Thilo Corzilius (18.09.2020)

Interview mit Thilo Corzilius

thilo corzilius2020Literatopia: Hallo, Thilo! Schön, Dich wieder einmal zu lesen. Kürzlich ist Dein neuer Fantasyroman „Diebe der Nacht“ bei Klett-Cotta erschienen. Was erwartet die Leser*innen in der Lagunenstadt Mosmerano?

Thilo Corzilius: Theater, Dramatik, komplizierte Liebe, uralte Magie, waghalsige Duelle – und vor allem Diebstahl und Trickbetrug. Die Protagonist*innen des Romans sind eine diebische Truppe. Sie betreiben ein fahrendes Theater – und steuern jede Saison eine andere Stadt an, in der sie dann ein größeres oder kleineres Ding drehen. Meistens versuchen sie es mit etwas Größerem.

Dieses Jahr sind sie also in Mosmerano. Und selbstverständlich läuft bei ihrem geplanten Coup nicht alles so wie geplant und ehe sie sich versehen, finden sie sich mitten in einer staatstragenden Katastrophe wieder und versuchen, mit heiler Haut davonzukommen (und nach Möglichkeit auch nicht mit leeren Händen).

Literatopia: Tagsüber sind die „Herbstgänger“ Schauspieler, nachts durchstreifen sie die Stadt als Trickbetrüger und Diebe. Wer gehört denn alles zur Truppe um den jungen Dieb Glin Melisma?

Thilo Corzilius: Die führen dieses zweigeteilte Leben. Sie haben das Mechanische Theater, ein Konstrukt auf mehreren großen Wagen, das sich zu einem echten Theater ausfahren, ausklappen und zusammensetzen lässt, mit Innenhof, Tribünen und allem drum und dran. Theaterspielen ist die Leidenschaft dieser Truppe.

Ihre zweite Leidenschaft gehört auch dem professionellen Lügen – nur nicht auf der Theaterbühne, sondern beim Betrügen und Stehlen.

Insgesamt sind es sieben Leute:

Glin, ein verschlagener kleiner Mechanist
Talmo, sein Ziehvater und Lehrmeister
Yrrein, die Schwertkünstlerin und Choreographin der Truppe
Falk, in seinem vorherigen Leben Priester des Schauspielergottes Din Vestro
Madeire, eine ehemals in jungen Jahren berühmte Diva
Shalimo, zuständig für allerlei chemische Effekte
Sira, Shalimos Tochter, eine kleine Kletterkünstlerin

Zusammen arrangieren sie in der Ruhenden Welt bekannte Theaterklassiker oft ziemlich rasant und effektheischend. Sie ergänzen sich mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten ganz gut. Und das mobile Theater ist eine perfekte Basis – sie sind nicht an einen Ort gebunden und obendrein werden beliebte Menschen, die einer unschuldigen Beschäftigung nachgehen, nicht so schnell verdächtigt, die Finger in krummen Dingern zu haben.

Literatopia: Über welche Fähigkeiten verfügen die Magier in Mosmerano? Und wo liegen die Grenzen ihrer Magie?

Thilo Corzilius: Eigentlich verfügen die Magier*innen der Ruhenden Welt über keine ehrfurchtgebietenden oder furchteinflößenden Fähigkeiten. Denn der Einsatz von Magie ist ziemlich teuer, weil sie wertvolle Ressourcen verbraucht. Nichts, was sich üblicherweise in einem guten Kosten-Nutzen-Verhältnis einsetzen lässt.

Auf Jahrmärkten sind manchmal Magier*innen zu sehen, die vielleicht ein paar bunte Funken fliegen lassen oder eine Violine von selbst spielen lassen… aber sie müssen auch immer aufpassen, dass es sich rechnet, und arbeiten daher oftmals mit Tricks und Workarounds.

Magie hat zumeist nur etwas Faszinierendes an sich, weshalb man sie hier und dort erforscht. Einen großen gesellschaftlichen Nutzen hat sie eigentlich nicht.

Das Talent zur Nutzung von Magie ist in ganz unterschiedlicher Stärke verteilt. Aber selbst äußerst begabte Magier*innen scheuen die ganz großen Effekte. Denn wie gesagt: Es ist teuer und die Effizienz steht meist in keinem guten Verhältnis zum Einsatz.

Was aber, wenn ein extrem talentierter und sehr kreativer Magier plötzlich an extrem viel Geld kommt, und aus dieser Verbindung etwas erwächst, was noch nie dagewesen und sehr unheilvoll ist…?

Ach ja, und dann gibt es noch eine uralte Magie, von der niemand so recht weiß, wie sie eigentlich funktioniert. Aber die mechanischen Tiere, die das ausgestorbene Volk der Skyldar einst hergestellt hat, werden durch sie zum Leben erweckt und man findet sie immer noch hier und dort in der Ruhenden Welt. Und wer das Geheimnis hinter ihnen entschlüsselt, dem winkt unsterblicher Ruhm und mehr…

Literatopia: Das wunderschöne Cover zeigt wohl Mosmerano. Ist die Stadt eine phantastische Version Venedigs? Erzähl uns doch bitte mehr über diesen magischen Ort!

Thilo Corzilius: Mosmerano ist tatsächlich ein Fantasy-Venedig. Es liegt an der Westküste der Ruhenden Welt und ist ein sehr stolzer und von sich eingenommener mediterraner Stadtstaat. Im Sommer ist es heiß und stickig, im Winter mild, es gibt gutes Essen, viel Kunst und Architektur, jede Menge Kanäle, Häfen, verschachtelte kleine Gassen, große Palazzi.

Dort haben sich „Die Herbstgänger“ vor wenigen Jahren einen Coup ausgedacht, ihn in der Zwischenzeit ausgetüftelt und kehren nun für eine Saison zurück, um den Plan in die Tat umzusetzen.

Da ich das echte Venedig liebe, fiel es mir nicht schwer, mich dort einzufinden. Denn auch dem echten Venedig wohnt ja eine Magie inne, die ganz ohne magische Kosten-Nutzen-Rechnung auskommt; einfach durch die Lage, die Geschichte und die pure Schönheit des Ortes selbst.

Literatopia: Du hast bereits für Deine eigenen Romane und auch für andere, wie beispielsweise „Wächter der Winde“ von Oliver Plaschka, Karten gezeichnet. Gibt es auch in „Diebe der Nacht“ eine von Dir gezeichnete Karte? Und was zeichnet eine gelungene Fantasyweltkarte aus?

Thilo Corzilius: Ja, es gibt Karten. Eine zeigt einen Ausschnitt der Ruhenden Welt, eine zweite ist ein Stadtplan von Mosmerano.

Die Karten zu „Diebe der Nacht“ stammen von Christina Srebalus. Ich hatte sie angesprochen, als ich gemerkt habe, dass Zeit und Energie bei mir nicht ausreichen, um auch noch die Artwork zum Roman machen. Und es war eine gute Entscheidung, denn die Karten von Christina sind brillant, meine wären vermutlich schlechter gewesen. (Folgt Christina auf Twitter!! hier: https://twitter.com/CFSrebalus)

Ich habe mir ehrlich gesagt noch nie so genau Gedanken darum gemacht, was eine gute Karte ausmacht. Was mir aber sofort einfällt: Sie darf niemals lieblos gestaltet sein. Ich finde lieblose Karten in Fantasybüchern schlimm. Es gab tatsächlich schon Fälle, in denen ich Romane nicht gekauft habe, weil ich die Kartenillustrationen zu zweckmäßig fand und sie zu sehr danach aussahen als habe die*r Künstler*in es als schlecht bezahlten Auftrag mal ebenso dahingeklatscht. Dann lieber keine Karte.

Außerdem sollte eine Karte natürlich immer neugierig auf den Inhalt des Buches machen. Die Illustrationen eines Buches – außen wie innen – sind ja quasi sein Aushängeschild. Man nimmt sie wahr, noch bevor man eine Seite gelesen hat. Aber wie dieses „neugierig machen“ genau funktioniert, kann ich nicht entschlüsseln. Da spielt sicherlich zum größten Teil auch hinein, wie interessant die Welt an sich ist, die sich die*r Autor*in dort ausgedacht hat.

foregone unpulpedLiteratopia: „Diebe der Nacht“ hast Du mit Müh und Not neben Deinem Hauptberuf als Pfarrer fertiggeschrieben. Wie hast Du Dir Zeit fürs Schreiben und Überarbeiten freigeschaufelt?

Thilo Corzilius: Ich habe am Schlaf gespart.
Und an anderen Hobbys.
Das ist vermutlich die simple wie deprimierende Antwort.

Literatopia: Weiß Deine Gemeinde, dass ihr Pfarrer auch Autor ist? Und lesen manche Deiner „Schäfchen“ Deine Bücher?

Thilo Corzilius: Sie wissen es zum Teil. Es spricht sich ja rum. Und manche lesen meine Bücher auch.

Das Schreiben ist aber etwas, das ich nicht von mir aus in der Gemeinde bekannt mache. Es ist ja doch ein sehr schillerndes Hobby und ich habe in der Vergangenheit auch schon erlebt, dass es Dinge unnötig kompliziert machen kann. Wenn ich als Pfarrer arbeite, bin ich Seelsorger – nicht der Fantasyautor, der gerade das Glück hat, für ein paar Monate in allen Buchläden zu stehen. Letzteres ist für manche Leute aber natürlich aufregender. Zu Pfarrern hat man gefühlt öfter Kontakt in freier Wildbahn als zu Autoren ;)

Literatopia: Seit zehn Jahren veröffentlichst Du phantastische Romane und damals hielt der Fantasyboom der 2000er, von dem auch deutschsprachige Autor*innen profitiert haben, noch an. Inzwischen scheint jedoch eher Katerstimmung zu herrschen, überall hört man Klagen über zu wenige Leser*innen und die großen Verlage gründen ein neues Phantastiklabel nach dem anderen und stampfen es kurze Zeit später wieder ein. Hat sich die Phantastik an den Trends der letzten Jahre abgenutzt?

Thilo Corzilius: Nein, das hat sie ganz bestimmt nicht. Gewinnst Du etwa den Eindruck?

Was ich in den letzten zehn Jahren wahrgenommen habe, ist eine sehr ängstliche und unkreative Strategie vieler Publikumsverlage. Man hat gut laufende Lizenzen aus dem Ausland hier zu Geld gemacht und versucht, sie als Trends zu verkaufen. Da es aktuell aber keinen neuen Herrn der Ringe und kein neues Game of Thrones gibt, herrscht Ratlosigkeit.

Man hat viele Werke neuer deutschsprachiger Autor*innen eingekauft, ihre Bücher dann ohne jede Werbung auf den Markt geworfen und geschaut, ob sie von selber schwimmen können. Du kannst Dir ausrechnen, dass das nur für sehr wenige Autor*innen wirklich gut läuft – aber bei vielen für sehr viel Frust sorgt. Sichtbarkeit ist bekanntlich alles. Statt jedoch die neu eingekauften Schreibenden zu fördern, sie aufzubauen, ihnen prominentere Programmplätze, Werbung, Hörbücher etc. zu verschaffen, hat man sich gleich wieder nach jemandem Neuen umgesehen und dort dasselbe versucht. Man hat mit wenig Einsatz versucht, einen Glückstreffer zu landen. Den neuen deutschen Fantasy-Bestseller hat man aber so nicht gefunden. Daher steht man in der Fantasy aktuell ohne Zugpferde da, weil man sich keine herangezogen hat.

Trotzdem halte ich die deutschsprachige Phantastik für so gut wie noch nie zuvor. Ich habe das Gefühl, die Szene entwickelt zurzeit eine sehr selbstbewusste eigene Stimme. Gesellschaftlich wichtige Themen wie Gleichberechtigung, Hoffnung, Entwicklung und Nachhaltigkeit halten sehr deutlichen Einzug, werden teils zu Hauptthemen ganzer Romane. Ich habe das Gefühl, die deutschsprachige Phantastik emanzipiert sich und erhält gerade ein echtes Update. More-of-the-same wird gerade weniger – und darin liegen große Chancen.

Natürlich muss man dazu momentan oft noch bei kleineren Verlagen schauen. Aber ich habe den Eindruck, es entwickelt sich viel in eine sehr positive Richtung.

ravinia2020Literatopia: Mit „Foregone“ hast Du 2014 eine Space-Opera-Reihe veröffentlicht. Könntest Du Dir vorstellen, irgendwann zur Science Fiction zurückzukehren?

Thilo Corzilius: Na klar, absolut. Ich liebe Science Fiction, besonders gute Space Operas.

Ich denke immer an mehreren Projekten gleichzeitig herum und schaue dann, wo sich zuerst die entscheidenden Durchbrüche in puncto Ideen und Story kommen, und entscheide danach, welches ich konkret verfolge.

Aktuell habe ich drei Romanideen, mit denen ich mich konkreter beschäftige – eine davon ist eine weitere Space Opera. Bei dieser Idee habe ich ein Setting, was ich für sehr faszinierend halte. Aber im Augenblick fehlt mir der große Twist, den die Geschichte nimmt. Ich habe immer das Gefühl, ich komme gleich drauf, aber irgendwie stellt sich der richtig große Durchbruch noch nicht ein. So lange ist eine Geschichte dann in der Warteschleife: Denn das Wichtigste an einer eigenen Geschichte ist für mich, zu wissen, worauf alles hinausläuft, wie das Ende aussieht, wohin die Reise geht und was der große entscheidende Plottwist ist.

Literatopia: Du bist auf verschiedenen Social-Media-Kanälen unterwegs. Wo erreichst Du Deine Leserschaft am besten? Und welchen Nutzen ziehst Du für Dich persönlich aus Twitter und Co.?

Thilo Corzilius: Ich habe den Eindruck, ich erreiche auf verschiedenen Kanälen unterschiedliche Leute, zumindest zeigen mir das die Rückmeldungen. Deswegen nutze ich auch alle drei. Wären allen Leser*innen auf derselben Plattform, wäre ich der erste, der seine Konten bei den anderen Plattformen löschen würde. Es wird manchmal tatsächlich etwas unübersichtlich.

Den größten persönlichen Nutzen ziehe ich aus Twitter. Da gibt es eine Community von sehr lieben Kolleg*innen und es kommt mir manchmal eher vor wie so eine Art großer öffentlicher Chat. Twitter ist da so ein bisschen meine Teeküche. Als Pfarrer habe ich ja gerade zu Coronazeiten manchmal Tage, an denen ich viel Arbeit habe, aber sonst niemanden sehe. Da schaut man dann halt bei seiner Twitter-Bubble rein, wenn man sich den nächsten Kaffee aus der Küche holt.

Literatopia: Es hat lange gedauert, bis sich die Frankfurter Buchmesse zur Absage durchringen konnte. Hätte man Dich ohne Corona dort angetroffen? Und hast Du etwas als Ersatz geplant, zum Beispiel Onlinelesungen?

Thilo Corzilius: Ohne Corona wäre ich sicherlich in Frankfurt gewesen – und auf dem Buchmesse-Convent in Dreieich. Der BuCon ist bislang jedes Jahr toll gewesen und ich habe dort gerne den Lesungen der Kolleg*innen gelauscht und mich mit Kolleg*innen und vielen Leser*innen ausgetauscht.

Welchen Ersatz ich finde, um den Kontakt zu Leser*innen zu halten, wird sich zeigen. Soziale Medien sind sicher eine Idee, Streams auch, Leserunden natürlich – vielleicht probiere ich auch ein paar Dinge aus, die neu für mich sind. YouTube fand ich schon immer interessant. Keine Ahnung, wie man es hinbekommt, in diesen Zeiten das Miteinander mit Leser*innen gut zu gestalten.

Aber: Die Welt war noch nie so nah beieinander wie heute durch das Internet. Darin liegt in meinen Augen die Chance, die es zu nutzen gilt.

epicordia2020Literatopia: Zum Abschluss noch ein bisschen Werbung für die Konkurrenz: Welche Bücher haben Dich zuletzt so richtig begeistert?

Thilo Corzilius: In der Phantastik gibt es keine echte Konkurrenz. Alle Autor*innen pflegen normalerweise einen beinahe familiären Umgang miteinander und gönnen einander eigentlich alles.

Aber zu Deiner Frage: Ich habe diesen Sommer unglaublich gerne die Romane von Becky Chambers gelesen, die haben mich wirklich begeistert.

Nebenbei höre ich aktuell das Hörbuch von Patrick Rothfuss‘ „Der Name des Windes“ und bin berührt davon, wie tief dieses Werk ist. Das Buch und ich haben eine langjährige komplizierte Beziehung zueinander und es hat eine Ewigkeit gedauert, bis ich meine Freude daran hatte. Jetzt begeistert es mich.

Davor habe ich ein paar Monate lang kaum Phantastisches gelesen. Davor war es glaube ich Daniel Abrahams‘ „Die magischen Städte“. Und natürlich Samantha Shannons „The Priory of the Orange Tree“, was fulminant war.

Aktuell lese ich ein paar Bücher erneut, die ich vor 15 Jahren oder noch längerer Zeit gelesen habe. Und ich merke daran, wie man sich doch im Laufe des Lebens als Mensch verändert. Es ist ein wenig als würde man Orte besuchen, die man lediglich als Kind kannte und plötzlich merken, dass sie gar nicht so unendlich groß sind, wie in der eigenen Erinnerung. Und es erfüllt mich mit Demut – denn wer weiß, welchen Blick ich einmal auf die Dinge haben werde, die ich zur Zeit lese und schätze (oder selbst schreibe)?

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Thilo Corzilius: Ich habe zu danken :)


Autorenfoto: Copyright by Thilo Corzilius

Autorenhomepage: http://thilocorzilius.de 

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Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.