untereinander. Sind wir mal ehrlich: Selbst in den jetzt erscheinenden Phantastik-Romanen mit queeren Figuren verhalten sich diese zu einem wirklich großen Teil sehr heteronormativ. (Das trifft auch auf Rowan & Ash zu). Das ist nicht so, wie ich die queere Szene erlebe – und dafür gibt es viele Gründe, das würde aber hier zu weit gehen. Ich wünsche mir, künftig auch andere Gesellschaftsentwürfe als die klassischen in der Fantasy zu sehen. (Wobei die Science Fiction traditionell da viel weiter ist.) Das spricht für own voices-AutorInnen.
Bin ich der Meinung, nicht-queere Menschen sollten über queere Figuren schreiben? Unbedingt! Wichtig ist halt – wie eigentlich immer – dass man sich ordentlich mit dem Thema auseinandersetzt, sich Klischees bewusst macht und mit diesen spielt oder bricht. Aber alles, was hilft, queere Handlungen in den Mainstream zu bringen, halte ich für wunderbar.
Literatopia: In Iriann gibt es viele Mythen, insbesondere über die Elfen, die das Land vor Jahrhunderten verlassen haben. Hast Du Dich bei diesen Mythen von Märchen inspirieren lassen?
Christian Handel: Dass ich ein großer Märchen- und Mythenfan bin, ist kein Geheimnis. Viele Motive wie die im Zauberschlaf liegende Frau sind klassische Märchenelemente.
Den Namen des Ritters der Königin habe ich z. B. sehr bewusst in Anlehnung an einen beliebten Sagenkreis gewählt habe. Und der Anfang des Märchens, das dem Roman als Prolog voransteht (und das man kostenfrei auf meinem Patreon-Account lesen kann: https://www.patreon.com/posts/eine-alte-sage-39486482 ), ist eine kleine Hommage an das Grimm’sche Märchen „Die sechs Schwäne“.
Literatopia: „Rowan & Ash“ hat sehr viele positive Rezensionen erhalten. Was hat Deinen Leser*innen denn am besten gefallen?
Christian Handel: Überraschenderweise (?) jedem andere Details. Die eine fanden die Liebesgeschichte zwischen den beiden Jungs besonders toll, die anderen die Fantasy-Handlung um das Schattenlabyrinth. Viele haben erwähnt, dass sie die märchenhaften Geschichten, die eingeflochten sind, sehr mochten.
Spannend finde ich allerdings, wie sehr Ash die Gemüter spaltet: Die einen haben sich über seine Waghalsigkeit und einige seiner Entscheidungen richtig heftig aufgeregt. Die anderen konnten sein Verhalten sehr gut nachvollziehen und haben ihn vor allem wegen seiner Impulsivität ins Herz geschlossen.
Literatopia: Du bist inzwischen auch auf Patreon. Wie können Dich Deine Leser*innen dort unterstützen? Und was bekommen sie dafür von Dir?
Christian Handel: Patreon ist ja eine Plattform, auf der man Künstler finanziell unterstützen kann, die man mag und fördern möchte. Das geht schon mit ganz kleinen Beträgen. Viele vergleichen es damit, dass man einem Künstler z. B. einen Kaffee ausgibt.
Ich selbst unterstütze bereits seit einigen Jahren einige amerikanische Autorinnen, die ich sehr mag und finde das Konzept cool. Ich hoffe, dass ich ihnen durch meine Unterstützung ein Stück weit die Möglichkeit gebe, sich Zeit nehmen zu können, um die Geschichten zu schreiben, die sie wirklich schreiben möchten. Geschichten, die es vielleicht in Publikumsverlagen schwer hätten. Bonusgeschichten zu ihren Büchern. Und so weiter.
Genau das erhoffe ich mir selbst natürlich auch. Neben den üblichen Dingen, die die meisten Autorinnen und Autoren auf Patreon anbieten – Projektupdates, Textauszüge aus aktuellen Projekten, exklusive Szenen, die es nicht ins fertige Buch geschafft haben ggf. auch mal eine Kurzgeschichte -, poste ich mindestens einmal im Monat einen Hintergrundartikel zu märchenhaften Themen.
Der August stand so etwa ganz unter dem Motto „Aschenputtel“: So habe ich mich in einem Artikel zum Beispiel mit dem hartnäckigen Gerücht beschäftigt, Perrault habe beim Schreiben seiner „Cinderella“-Version einen Fehler gemacht und der Tanzpantoffel der Heldin sei gar nicht aus Glas gefertigt, sondern aus Eichhörnchenfell. (Diesen Artikel kann man kostenfrei lesen, auch wenn man mich nicht auf Patreon unterstützt: https://www.patreon.com/posts/cinderellas-ein-39835765 ).
In einem längeren Hintergrundartikel habe ich mich dann mit den Wurzeln des „Aschenputtel“-Märchens beschäftigt, das bis in die Antike zurück reicht, und darüber geschrieben, wie sich Motive und Figur im Lauf der Jahrhunderte geändert hat – vom Aschenputtel als Sklavin in Ägypten bis hin zu einer italienischen „Mörderin“ … https://www.patreon.com/christianhandel
Literatopia: Hast Du aktuelle Lesetipps für uns? Welche Bücher haben Dich zuletzt begeistert?
Christian Handel: Mit sehr großer Begeisterung habe ich sowohl die „Palace“-Reihe von C. E. Bernard als auch Kathrin Solbergs dunkle Märchenfantasy „Spiegelfluch und Eulenzauber“ gelesen. Außerdem habe ich Caleb Roehrigs Bücher für mich entdeckt.
Literatopia: Du magst tragische, traurige Enden meist lieber als Happy Ends. Warum?
Christian Handel: Weil sie mich persönlich länger begleiten, länger in mir nachhallen. Vielleicht lösen sie auch die stärkeren Emotionen in mir aus. Wäre Romeo und Julia bis heute so beliebt, wenn Shakespeare seinem Stück ein Friede-Freude-Eierkuchen-Ende beschert hätte?
Trotzdem mag ich auch Happy Ends sehr gern. Bei „Rowan & Ash“ wusste ich von Anfang an – und habe das auch so kommuniziert – es wird nicht tragisch enden. Die beiden bekommen ein Happy End.
Literatopia: Dürfen wir uns im nächsten Jahr auf ein weiteres Jugendbuch von Dir freuen? Oder geht es mehr Richtung Phantastik für Erwachsene?
Christian Handel: Sowohl als auch. Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres erscheint endlich ein Sequel zu meinem Debüt „Rosen und Knochen“. Meine beiden Dämonenjägerinnen verschlägt es ins mittelalterliche Zarenreich, wo sie sich mit einer bekannten russischen Märchenhexe herumschlagen müssen.
Im März 2021 erscheint bei Ueberreuter mein dritter Jugendroman. Diesmal geht es wieder in die Thriller-Richtung, weil mir das beim Schreiben von „Becoming Elektra“ schon viel Spaß gemacht hat. Worum es genau geht, verrät der Verlag im November.
Darüber hinaus sind noch ein paar Dinge geplant, über die ich noch nicht sprechen kann. Wer mir auf Instagram, auf meiner Website oder auf Patreon folgt, bleibt diesbezüglich aber auf dem Laufenden.
Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!
Autorenfotos: Copyright by Christian Handel
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Rezension zu "Rowan & Ash - Ein Labyrinth aus Schatten und Magie"
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Interview mit Christian Handel (2019)
Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.