Neon Samurai I - under the black rainbow (Christian Günther)

under the black rainbow neon samurai

Books on Demand (2019)
Taschenbuch, 216 Seiten, 11,99 EUR
ISBN: 978-3750405424

Genre: Cyberpunk / Dystopie


Klappentext

Hamburg, 2069.
Die zerstörte Klimakuppel überspannt die Stadt wie ein schwarzer Regenbogen. In den Straßen herrscht das Gesetz des Stärkeren. Eine fiebernde Welt, in der die einen dem Traum der Verschmelzung von Mensch und Maschine folgen, während die anderen um ihr nacktes Überleben kämpfen.

Chill verlässt die Zone, ein heruntergekommenes Randgebiet, und sucht sein Glück im Neon der Stadt.

Alya handelt als Chip-Dealerin mit den Träumen anderer.

Jed schlägt sich als Grubenkämpfer mit Skateboard und Krallenhandschuh durch.

Alle drei stellen fest, dass ihre Wege miteinander vernetzt sind. Während sie einer Spur von toten Hackern, geheimen Datenknoten und unberechenbaren Soldaten folgen, stürzen Giftwolken und Stromausfälle die Stadt ins Chaos. Trägt womöglich einer von ihnen die Schuld daran?

Es sind die Tage, in denen es beginnt, Elektrostatik zu regnen.

Der erste Schritt in die Welt der Buchreihe "Neon Samurai"


Rezension

2069: Weite Teile Europas sind verseucht, ein Leben auf dem Land nahezu unmöglich. Flüchtlinge drängen in die Randgebiete der großen Städte, die versuchen, sich abschotten. Chill ist in der „Zone“ vor Hamburg gestrandet und sucht nach einem Weg, die Elbe zu überqueren und in den besseren Teil der Stadt zu gelangen. Der alte Josef hilft ihm dabei, auf ein Boot zu kommen und gibt ihm ein Päckchen für Freunde mit. Chill ahnt nicht, dass ihn auf der anderen Seite noch größeres Chaos erwartet. Währenddessen geraten die Grubensurfer Jed und Deke nach einem Kampf an zwielichtige Ärzte. Und Chipdealerin Alya hat alle Mühe, die Medikamente für ihren Mitbewohner Hamlin zu bezahlen. Er leidet unter dem Information Overdose Syndrom, das seine Hackerkarriere beendet hat. Doch als die Elektrik überall in der Stadt verrücktspielt und Giftwolken über der Zone aufziehen, werden seine Fähigkeiten dringend gebraucht …

Bei “under the black rainbow“ handelt es sich um den 2003 erschienenen Debütroman von Christian Günther, der in seinen letzten Romanen die düstere Fantasywelt FAAR geschaffen hat. Nun kehrt er in die Science Fiction zurück und hat seinen Erstling nochmals überarbeitet, sodass dieser nun den Einstieg in die geplante „Neon Samurai“-Reihe bildet, die neben einer überarbeiteten Ausgabe von „Rost“ zwei weitere, neue Romane sowie eine Kurzgeschichtensammlung umfassen soll. Die Handlung von „under the black rainbow“ hat sich nur in Details verändert, die ahnen lassen, in welche Richtung sich „Neon Samurai“ entwickeln soll. Wichtigstes neues Element ist der KI-Staat Lucas Prime, über den man hier noch sehr wenig erfährt. Gerade genug, um Lust auf mehr zu bekommen.

Die Stärke von „under the black rainbow“ ist nach wie vor das deutsche Setting, das Christian Günther unheimlich atmosphärisch umsetzt. Die Nordsee ist eine verseuchte Suppe, aus der sogenannte Strandläufer versuchen, wertvolle Metalle und Chemikalien herauszufiltern. Die Zone vor Hamburg bildet ein gigantisches, heruntergekommenes Armenviertel, während die Architektur der Stadt zu einem Labyrinth verwuchert ist. Die Ästhetik dieser dreckigen, finsteren Zukunft erinnert an Cyberpunk-Filme wie „Johnny Mnemonic“ oder auch „Ghost in the Shell“, wo die Städte ein Chaos aus Beton, Kabeln, Satellitenschüsseln, Müll und improvisierten Hütten bilden. Besonders beklemmend ist das nie vollendete, zerfallende Gerüst der Klimakuppel, die wie ein schwarzer Regenbogen über Hamburg hängt.

Christian Günther schreibt nah an seinen Charakteren, die um ein besseres Leben kämpfen, aber immer wieder an der kaputten Gesellschaft scheitern. Chill ist noch ein Teenager und stets auf der Flucht, sogar als er endlich die schönere Seite Hamburgs erreicht. Alya hat sich in der Illegalität ein kleines Geschäft aufgebaut, das von der Flut davongespült wurde, nun fängt sie bei Hacker Hamlin wieder mal von vorne an. Jed und Deke hingegen suchen in den Gruben nach Ruhm und stecken bald knietief in der Scheiße. Wieder ist es der alte Josef, der hilft, doch nicht ohne Gegenleistung. Bei Chill, Jed und Deke realisiert man gar nicht, wie jung sie eigentlich noch sind, so hart und verbittert wirken sie. Und dann ist da noch Saviour Machine, ein predigender Android, bei dem man nicht weiß, ob er wahnsinnig oder einfach defekt ist.

Die kleinen Änderungen lassen die Handlung insgesamt stimmiger erscheinen, dennoch leidet der Roman nach wie vor unter seiner Kürze. Insbesondere Jed und Deke kommen zu kurz, aber auch Alya verblasst zu sehr neben dem kranken Hamlin. Für die Neuausgabe hätte man sich ein paar zusätzliche Kapitel gewünscht, die das Setting noch weiter ausbauen und den Charakteren mehr Raum geben. Denn auch wenn der Roman seine Schwächen hat und diverse Genreklischees enthält, so hat er auch die Kraft, seine Bilder ins Gedächtnis der Leser*innen zu brennen. Und manchmal sind es auch gerade die Klischees, die schön „old school“ rüberkommen und den Lesespaß steigern. Genretypisch erwartet die Leserschaft im Cyberspace eine Revolution, wobei der Autor auf eine Visualisierung ähnlich wie in „Matrix“ mit mehr oder weniger realistisch anmutenden, virtuellen Umgebungen setzt.

In der Neuausgabe verzichtet der Autor auf die Songtextzitate vor jedem Kapitel, dafür wurden die Kapitelanfänge graphisch aufgewertet. Zudem kommt man wieder in den Genuss der lyrischen Einschübe der Originalausgabe (mit Ausnahme eines Werkes, das fehlt). Auf die farbigen Illustrationen muss man leider verzichten. Hier lohnt sich ein Blick auf die Website des Autors www.cyberpunk.de oder auch in den PHANTAST #14 „Cyberpunk“.


Fazit

”under the black rainbow“ bleibt ein brutal atmosphärischer Roman, der nun den Auftakt zur SF-Reihe „Neon Samurai“ bildet. Die kleinen Änderungen lassen erahnen, wo die Reise hingeht, doch nach wie vor lässt sich die Geschichte auch einzeln lesen und fasziniert insbesondere mit dem düsteren Setting im zukünftigen Hamburg, wo jeder auf einen Platz im Neonschein hofft und die meisten an der bitteren Realität zerbrechen.


Pro und Contra

+ dichte, endzeitliche Atmosphäre
+ finsterer und dreckiger Cyberpunk
+ charakternahe Erzählweise
+ deutsches Setting in Hamburg
+ die Handlung wirkt stimmiger und etwas moderner als 2003
+ gelungene Gestaltung / schickes neues Cover

o neue Details bereiten weitere Romane vor

- leider immer noch zu kurz geraten
- Charaktere manchmal unglaubwürdig hart und abgebrüht

Wertungsterne4

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 3/5


Interview mit Christian Günther (2018)

Rezension zu "Die Aschestadt" (FAAR, Band 1)

Rezension zu "Blinde Wächter" (FAAR, Band 2)

Rezension zu "Am Seelenbrunnen" (FAAR, Band 3)

Rezension zu "under the black rainbow" (Ausgabe von 2010)

Rezension zu "Rost"

Rezension zu "Memory Cloud" 

Interview mit Christian Günther (2008)

Tags: Cyberpunk, Christian Günther, Neon Samurai, deutschsprachige SF, Near Future, Hamburg