Penguin, 2020
Originaltitel: Our Bodies, Their Battlefield. What War Does to Women (2020)
Übersetzung von Maria Zettner, Friedrich Pflüger, Heike Schlatterer, Anja Lerz, Karin Schuler
Gebunden, 446 Seiten
€ 24,00 [D] | € 24,70 [A] | CHF 34,90
ISBN 978-3-328-60072-5
Genre: Sachbuch
Rezension
Wir haben alle schon wenigstens etwas gehört von den Verbrechen des IS und Boko Harams, vom ersten Krieg auf europäischem Boden (Jugoslawien) seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, vom Völkermord in Ruanda. Nun lesen wir darüber in Unsere Körper sind euer Schlachtfeld. Frauen, Krieg und Gewalt von Christina Lamb, einer Journalistin der britischen Sunday Times. Sie erzählt die Schicksale von Mädchen und Frauen in verschiedenen Ländern und zu unterschiedlichen Zeiten.
Dazu gehören dem Terror des Islamischen Staates (IS) ausgesetzte Jesidinnen, versklavt, sexuell missbraucht, im Erstverfahren ihren Besitzern zugelost, später Gewinn bringend weiterverkauft; von Boko Haram entführte Mädchen in Nigeria, Massenvergewaltigungen in der Demokratischen Republik Kongo. Auch Rohingya in Bangladesch, vergewaltigt von birmanischen Soldaten; Hindufrauen in Bangladesch, 1971 vergewaltigt von pakistanischen Soldaten. Waffen zur Kriegsführung sind in ständiger Entwicklung. Eine jedoch hat sich seit Urzeiten nicht verändert und ist vermutlich gleichbleibend effektiv und billig – die Vergewaltigung.
Die Autorin geht in einigen Konfliktbeschreibungen zurück in die Zeit der Militärdiktatur in Argentinien (1976-83), schaut nach Berlin in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, nach Ninive vor 2000 Jahren. Dieses Buch bedarf keiner Triggerwarnung, nicht nur, weil es ein Sachbuch ist. Es ist keine leichte Lektüre. Im Gegenteil, es ist anstrengend in der variierenden Wiederholung grausamer Ereignisse, des vielfältigen Leids, von dem Lamb berichtet, von dem die Opfer erzählen. Täter sind in den Berichten immer Männer, Opfer zumeist Mädchen und Frauen, oft Kleinkinder und Babys, seltener Männer. Die Taten: körperliche Misshandlungen bis hin zu Verstümmelungen, Morde und Vergewaltigungen, die psychische Vernichtung von Menschen, die nach multiplen Massenvergewaltigungen lieber gestorben wären.
Das Buch ist schockierend und lässt keinen Zweifel daran, dass diese Verbrechen zu jeder Zeit und an nahezu jedem Ort möglich sind. Die Blase der Unwissenheit oder des Nichtwissenwollens zerstört Lamb mit ihrer Arbeit jedenfalls. Vergewaltigung ist ein konstantes Element der Demonstration von Macht, der Triebabfuhr und Erniedrigung, oder des Genozids, auch der ethnischen Säuberung. Wobei ethnische Säuberung, liest man einige der Äußerungen von Tätern, mehr noch eine langfristig angelegte ethnische Überschreibung sein soll.
Lamb erzählt von einer Reihe Konflikten, deren Wurzeln sie in der Kolonialgeschichte feststellt. Zur Zeit des belgischen Herrschers Leopold II. beispielsweise wurden grausame Verbrechen im Kongo, damals noch Zaire, begangen. Nun gibt es dort seit einem Vierteljahrhundert Krieg. Diesem schauen wir nicht nur zu, wir profitieren auch davon, weil es dort Bodenschätze gibt, die wichtig für unseren Lebensstil sind, der sich beispielsweise durch häufige Neukäufe von Smartphones und Flatscreens beschreiben lässt. Bald sechs Millionen Menschen haben dafür ihr Leben verloren.
Lamb berichtet aber auch von einem Arzt, dem Friedensnobelpreisträger Dr. Denis Mukwege, der im Panzi Krankenhaus in Bukavu rund 55.000 Frauen und Mädchen behandelt hat, die im Zuge dieses Konflikts vergewaltigt wurden. Und von Eve Ensler und Christine Schuler Deschryver die die ‚City of Joy‘ gegründet haben, ein Dorf für Frauen, die männliche Gewalt überlebt haben.
Mehr als 15 Jahre befand sich Aung San Suu Kyi, Birmas, heute Myanmars, Demokratieverfechterin und seit 1991 Trägerin des Friedensnobelpreises, in einem von der militärischen Führung verhängten Hausarrest. Heute wird sie wahrgenommen als Verteidigerin der an den Rohingya begangenen Verbrechen der Militärs, die vom Internationalen Gerichtshof als möglicher Genozid untersucht werden.
Vergewaltigung ist ein Instrument der Angsterzeugung, der Machtausübung und Kontrolle. In vielen bewaffneten Konflikten wird sie eingesetzt, um Dorfgemeinschaften zu unterwerfen oder zu zerstören. Sie schafft und stärkt Beziehungen zwischen Männergruppen. Lamb geht zwar auch auf sexuelle Gewalt gegen Männer in Kriegen und Gefängnissen ein, fokussiert jedoch die Vergewaltigung von Frauen.
An einigen Beispielen zeigt Lamb, dass es lange gebraucht hat, bis Vergewaltigung als Kriegsverbrechen eingestuft und erstmals vom Internationalen Strafgerichtshof behandelt wurde. In den Verfahren jedoch gibt es kaum Verurteilungen und noch weniger Bestrafungen. Manche Täter aus Ruanda und Bosnien leben heute in westeuropäischen Metropolen. Es werden Amnestien verfügt für Menschen, die gefoltert, gemordet und vergewaltigt haben. Aber das Problembewusstsein ist vorhanden, in der Genfer Konvention von 1949 wie auch in der 2008 verabschiedeten Resolution 1820 des UN-Sicherheitsrates.
Durch die sozialen Medien ist es heute relativ unproblematisch, die Welt beispielsweise auf Kriegsverbrechen hinzuweisen. So konnten in Nigeria im Verlauf der Aktion „Bring back our girls“, für die Michelle Obama und andere populäre Personen standen, 80 entführte Mädchen mithilfe von Drohnen geortet werden. Bis zu ihrer Befreiung dauerte es aber aus politischen Gründen noch mehrere Wochen. Eine Frau sagt in Lambs Buch, sie könnten es nicht verstehen, dass die Weltgemeinschaft dabei zuschaut, wie sie vergewaltigt werden.
In allen Kriegen gibt es am Ende sogenannte Sieger, die in die Geschichtsbücher eingehen. Zu den vielen Menschen, die im Allgemeinen keine Erwähnung finden, gehören die zivilen Gewaltopfer. Sie wurden Jahrhunderte systematisch aus der Geschichte herausgenommen. Lamb unterstützt sie in ihrem Buch in dem Anliegen, gehört zu werden. Auch wenn dies keine Folgen hat, lediglich Rauschen produziert, weil in den nächsten kriegerischen Konflikten wieder vergewaltigt werden wird.
Fazit
Christina Lamb hat mit Unsere Körper sind euer Schlachtfeld. Frauen, Krieg und Gewalt ein wichtiges Sachbuch über Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt in kriegerischen Konflikten veröffentlicht. Die Autorin verbindet persönliche Erzählungen von Opfern mit Berichten über Hilfsprojekte und arbeitet heraus, dass diese Verbrechen epidemisch sind.
Wertung:
Anmerkung: Auf die in Rezensionen übliche Detailwertung verzichte ich bei diesem Buch.