Michael Nußbaumer (17.02.2021)

Interview mit Michael Nußbaumer

LiteratopiaHallo Michael, wie würdest du deinen Roman „Weltübergang“ für Lesende beschreiben, die noch nie von dem Buch gehört haben?

Michael Nußbaumer: Es findet ein Weltuntergang statt, der aber keiner ist, sondern das Ende von zu eng gedachtem Leben und der Übergang zu etwas Neuem, Offeneren. Und das im Gewand einer „verrückten“ Fantasy- und SF-Geschichte oder eigentlich von drei Geschichten, die miteinander verknüpft sind.

LiteratopiaGab es einen klaren Moment, ab dem du wusstest, dass du diese Geschichte schreiben möchtest?

Michael Nußbaumer: Ja, das war in einem Wiener Kulturcafe, in einem ehemals besetzten Haus, in dem ich einen ganzen Abend saß und Ideen aufschrieb, die sich zu einer großen Geschichte fügten und ich wusste, das ist jetzt wirklich was, das hat Kraft und „will geschrieben werden“.

LiteratopiaKannst du ein bisschen mehr über die Hauptfiguren erzählen?

Michael Nußbaumer: Pi ist eine junge Anarchistin und ist in einem solchen besetzten Haus aufgewachsen, sie fühlt sich als Teil einer Widerstandsbewegung und steckt voller Ideale, die aber mehr und mehr enttäuscht werden. Das ist zwar ein recht harter Prozess, aber sie verliert dabei nicht nur, sie findet sich auch neu und hat gewinnt mehr Spielraum. Und Alani irrt durch eine Art von Zauberwelt, in der ein Außenseiter ist. Alle haben ihren Platz darin, außer ihm, so erscheint ihm die Sache am Anfang. Also macht er sich auf die Suche nach seinem Platz und das ändert natürlich alles, nicht nur für ihn.

LiteratopiaEs kommen eine Menge ungewöhnliche Wesen und Orte vor – gibt es Details im Buch, die du besonders magst?

Michael Nußbaumer: Ich mag es, wie der große Wald, dort, wo er ganz finster ist, zu einer Art vielstimmigem Orchester für Alani wird. Das deckt sich – habe ich im Nachhinein herausgefunden – sehr gut mit dem intensiven Zusammenspiel, das einen „natürlichen“ Wald auszeichnet. Aber ich mag es auch, sozusagen im Kontrast, wie Pi durch diese futuristische Stadt streift, die im wahrsten Sinne des Wortes ausgestorben ist, kein lebendiger Mensch da, außer ihr. Obwohl ich diese Szene vor Jahren zum ersten Mal geschrieben habe, habe ich sie dann im ersten Lockdown „in echt“ nach empfinden können.

LiteratopiaWürdest du „Weltübergang“ als Fantasyroman bezeichnen?

Michael Nußbaumer: Ja, aber im Sinne von Ursula K Le Guin, die sagte, dass gute Fantasy wahr ist.

LiteratopiaWas sind deine Berührungspunkte mit phantastischer Literatur? Gibt es da Bücher, die dich beeindruckt haben?

Michael Nußbaumer: Eine Menge. "Dunkelsprung" von Leonie Swann ist ein jüngeres Beispiel. Besonders beeindruckt hat mich "Neverwhere" von Neil Gaiman, auch "Dune" / "Der Wüstenplanet" von Frank Herbert, da war ich vielleicht zwölf oder vierzehn. Als kleines Meisterwerk ganz eigener Art empfand ich im selben Alter „Der Sommer geht“ von Michael Coney. Ich empfinde aber auch „Malina“ von Ingeborg Bachmann als Teil der phantastischen Literatur, mich interessiert die Unterscheidung von Unterhaltung- und Hochliteratur in diesem Sinne nicht. Die Kurzgeschichten von Ted Chiang sind auch ganz wunderbar. „Arrival“ ist ja eine Verfilmung einer seiner Geschichten.

LiteratopiaWas mir beim Lektorieren positiv aufgefallen ist, war die Vermeidung des generischen Maskulinums, was meiner Meinung nach gut zum Weltenbau passt. Was hat dich dazu bewogen, auf diese bisher noch nicht so etablierte Weise zu schreiben? Möchtest du das bei künftigen Projekten beibehalten?

Michael Nußbaumer: Ich war fasziniert von der Möglichkeit, die Welt durch eine veränderte Sprache anders zu sehen und diese Faszination lebt in mir weiter. Und das Frauen sich einfach mitgedacht fühlen sollen, hätte wirklich nicht zu der Geschichte gepasst, in der es um erweiterte Perspektiven geht. Aber ich mache daraus keine Regel – wenn es gut zu der nächsten Geschichte passt, behalte ich es aber sicher bei.

LiteratopiaAuf deiner Website steht, dass du im Bereich der Kulturtransformation arbeitest. Was kann man sich darunter vorstellen?

Michael Nußbaumer: Auch hier geht es um die Frage, wie kann ich „die Welt“ anders sehen? Nicht beliebig anders, sondern so anders, dass sich etwas, das bisher ein unlösbares Problem war, entweder gestalten lässt oder kein Problem mehr ist. In diesem Sinn begleite ich Menschen, Projekte, Teams, ihr Leben so zu leben, dass es ihnen besser entspricht. Kulturtransformation ist kein Konzept von außen, das sagt, ihr müsst dorthin gehen, sondern das fragt und begleitet, in eine Richtung, die besser dem jeweils Eigenen entspricht. Ich habe darüber auch ein Sachbuch geschrieben.

LiteratopiaDu arbeitest auch im Redaktionsteam eines Magazins: Wie gestaltet sich diese Arbeit?

Michael Nußbaumer: Ich habe diese Zeitschrift, das TAU-Magazin, vor gut zehn Jahren gegründet und darin fast alles gemacht, was man in einer Redaktion machen kann, sogar illustriert und Inserate aufgetrieben und Bankgeschäfte abgewickelt. Aber meine Hauptarbeit war die Themenfindung, Interviews und die Gestaltung redaktioneller Abläufe. Das klingt vielleicht etwas trocken, aber wir waren keine „normale“ Redaktion. Da wurde am Beginn einer Redaktionssitzung zum Auflockern schon mal gejodelt oder getanzt oder gemalt und dann konnte es sehr ernst werden, bis tief in persönliche Betroffenheit zu einem Heftthema hinein und dann wurde wieder ganz im üblichen Sinne professionell gearbeitet. Eben auch ein „Labor für Kulturtransformation“! Vor einem halben Jahr habe ich mich in aller Freundschaft aus der Redaktion verabschiedet, weil für mich das Schreiben von Büchern jetzt Priorität hat.

LiteratopiaEine der großen Herausforderungen des Autor*in seins ist es meiner Meinung nach, erstmal Leute auf das eigene Buch aufmerksam zu machen, umso mehr, wenn es sich nicht in etablierte Trends einordnen lässt. Wie gehst du damit um und erreichst deine Leser*innen?

Michael Nußbaumer: Ja, mit dem Schreiben ist die Arbeit nicht getan. Ich finde es wichtig, dass ich in einer Art werbe, die mir entspricht und das ich als König, nicht als Bettler „raus gehe“. Also nicht: Bitte, kauft mein Buch, sondern im Bewusstsein, dass ich mit „Weltübergang“ etwas von Wert geschaffen habe, das auf jeden Fall sein Publikum hat. Ich habe über meine bisherige Arbeit ja schon ein großes Netzwerk, aus dem es hoffentlich auch weitere Empfehlungen gibt und ich werbe über Social Media und plane Veranstaltungen, sobald das wieder geht. Ich leiste also meinen Beitrag zur Verbreitung, mir ist aber auch aus meiner Arbeit als Herausgeber einer Zeitschrift klar, dass es Menschen braucht, die von der Geschichte begeistert sind und das auch ausdrücken!

LiteratopiaIch höre immer wieder von Leuten aus meinem Bekanntenkreis, dass sich ihr Schreiben und Lesen durch die Corona-Pandemie verändert hat. Wie sieht es bei dir aus?

Michael Nußbaumer: Das ganze Leben hat sich durch die Pandemie und die veränderten „Spielregeln“ verändert und ist dabei, sich weiter zu verändern. Mein Lesen und Schreiben empfinde ich dabei aber recht wenig betroffen. Im Weltübergang, aber auch in meinen derzeitigen Buchprojekten an denen ich schon vor der Pandemie gearbeitet habe, kommen Elemente und Bilder vor, die sehr gut zu dem ganzen Thema passen. Ich glaube, durch künstlerische Arbeit findet mensch Zugänge zu Bereichen des Bewusstseins, die solche großen Bewegungen verarbeiten und ausdrücken und sogar vorwegnehmen können, ohne rein mental reagieren zu müssen. Verstandeslösungen sind ja oft recht oberflächlich.

LiteratopiaApropos Lesen: Hast du in letzter Zeit ein Buch gelesen, das dich begeistert hat? Und was für Bücher würdest du gerne öfter auf dem Buchmarkt sehen?

Michael Nußbaumer: Ich habe ein sehr ungewöhnliches Sachbuch gelesen „Quantum Prodigal Son“ – die Verbindung von Quantentheorie und dem biblischen Gleichnis vom verlorenen Sohn. Das hat mir gefallen, weil es eine Einladung ist, die Welt anders zu sehen. Und ich habe ein paar Bänder der „Alex Verus“ – Reihe gelesen und mich gut unterhalten gefühlt. In der SF gefällt mir Becky Chambers aktuelle Arbeit sehr gut. Allgemein fände ich es toll, wenn am deutschsprachigen Buchmarkt oder eher in den Besprechungen die engstirnigen Grenzlinien zwischen Fantasy und Hochliteratur, zwischen ernstzunehmend und Unterhaltung oder Spekulation fallen würden. Meiner Wahrnehmung nach ist das im englischsprachigen Bereich etwas anders und dadurch interessanter.

LiteratopiaWelche Rolle, denkst du, kann und sollte Literatur in der Welt spielen? Findest du den Gedanken, dass Leute deine Bücher lesen und eventuell davon beeinflusst werden, eher beflügelnd oder eher einschüchternd?

Michael Nußbaumer: Geschichten spielten immer eine entscheidende Rolle, weil sie die Art, wie wir uns selbst und die Welt sehen, verändern können. Ich finde es sehr aufregend und schön, dass meine Geschichten gelesen werden und Menschen beeinflussen – ich mag sie ja nicht „nur“ mir selbst erzählen. Aber es ist ja so, dass eine Geschichte in jedem Geist anders erscheint, also niemand liest und erlebt das gleiche Buch – der Leser, die Leserin erschafft immer ihre, sein eigene Geschichte. Insofern bin ich auch nur zu einem kleinen Teil verantwortlich dafür, was meine Bücher bewegen.

Literatopia: Vielen Dank für das Interview!


Autorenfoto: (c) Privat

Homepage des Autors: www.michaelnussbaumer.info


Dieses Interview wurde von Swantje Niemann für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.