Anna Zabini (22.10.2020)

Interview mit Anna Zabini

Literatopia: Hallo, Anna! Im November erscheint Dein Debütroman „Sanguen Daemonis“ beim Verlag ohne ohren. Das Cover verspricht Düsteres – welcher Schrecken erwartet die Leser*innen?

anna zabini2020Anna Zabini: Herzlichen Dank für die Einladung!

Düster trifft es gut. Lesende erwartet der Schrecken eines Systems, das faschistoide Strukturen – Überwachung, prozesslose Hinrichtungen, eine militante und autark funktionierende Fraktion (= die Auserwählten) als Teil des Status Quo – normalisiert hat und als Grund den Schutz der Zivilbevölkerung vor Dämonen vorschiebt. Die meisten Hauptfiguren handeln als Teil des Systems, überzeugt oder unfreiwillig, selbst wenn sie eigentlich mit dem Widerstand sympathisieren. Es war eine bewusste Entscheidung, die Figuren vor allem auf dieser Seite, und nicht überwiegend im Widerstand, darzustellen; allerdings vertieft das meiner Meinung nach das Schreckenspotenzial des Settings.

Literatopia: Was hat es mit den Auserwählten und Unantastbaren auf sich?

Anna Zabini: Auserwählte sind im Prinzip Halbdämonen, die Dämonen aufspüren (spüren im wahrsten Sinne des Wortes) und töten. Unantastbare sind Sterbliche, die nicht von Dämonen besessen werden können, und deswegen eine besondere Anziehung auf Dämonen ausüben. Sie begleiten Auserwählte auf Missionen, um Dämonen anzulocken.

Die Namensgebung ist an den Phantastik-Trope „Auserwählte*r“ angelehnt. Hier wird „auserwählt“ und „unantastbar“ allerdings ad absurdum geführt: Auserwählte werden im Labor kreiert und Unantastbare sind bessere Köder. Aber die polierten Labels erfüllen ihren PR-Zweck.

Literatopia: Wie können wir uns Deine Dämonen vorstellen? Sind sie abgrundtief bösartige Ausgeburten der Hölle? Oder den Menschen gar nicht so unähnlich?

Anna Zabini: Meine Dämonen sind formlose Entitäten, die sich in Menschenkörper einnisten, sie quasi verbrauchen, sich aber nur durch den Tod des Wirtskörpers von ihm lösen können. Das tun sie meistens, indem sie die Zerstörung selbst in die Hand nehmen. In Menschenmengen gelingt ihnen ein Körperwechsel besser: mehr Sterbliche, mehr potenzielle Wirt*innen. Sind sie mehr als ein paar Sekunden wirtlos, hören sie auf zu existieren; wenn also nur Auserwählte und Unantastbare beim Tod von Besessenen anwesend sind, den sie meistens verschulden (indem sie staatlich sanktionierten Mord verüben), bleibt der Dämon körperlos und vergeht.

Dämonen handeln hier ohne Agenda oder Gesinnung, am ehesten im Zeichen des Selbsterhaltungstriebs. Agents of chaos, keine Höllenausgeburten oder Trickster. Selbstverständlich lassen sich auf solche abstrakten Wesen viele, viele Sachen projizieren – was auch getan wird.

Literatopia: Stell uns Deine Protagonist*innen bitte kurz vor. Wer sind sie und was zeichnet sie aus?

Anna Zabini: Es gibt vier Hauptfiguren.

Die Zwillinge Delcar: Shanna, Erste Auserwählte Wiens, schätzt Regeln und Ordnung und strebt, als ihre eigene härteste Kritikerin, nach Perfektion; sei es als Musterauserwählte oder Vorzeigetochter. Scheinbar makellos, stehen ihr Ruf und Image in Konkurrenz zu ihrem Privatleben. Sivan hingegen ist nur auf dem Papier Auserwählter und kaum an die Organisation gebunden. Charmant, zerstreut, selbstzerstörerisch, bis zum Tode loyal – Sivan lebt und liebt in Extremen in den Tag hinein.

Außerdem: Nesrin Gönül ist 1. Sterbliche und 2. Idealistin, die journalistisch zwischen Widerstand und Zensur operiert. Lebensfroh und unerschütterlich in ihrem Glauben an die Wahrheit, lässt sie sich auf ein Spiel ein, dessen Ausgang sie nicht erahnen kann. Aber wie heißt es? No risk, no fun. Nikola Kovar, unantastbar und nur widerwillig in den Auserwähltenapparat involviert, ist Überlebender in mehrfacher Hinsicht. Still und passiv, scheint er leicht vergessen zu werden – dagegen spricht jedoch sein nachhaltiger Effekt auf sein Umfeld.

Literatopia: Der Roman ist nicht-chronologisch erzählt und spielt in einem Zeitraum von fünf Jahren. Wie hast Du die Timeline konstruiert? Und worauf hast Du geachtet, damit die Leser*innen den Überblick behalten?

Anna Zabini: Ich habe mit einer Excel-Tabelle und Farbcodierungen gearbeitet, sonst hätte ich den Überblick verloren. Es gibt eine Haupt-Timeline, die chronologisch abläuft, und Schlüsselszenen, die von dieser Timeline abweichen oder aus einer anderen Perspektive nochmal erzählt werden, aber einen Bezug zu den jeweils angrenzenden Szenen aufweisen. Da der Einstieg des Romans bereits das Ende vorwegnimmt (und ich generell schon früh sehr viel vorwegnehme, was den Handlungsverlauf betrifft), war dieses nicht-chronologische Element auch eine Möglichkeit, den Spannungsbogen zu halten.

Das Ganze zu konstruieren, war eine wilde Herumschieberei, bis ich das Gefühl hatte, die Timeline so dekodiert zu haben, dass sie erzählerisch sinnvoll und lesefreundlich funktioniert. Also wird nicht ständig gesprungen und es gibt immer Anhaltspunkte, an denen Leser*innen sich orientieren können.

Ich habe einen Mini-Screenshot von einem Ausschnitt meiner Master-Tabelle gemacht (siehe rechts unten), die Schauplatz, Datum, POV, Reihung, Szeneninhalt und CNs beinhaltet: Grün ist zum Beispiel der Romaneinstieg, die erste POV der jeweiligen Figur ist orange markiert, grau hinterlegt sind Szenen, die von der Haupt-Timeline abweichen, und rechts sind die dazugehörigen CNs in Hellgrün.

Literatopia: In der Leseprobe zu „Sanguen Daemonis“ geht es bereits ziemlich heiß her. Was zeichnet eine gelungene Sexszene für Dich aus?

anna zabini romantabelleAnna Zabini: Ahh, danke, dabei hab ich doch abgeblendet!

Ich finde Sexszenen, in welchem Grad von Explizität auch immer, gelungen, wenn sie die Figuren charakterisieren und wenn Consent (beidseitige Einvernehmlichkeit) zumindest rudimentär thematisiert wird. Ich bin auch der Meinung, dass Sexszenen nicht plotrelevant sein müssen, wenn sie figurenrelevant sind (in dem Fall sind sie sowieso wieder plotrelevant). Wenn dann noch die Sprache zur Stimmung bzw. zum Ton des Gesamttexts passt? Chef’s kiss. Was ich ungern lese bzw. überspringe, sind Sexszenen mit metaphorischen Knospen, Schwertern und Grotten (High Fantasy, ich schaue in deine Richtung).

Ein Aspekt, den ich nicht im Auge hatte, und den ich auf Hinweis des Lektorats eingearbeitet habe, betrifft Safe Sex, und ich muss sagen, auch diesem Element würde ich in der SF/F gerne öfter begegnen (aber vielleicht lese ich auch die falschen Dinge).

Literatopia: Warum hast Du Wien als Schauplatz für Deinen Urban-Fantasy-Roman ausgewählt?

Anna Zabini: Ich fand es praktisch, einen Handlungsort auszusuchen, den ich kenne und den ich in Unschärfe verlaufen lassen kann. Heldenplatz, Donaukanal, Ring – das sind Landmarker, an denen ich mich beim Schreiben orientieren konnte und unter denen sich Lesende nach kurzem Googeln was vorstellen können, ohne einen „Wienroman“ daraus zu machen. Da ich ohnehin keine Autorin bin, die literarischen Städtebau betreibt, ich aber eine deutschsprachige Großstadt fürs Setting haben wollte, hat sich Wien angeboten. Und ich denke, das war die richtige Wahl.

Literatopia: In „Sanguen Daemonis“ findet sich eine ganze Reihe von Content Notes, ein teils heiß diskutiertes Thema. Warum sind sie wichtig? Und was glaubst Du, warum stören sich manche Leute so sehr daran, obwohl man sie auch ganz leicht ignorieren kann?

Anna Zabini: Content Notes eignen sich hervorragend, um über Inhalte, Themen oder Fokussetzungen zu informieren, und Leuten gegebenenfalls die Möglichkeit zu geben, sich gegen (m)ein Buch zu entscheiden.

Vordergründig bleibt „Sanguen Daemonis“, trotz teils ernster Thematik, Unterhaltung – und Unterhaltung darf (bzw. soll) möglichst safe für alle sein. Es ist auch eine Frage der Fairness und Rücksicht, meiner Meinung nach, und ich „spoilere“ (gedanklich sind da noch mehr Anführungszeichen) lieber einmal zu viel als einmal zu wenig. Die Content Notes gibt es bei „Sanguen Daemonis“ deswegen am Anfang in der Übersicht und danach kapitelweise.

Leute, die sich vehement gegen CNs aussprechen, verstehe ich nicht – aber das muss ich ja auch nicht, und sie müssen keine Inhalte mit CNs lesen. Es ist ein bisschen, wie mit allen Maßnahmen, die zugunsten von Leuten getroffen werden, die nicht unbedingt zur Mehrheit gehören: Großes Sträuben, überall springen spontane Expert*innen hervor, und dann diskutieren Leute, die sich für ach-so objektiv halten und oft ohnehin nicht vorhaben, mit dem konkreten, in diesem Fall mit Content Notes versehenem, Material zu interagieren.

Prinzipiell halte ich Content Notes für Gewohnheitssache – und Gewohnheiten ändern sich zum Glück.

Literatopia: Du hattest keine Testleser*innen, bevor „Sanguen Daemonis“ ein Verlagszuhause gefunden hat. Warum nicht? Und würdest Du das beim nächsten Roman anders machen und vorher Vertrauenspersonen testlesen lassen?

queerwelten ausgabe1Anna Zabini: Um ehrlich zu sein, ich wusste nicht, dass es üblich ist, Testleser*innen zu haben, und war ein bisschen irritiert, als sich das (gefühlt) als Standardpraxis herausgestellt hat! Es war also weniger eine bewusste Entscheidung als eine Sache, die ich gar nicht erst hinterfragt habe, bis ich mehr Kontakt zu Kolleg*innen hatte. (Ich hatte das erste Mal überhaupt 2020 für eine Kurzgeschichte Testleser*innen – und das Feedback war sehr hilfreich.)

Und: Ich denke, ich hätte mir das Leben durchaus leichter machen können, wenn ich „Sanguen Daemonis“ nicht in der Solo-Kampagne geschrieben bzw. bearbeitet hätte. Deswegen möchte ich beim nächsten Roman auf jeden Fall mit Testlesenden zusammenarbeiten, und am liebsten nicht erst nach Vollendung, sondern schon während des Entstehungsprozesses (#Lernkurve).

Literatopia: In der ersten Ausgabe der Queer*Welten ist eine Kurzgeschichte von Dir erschienen. Wovon handelt sie?

Anna Zabini: In „Die Heldenfresserin“ geht es um den Penthesilea-Mythos mit Fokus auf die Ilias und Kleists Bearbeitung des Stoffs. Das Erzähl-Ich verhandelt darin die (literarischen) Diskurse, in denen es konstruiert wird, und adressiert die Lesenden – konkret als Einzelperson und abstrakt als Systemtragende.

Mir ging es in dem Text darum, zu hinterfragen, was in diesem Mythos eigentlich erzählt wird und welche Spins angewandt werden, um diese Narrative publikumswirksam verdaulich zu machen. Wenn die Geschichte eine Tagline hätte, wäre sie: Patriarchy is one HELL of a drug.

Literatopia: Erzähl uns von Deinen Schreibanfängen. Erinnerst Du Dich noch an die erste Geschichte, die Du geschrieben hast? Und ist „Sanguen Daemonis“ wirklich Dein erster Roman oder liegen schon dutzende andere in der Schublade?

Anna Zabini: Ich erinnere mich nicht genau an meine erste Geschichte, aber ich glaube, dass ich einen Epilog zu einer meiner Lieblingsreihen geschrieben habe, weil ich einer bestimmten Figur ein Happily Ever After geben wollte (so etwas habe ich öfter gemacht, etwa für Nuramon aus „Die Elfen“, bevor mir James Sullivan mit „Nuramon“ inneren Frieden geschenkt hat). Fanfiction, schlecht getarnte Abklatsche – der Begriff „Plagiate“ drängt sich auf – populärer Romane, und geschubladete Kurzgeschichten: alles dabei.

Aber „Sanguen Daemonis“ ist tatsächlich der erste und bisher einzige Roman, den ich geschrieben habe!

Literatopia: Was liest Du gerne? Welche Bücher haben Dich in den letzten Jahren so richtig begeistert?

Anna Zabini: Ich lese wahrscheinlich mehr auf Englisch als Deutsch, viel SFF, aber auch gern Historisches, literarische Nonfiction und Lyrik im weitesten Sinne. Und ich bin meistens nicht up-to-date mit Neuerscheinungen!

Statt Einzeltitel, haben mich Autor*innen begeistert: Zum Beispiel Annette Juretzki, James Sullivan, Judith Vogt, und Sabrina Železný auf Deutsch, und Aliette de Bodard, N. K. Jemisin, Erin Morgenstern, und Rivers Solomon auf Englisch. Allerdings bin ich sehr gespannt auf 2021, da konkret auf „Urban Fantasy: Going Intersectional“ (Hg. Patricia Eckermann u. Aşkın-Hayat Doğan) und „Die Götter müssen sterben“ (Nora Bendzko).

Literatopia: Wer Dich googelt, findet nicht viel außer Deinen Twitteraccount und ein paar verstreute News auf Literaturseiten. Warum gibt es so wenige Informationen über Dich? Keine eigene Website? Bist Du noch nicht dazugekommen oder hältst Du Dich lieber im Hintergrund?

Anna Zabini: Ich bin wirklich gerne im Hintergrund und kein Social Media Whizz (darum nur Twitter, ein bisschen IG, und kein FB). Bisher hatte ich nicht den Eindruck, dass das dem professionellen Auftritt geschadet hätte, weil ich doch in irgendeiner Form kontaktierbar bin. Abgesehen davon bin ich einfach eine ziemlich langweilige Person, die viel Zeit mit ihren Hunden verbringt und zockt. Die Website ist für den Zeitpunkt angedacht, wo es ein bisschen mehr zu sagen gibt … also bald, aber „bald“ wie es im Publishing verstanden wird ?

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Anna Zabini: Sehr gerne, ich bedanke mich!


Autorenfoto: Copyright by Anna Zabini


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.