Drúdir - Schatten und Scherben (Swantje Niemann)

Cover von Drudir Schatten und Scherben in Brauntönen mit Seedrache

Edition Roter Drache (Oktober 2020)
Paperback, 396 Seiten, 17,00 EUR
ISBN: 978-3-96815-009-3

Genre: Steamfantasy


Klappentext

In der Union der Zwergenstaaten kann man es kaum glauben, aber die Elfen Cirdayas senden tatsächlich eine Delegation aus. Nach Jahrhunderten der Gewalt und Abschottung wollen sie eine neue Ära der Zusammenarbeit einleiten. Doch eine Mordserie bedroht das Leben der Diplomaten und damit nicht weniger als den Frieden zwischen den beiden Ländern.

Drúdir, der als Meister seiner magischen Fähigkeiten in die Union zurückgekehrt ist, will nichts mehr mit Politik zu tun haben. Trotzdem führt ihn die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit einer totgeglaubten Geliebten in die düstere Küstenstadt, wo die Verhandlungen stattfinden. Rasch wird er in die Mord-ermittlungen verwickelt. Er findet heraus, dass mehr als eine Person im Verborgenen gefährliche Ziele verfolgt – und wird von einem Feind eingeholt, der ihm aus sehr persönlichen Gründen Rache geschworen hat.


Rezension

Nach den Ereignissen in Schwarzspiegel und Ch’Ashvaenta verbringt Nekromant Drúdir eine ruhige Zeit, in der er viel über Technomantie lernt und Sachen repariert. Seine Magie für etwas Positives einsetzen zu können, tut ihm gut, doch bald schon holt ihn die Vergangenheit ein. Svalris Hochzeit und das Wiedersehen mit Findra weckt Erinnerungen und als Drúdir von mysteriösen Morden im Küstenstädtchen Klippenlicht hört, hofft und fürchtet ein Teil von ihm, die Automate Moryn wiederzusehen. Zudem ist er überzeugt davon, dass Findra magische Hilfe gebrauchen könnte. Die junge Polizistin und Spezialistin für magische Zwischenfälle will die Morde aufklären, ehe eine politische Katastrophe geschieht. Eine Elfendelegation will die Zeit der Abschottung beenden und mit einer Zwergendelegation in Klippenlicht verhandeln. Drúdir ahnt nicht, dass nicht nur ein neuer Krieg heraufzuziehen droht, sondern ihn auch jemand verfolgt und Rache üben will …

„Schatten und Scherben“ ist der finale Band der „Drúdir“-Trilogie und greift verschiedene Handlungsfäden aus den Vorgängerbänden auf. Auch wenn es sich wieder um eine neue, abgeschlossene Geschichte handelt, sind Vorkenntnisse notwendig, um das Ausmaß der Geschehnisse und die Bedrohungen richtig zu erfassen. Auch ist die Welt von „Drúdir“ mit ihren unterschiedlichen Völkern und Staatsformen sehr komplex, insbesondere die Union der Zwerge, in der ein regelrechter Meinungsstreit tobt. Es ist eine hoffnungsvolle und zugleich schwierige Zeit, in der Demokratie und technologischer Fortschritt den Zwergen Wohlstand bescheren, in der aber auch verschiedenste Kräfte versuchen, die Macht an sich zu reißen. Zudem sind die Zwerge, die einst von Elfen und Menschen unterdrückt wurden, inzwischen selbst zu Unterdrückern geworden, und erobern Kolonien und diskriminieren Trolle und andere Minderheiten. Swantje Niemann spiegelt hier gekonnt die Entwicklungen des 19. Jahrhunderts und lässt ihre Fantasywelt die Turbulenzen der Industrialisierung durchleben mit all ihren Lichtblicken und Schattenseiten.

Auch Protagonist Drúdir hat seine hellen und dunklen Seiten. Eigentlich ist er ein empathischer, hilfsbereiter Zwerg, der sich nach Ruhe und Frieden sehnt. Gleichzeitig schreit die Magie in ihm danach, benutzt und erforscht zu werden, und viele negative Erlebnisse haben seinen Charakter geprägt. So hat er Schuldgefühle, verspürt aber auch Genugtuung und empfindet immer noch etwas für Moryn, die eine Tötungsmaschine und gleichzeitig eine empfindende, einzigartige Persönlichkeit war, der die Chance genommen wurde, sich ein eigenes Leben aufzubauen. Die Freundschaft zu Findra ist stark belastet, da die Zwergin Drúdir zwar einerseits nach wie vor gern hat, aber sich auch vor ihm und seiner dunklen Magie fürchtet. Sie tritt für Gerechtigkeit und Ordnung ein und ihrer Meinung nach sollte niemand so viel Macht wie Drúdir haben. Entsprechend ist ihr Verhältnis angespannt, auch wenn man sich manchmal wundert, dass das, was sie gemeinsam durchgestanden haben, sie nicht stärker verbindet.

Als neue Protagonistin tritt die junge Lehrerin und Heilerin Ciatha in Erscheiunung. Sie reist nach Klippenlicht, um den Mann einer Schulfreundin zu retten. Zuvor hatte sie ihre Begabung verborgen, denn auch unter Menschen fürchtet man die Magie. Ciatha entdeckt, dass sie nicht nur sich selbst, sondern auch andere heilen kann – und dass ihre Fähigkeiten auch eine sehr dunkle Seite haben. So wird sie zum weiblichen Gegenstück von Drúdir, mit dem sie sich anfreundet: Sie fürchtet ihre eigene Magie, will sie eigentlich nur zum Guten einsetzen, und wird von den Umständen gezwungen, zu verletzen und zu töten. Mit letzterem haben die Elfenkrieger Kyrai und Phandrael keine Probleme. Die beiden kennen die Leser*innen noch aus dem ersten Band und auch dieses Mal spielen sie mysteriöse und eindrucksvolle Nebenrollen. Einige Kapitel werden zudem aus Sicht von Drúdirs Verfolger erzählt, der unter den Zwergen höchst angesehen ist und aufgrund seiner persönlichen Rache- und Schuldgefühle tief fällt.

In „Schatten und Scherben“ machen nahezu alle wichtigen Charaktere eine starke und glaubhafte Entwicklung durch, allen voran Drúdir und Ciatha, aber auch die innerlich zerrissene Findra, die zunehmend an der Ungerechtigkeit ihrer Welt und der Verlogenheit der Mächtigen verzweifelt. Sie veranschaulicht der Leserschaft die Komplexität der Welt am besten, in der sich gerade vieles zum Positiven entwickelt, aber auch alte Ressentiments drohen, jeden Fortschritt zunichte zu machen. So heiraten bei den Zwergen zwar Frauen Frauen (oder Männer Männer), was zwar gesellschaftlich akzeptiert ist, aber trotzdem feindliche Angriffe provoziert. Es gibt Rassismus, Diskriminierung, Korruption – im Prinzip all jene Probleme, die wir in der realen Welt auch haben. Swantje Niemann bringt all das auch wenigen Seiten unter und veranschaulicht komplexe politische und gesellschaftliche Themen in knappen Dialogen. Wo andere Fantasyromane tausende Seiten füllen, komprimiert sie all das, was sie zu sagen hat, auf weniger als 400 Seiten. Das funktioniert meist wunderbar und wer genug hat von ausschweifenden Beschreibungen und Diskussionen, wird hier seine wahre Freude haben. Einzig das Finale erscheint zu gehetzt, sehr viele Figuren machen sehr viel auf wenigen Seiten, sodass man leicht den Überblick verliert. Es fügt sich alles zu einem zufriedenstellenden Ende, aber ein paar Seiten mehr hätten dem dramatischen Finale nicht geschadet.

Trotz einer gewissen Verbitterung, die man manchmal herausliest, ist „Drúdir“ alles in allem eine hoffnungsvolle Trilogie, in der die Charaktere für eine bessere Zukunft kämpfen und sich gegen all die Ungerechtigkeiten auflehnen. Sie erringen dabei viele Siege, müssen aber auch Niederlagen verkraften und durchleiden traumatische Erfahrungen. Sie blicken tief in die eigenen Abgründe und machen sich die Hände schmutzig, um das ihrer Meinung nach Richtige zu tun. Zwischenmenschlich und gesellschaftspolitisch ist dieser Abschlussband unglaublich stark und auch die zwischenzeitlich sehr blutige Fantasystory (Content Notes beachten!) vermag zu überzeugen. Eine kleine Anmerkung zum Schluss: Der Seedrache, der auf dem Cover zu sehen ist, spielt nur eine kleine Nebenrolle, insofern ist die Wahl des Covermotivs vielleicht etwas unglücklich..


Fazit

„Schatten und Scherben“ ist der krönende Abschluss der „Drúdir“-Trilogie und begeistert mit all seinen persönlichen und gesellschaftspolitischen Licht- und Schattenseiten. Drúdir hat sich ebenso wie die Autorin enorm weiterentwickelt. Die Handlung ist spannend inszeniert und vermag zu überraschen, doch die wahre Stärke dieses Romans liegt in den zwischenmenschlichen Tönen und in seiner Vielschichtigkeit, während er das 19. Jahrhundert und auch unsere Zeit in einer steampunkigen Fantasywelt spiegelt.


Pro und Contra

+ Drúdir ist charakterlich gereift
+ Ciatha spiegelt Drúdirs Entwicklung
+ Licht- und Schattenseiten der Welt und der Magie
+ Findras unerbittliches Bemühen um Gerechtigkeit und ihre innere Zerrissenheit
+ Wiedersehen mit den mysteriösen Elfen Kyrai und Phandrael
+ vielseitige, komplexe Fantasywelt im Zeitalter der Industrialisierung
+ Chancen und Probleme einer jungen Demokratie
+ interessante und facettenreiche Nebencharaktere
+ Svalris‘ Hochzeit mit Zwergin Rinra als wohltuendes Intermezzo

o diverse Grausamkeiten wie blutige Morde, Folter und psychische Gewalt

- gehetztes, teils unübersichtliches Finale

Wertungsterne4.5

Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5


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Tags: Steampunk, Steamfantasy, Swantje Niemann, Drúdir, queere Figuren, Nekromantie, Zwerge