Brandon Q. Morris (06.02.2021)

Interview mit Brandon Q. Morris

brandon q morrisLiteratopia: Hallo, Brandon! Kürzlich ist bei Fischer Tor Dein neuer SF-Roman „Die Störung“ erschienen – was erwartet uns in den Weiten des Alls?

Brandon Q. Morris: In „Die Störung“ geht es um die größte Frage überhaupt: Wie fing alles an? Das hofft die vierköpfige Crew herauszufinden, indem sie die Sonne als riesige Linse eines Gravitations-Teleskops benutzt. Denn jeder Blick in die Ferne des Universums ist zugleich ein Blick in seine Vergangenheit, und so tief in die Vergangenheit konnte noch nie zuvor jemand sehen.

Literatopia: Würdest Du uns Deine vier Astronaut*innen kurz vorstellen?

Brandon Q. Morris: Christine, Aaron, David und Benjamin sind mit Anfang 20 in ein Raumschiff gestiegen, um mit 40 ihr Ziel zu erreichen. Sie werden die 60 Jahre überschritten haben, wenn sie zur Erde zurückkehren. Es müssen also starke Menschen sein, besondere Persönlichkeiten. Alle vier haben ihre eigenen Motive, diese Reise anzutreten, und diese Motive haben sie dazu gebracht durchzuhalten.

Literatopia: Wie haben die vier es zwanzig Jahre zusammen im All ausgehalten? Welche Probleme entstehen zwangsläufig bei einer so langen Reise?

Brandon Q. Morris: Wir treffen die Crew, nachdem sie ihr Ziel erreicht hat. Aber sie haben mir verraten, dass zwei Dinge entscheidend waren: Die Fähigkeit, die Schwächen der anderen Menschen auszuhalten, ob nun empfunden oder objektiv, und die Motivation, bis zum Schluss durchzuhalten.

Literatopia: Als Physiker achtest Du darauf, dass in Deinen SF-Romanen alles zumindest theoretisch möglich ist. Umgekehrt gefragt: Was, das wir in SF-Romanen und –Filmen schon gesehen haben, ist physikalisch unmöglich?

Brandon Q. Morris: Arthur C. Clarke hat ja einen seiner Helden mal sagen lassen "Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Zauberei nicht zu unterscheiden". Tatsächlich wird uns, könnten wir in 500 oder 5000 Jahren aus dem Kälteschlaf erwachen, alles wie Magie vorkommen. Eines werden die Menschen aber immer noch nicht können: die Geschwindigkeit des Lichts zu übertreffen. Das ist eine harte Barriere, ebenso wie das Beamen à la Star Trek, weil man dazu alle Informationen aller Teilchen gleichzeitig erfassen müsste. Ansonsten sieht man in vielen SF-Filmen vor allem relative Unmöglichkeiten, also z.B. aus sehr hoher Geschwindigkeit in Sekunden zu bremsen oder sichtbares Laserfeuer im All. Ist dir schon mal aufgefallen, dass sich Schiffe in Star Trek immer zufällig so treffen, dass für alle oben und unten in die gleiche Richtung weisen? Im All gibt es keine ausgezeichnete Richtung.

Literatopia: Auf Deiner Website www.hardsf.de stellst Du regelmäßig physikalische Phänomene vor. Welche Kuriositäten des Alls haben Dich besonders beeindruckt?

Brandon Q. Morris: Schwarze Löcher finde ich nach wie vor sehr beeindruckend, weil sie in so vielen Größen existieren, von Milliarden Sonnenmassen (kennen wir) bis zu mikroskopisch klein (noch nicht nachgewiesen, aber wahrscheinlich). Und jedes dieser Schwarzen Löcher könnte in sich ein ganzes Universum bergen, dessen Bewohner ihr Universum für genauso riesig halten würden wie wir das unsere. Natürlich gäbe es darin auch Schwarze Löcher, die in ihrem Inneren …

Literatopia: Gibt es eigentlich noch Themen aus der Physik, die in der SF noch nicht aufgegriffen wurden? Sprich, kann man als Autor*in überhaupt noch über etwas wirklich Neues in der SF schreiben?

Brandon Q. Morris: Das Schöne ist ja, dass die Physik dazulernt. Wir wissen längst noch nicht alles. Man muss da nur ein bisschen dranbleiben. Die Themen, über die ich auf hardsf.de schreibe, sind neu und in der SF noch nicht aufgegriffen worden. Am 4. März letzten Jahres habe ich über das Hexa-Quark d*(2380) geschrieben – und im August war das Hexaquark dann der Star meines Romans "Die dunkle Quelle". Andererseits sind natürlich etwa Schwarze Löcher schon oft Thema gewesen, aber die Bücher, in denen sie auftauchen, erzählen dann doch ganz unterschiedliche Geschichten.

the holeLiteratopia: Viele Deiner SF-Romane spielen im gleichen Universum. Was verbindet die Geschichten miteinander? Und mit welchem Roman sollte man da anfangen?

Brandon Q. Morris: Die Gemeinsamkeit ist die Welt, in der die Romane spielen. Was 2046 in „Enceladus“ passiert, ist auch 2080 noch präsent, und wenn eine Protagonist*in 2046 mit 48 Jahren auftritt, gibt es vielleicht später ein Wiedersehen im Jahre 2026, dann mit 28 Jahren. DEN Einstiegsroman gibt es inzwischen nicht mehr, er könnte also auch „Die Störung“ sein. Die Welt im Hintergrund ist eine Fortschreibung der heutigen. Keine Dystopie, denn ich bin Optimist und denke, dass wir einen großen Teil unserer Probleme lösen können und werden. Natürlich ist auch 2050 nicht alles perfekt, es gibt Probleme und Menschen verhalten sich menschlich.

Literatopia: Brandon Q. Morris ist Dein Pseudonym für Hard-SF. Du beschreibst ihn selbst als „Der Astronaut, der ich aus verschiedenen Gründen nie sein konnte“. Doch warum überhaupt ein Pseudonym – und warum ein englisches?

Brandon Q. Morris: Das Pseudonym funktioniert für mich wie eine Marke. Ich beschäftige mich ja nicht nur mit Science Fiction. Zumindest war das so, als ich das Pseudonym ausgesucht habe, inzwischen bin ich eher zu 85 Prozent »Brandon«. Es sollte für den SF-Schriftsteller stehen, und es sollte auch im amerikanischen Markt funktionieren.

Literatopia: Bisher hast Du Deine Romane als Selfpublisher veröffentlicht. Warum bist Du mit „Die Störung“ zu einem Verlag gewechselt?

Brandon Q. Morris: Ich probiere einfach gern neue Dinge aus. Berührungsängste zu Verlagen hatte ich nie (ich war selbst drei Jahre in einem Buchverlag angestellt), ich bin nicht aus ideologischen Gründen Selfpublisher geworden, sondern aus praktischen. Fischer TOR erreicht, hoffe ich, Leserinnen und Leser, denen meine Bücher bisher nicht begegnet sind, obwohl sie der Buchhandel grundsätzlich alle auch verfügbar hat.

Literatopia: Eignet sich Selfpublishing eigentlich für alle Autor*innen? Oder sollte man das unter bestimmten Umständen lieber lassen?

enceladusBrandon Q. Morris: Um Spaß am Selfpublishing zu haben, muss man beide Teile der Arbeit mögen: das Schreiben und das Veröffentlichen. Man ist ja sein eigener Verleger und damit komplett für Erfolg oder Misserfolg verantwortlich. Man hat auch dieselben Investitionen, die sonst der Verlag stemmt, aber wenn es sich nicht rentiert, kann man es nicht mit Einnahmen aus einem unerwarteten Bestseller eines anderen Titels ausgleichen.

Literatopia: In unserem letzten Interview meintest Du, dass Du tatsächlich alle Rezensionen, die Du entdeckst, liest. Ist das immer noch so? Oder kommst Du bei so vielen Romanen inzwischen nicht mehr hinterher?

Brandon Q. Morris: Das schaffe ich tatsächlich nicht mehr. Ich beantworte aber nach wie vor jede E-Mail, die ich erhalte, poste regelmäßig auf Facebook und Instagram, schreibe zwei, drei Mal die Woche neue Artikel auf hardsf.de und versorge meine Fans auf Patreon jeden Tag mit einer Neuigkeit.

Literatopia: Auf TOR online hast Du verraten, dass in Deinem neusten Projekt die Held*innen auf einem Planeten Richtung Andromeda Galaxie reisen. Wie können sie ihren Planeten gezielt in eine Richtung steuern? Und wie könnten sie die Leere zwischen den Galaxien passieren?

Brandon Q. Morris: Ein paar der Details sind noch geheim, weil sie Teil der Story sind. Den Planeten haben seine Bewohner allerdings nicht gezielt aus unserer Milchstraße herausgesteuert. Es passiert tatsächlich immer wieder, dass Sterne oder andere Himmelskörper durch Wechselwirkungen mit anderen Sternen aus der Milchstraße geschleudert werden. Wir sprechen da natürlich von riesigen Zeitabständen. Da kann Andromeda als Ziel auch zur Legende werden. Was steckt wirklich dahinter? Wir werden es sehen :-)

Literatopia: Du hast schon sehr viel SF gelesen. Welche Romane haben Dich am nachhaltigsten beeindruckt? Und liest Du auch SF von deutschen Kolleg*innen?

Brandon Q. Morris: Oh, da gibt es so viele! Lem und Snegow als Kind, die Strugatzkis, Arthur C. Clarke, im Kontrastprogramm die ersten 1000 Perry-Rhodan-Bände, ganz besonders aber auch Dan Simmons (Hyperion-Zyklus). Zum (SF-)Schreiben gebracht hat mich Neal Stephenson mit „Amalthea“, das 2015 erschien. Ich lese inzwischen allerdings nicht mehr allzu viel, weil ich lieber schreibe. Ich plotte ja nicht, sondern entdecke die Geschichte zusammen mit meinen Protagonist*innen, das ist fast, als wäre ich selbst dabei.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!


Autorenfoto: Copyright by Birgit-Cathrin Duval

Autorenwebsite: www.hardsf.de 

Buchtrailer „Die Störung“

Buchtrailer „Andromeda“ 

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Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.