Diebe der Nacht (Thilo Corzilius)

Klett Cotta (September 2020)
Hardcover mit Schutzumschlag
480 Seiten, 22,00 EUR
ISBN: 978-3-608-98330-2

Genre: Fantasy


Klappentext

Sie nennen sich »Die Herbstgänger« und sind eine Truppe fahrender Schauspieler – zumindest so lange sie nicht tricksen, betrügen und stehlen. Denn dem gilt ihre eigentliche Leidenschaft. Die sagenhaft schöne Lagunenstadt Mosmerano hält viele Versuchungen bereit, und nicht lange, so bereiten sie einen spektakulären Kunstraub vor. Doch dann geraten sie ins Visier eines Magiers, der mächtiger und sehr viel niederträchtiger ist als sie selber. Er zwingt sie, ihre Talente für seine Zwecke zu nutzen und für ihn zu arbeiten. Und so tanzen die Herbstgänger bald auf mehreren Hochzeiten: Sie wollen Rache, sie wollen ihren Coup durchziehen, sie wollen eine politische Verschwörung um uralte Magie aufdecken – und am Ende auch noch mit heiler Haut davonkommen. Die Diebe rund um den charismatischen Glin Melisma müssen an die Grenzen ihres Könnens gehen. Und noch darüber hinaus …


Rezension

“Wenn wir nur dreist genug sind, stehlen wir die gesamte Ruhende Welt … mit einem Kuss auf die Stirn und einem Gebet auf den Lippen.“

Die Herbstgänger reisen mit ihrem mechanischen Theater durch die Ruhende Welt und verzaubern ihre Zuschauer mit spektakulären Showkämpfen und mitreißenden Dramen. Nebenbei stehlen und betrügen sie, allerdings konzentrieren sie sich dabei auf die, die ohnehin genug und es oftmals verdient haben. Unschuldige sind tabu. Doch auch wenn die Herbstgänger sozusagen edle Diebe sind, sind sie doch auch gefährlich und skrupellos. In der schillernden Hafenstadt Mosmerano planen sie ihren größten Betrug mit einem Gemälde, das es eigentlich gar nicht gibt. Ehe sie die Früchte ihres genialen Plans ernten können, geraten sie ins Visier eines zwielichtigen Magiers, der sie dazu erpresst, ein magisches Artefakt aus dem Tresor des Erzherzogs zu stehlen. Mechaniker Glin Melisma sucht verzweifelt nach einer Möglichkeit, ihre Köpfe aus der Schlinge zu ziehen und den Magier dabei ans Messer zu liefern …

In den letzten Jahren war es ruhig um Thilo Corzilius, doch das Warten auf „Diebe der Nacht“ hat sich gelohnt. Mosmerano ist ein phantastisches Venedig und damit die perfekte Kulisse für eine Geschichte über gerissene Diebe, die trotz ihrer kriminellen Machenschaften verdammt sympathisch sind. Jeder einzelne von ihnen trägt Schmerz und Geheimnisse im Herzen und jeder wird von den anderen so akzeptiert, wie er ist. Die Anführer der Truppe sind Glin Melisma und sein Ziehvater Talmo, beide begnadete Mechanisten, deren kunstvolle Apparate an die antiken, beseelten Mechaniken der Skyldar erinnern. Chemistiker Shalimo sorgt für spektakuläre Effekte, während Schwertfechterin Yrrein die Kämpfe realistisch aussehen lässt. Diva Madeire bringt Glamour auf die Bühne, Akrobatin Sira nutzt ihre Fähigkeiten nicht nur zur Unterhaltung und mit Falk haben die Herbstgänger einen Priester in ihren Reihen, der ihnen die Gunst des Gottes Din Vestro sichert. Und nicht zu vergessen: Schönheit, eine Skyldar-Mechanik in Form einer Grille, die lebendig und eigensinnig ist.

Die Handlung konzentriert sich auf Protagonist Glin, der für die Planung ihrer Coups zuständig ist und gnadenlos ausnutzt, dass er aufgrund seiner schmächtigen Gestalt oft unterschätzt wird. Er kann kaltblütig und grausam sein, doch da seine Opfer selbstverliebte und gierige Adlige und Emporkömmlinge sind, sieht man darüber hinweg. Denn Glin setzt sich bedingungslos für die Herbstgänger, die seine Familie sind, ein und seine Schlagfertigkeit beschert der Leserschaft viele amüsante und bissige Dialoge. Zudem scheinen seine komplexen Pläne immer aufzugehen und er ist seinen Feinden meist einen Schritt voraus – Ausnahmen bestätigen die Regel und so entfaltet sich die Dramatik der Geschichte. Wenige Kapitel werden auch aus Yrreins Sicht erzählt. Sie ist eine eiskalte Kämpferin und wo Glins Intelligenz nicht weiterhilft, nutzt sie rohe Gewalt. Die beiden ergänzen sich perfekt, in nahezu jeder Hinsicht. Doch beide sind zurückhaltend mit ihren Gefühlen.

Die Handlung schreitet rasant voran und so bleibt wenig Zeit, um die anderen Herbstgänger inmitten des Chaos besser kennenzulernen. Thilo Corzilius erzählt jedoch in Rückblenden aus der Sicht Talmos, wie seine Truppe nach und nach gewachsen ist. Dadurch wird die familiäre Verbundenheit der Herbstgänger noch greifbarer und umso härter sind die Verluste. In Mosmerano müssen sie ihr ganzes Können aufbieten, verbrauchen nahezu ihr gesamtes ergaunertes Vermögen und werden zu vernichtenden Opfern gezwungen. Doch letztlich werden all die dunklen Momente von Menschlichkeit und Hoffnung überstrahlt. „Diebe der Nacht“ enthält viele positive Botschaften und zeigt vor allem durch Talmo, dass sich immer wieder neue Wege auftun können und man immer einen Traum haben sollte.

Mosmerano versprüht den Flair der Renaissance und wurde vom Autor mit viel Liebe zum Detail ausgestaltet. Zwar enthält das Buch eine schöne Stadtkarte, doch die Beschreibungen im Text reichen aus, um sich ein Bild von den vielen Kanälen, Inseln und Bewohnern zu machen. Im anhängenden Glossar erklärt der Autor die Zeitrechnung der Ruhenden Welt, Religion, Sprachen und vieles mehr, doch auch hier ist im Text alles so gut eingebunden, dass man die Erklärungen gar nicht bräuchte (trotzdem ist der Glossar interessant und eine gelungene Ergänzung). Setting und Figuren bilden eine Einheit und bis zur letzten Seite beeindruckt die Welt mit ihrem Facettenreichtum. Dazu gehören auch queere Charaktere, die vielseitige Persönlichkeiten mit Vergangenheit sind. Leider erfährt man über die Skyldar sehr wenig, da schlicht die Charaktere wenig über sie wissen. Trotzdem hätte man gerne mehr über sie und ihre magischen Mechaniken erfahren, sind sie doch eines der spannendsten Elemente dieses Romans.


Fazit

Aus spektakulärem Theater wird ein nervenaufreibendes Drama: „Diebe der Nacht“ begeistert mit den charismatischen Herbstgängern, dem venezianischen Flair Mosmeranos, bissigen Wortgefechten und Menschlichkeit. Bald weiß man nicht mehr, wer eigentlich wen betrügt, und auf die Protagonist*innen wartet so manch böse Überraschung. Doch inmitten der Verzweiflung strahlt die Hoffnung umso heller und auf jeder Seite spürt man das Herzblut, das in diese Geschichte geflossen ist.


Pro und Contra

+ venezianisches Flair in Mosmerano
+ antike Mechaniken der Skyldar
+ Glin und Talmo sind unheimlich charismatisch
+ sehr unterschiedliche Persönlichkeiten bei den Herbstgängern
+ fiese Antagonisten
+ sehr gutes Worldbuilding mit vielen Details
+ bissige, amüsante Dialoge
+ hoffnungsvolle, zutiefst menschliche Momente
+ böse Überraschungen bis zum Schluss
+ das Cover fängt die Atmosphäre des Romans perfekt ein

- über die Skyldar erfährt man zu wenig

Wertungsterne4.5

Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 3,5/5


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Tags: Thilo Corzilius, Renaissance, Heist, queere Figuren, Diebe, Found Family