Exploit - Information ist nicht umsonst (Ralph Mayr)

Polarise (Februar 2021)
Taschenbuch, 240 Seiten, 12,95 EUR
ISBN: 978-3-947619-81-8

Genre: Tech-Thriller


Klappentext

Nathan Long ahnt noch nicht, dass ihn seine Geschäftsreise durch Südostasien für immer verändern wird. Der CEO von Veridical, einem ebenso erfolgreichen wie geheimnisumwobenen Softwarekonzern, sieht sich plötzlich mit wirren Anschuldigungen eines dubiosen Hacker-Kollektivs konfrontiert: Seine Produkte, weltweit im Einsatz, um Straftäter zu verfolgen, sollen lückenhaft sein und würden missbraucht, um Dissidenten mundtot zu machen.

Als die vagen Vorwürfe unvermittelt zu einer handfeste Erpressung werden, gerät Nathan auf einmal zwischen die Fronten zweier bedrohlicher Mächte. Keine von ihnen ist bereit aufzugeben und keine schreckt vor radikalen Maßnahmen zurück. Welchen Preis ist er bereit zu zahlen, um sich selbst und seine Firma zu retten?


Rezension

Der Softwarekonzern Veridical entwickelt Produkte, die weltweit in der Strafverfolgung eingesetzt werden, und setzt maximal auf Diskretion, getreu dem Motto „Keine Publicity ist besser als gute Publicity“. Das geht soweit, dass nicht einmal die eigenen Mitarbeiter wissen, woran die Kollegen aktuell arbeiten. Auf einer Geschäftsreise in Japan erfährt CEO Nathan Long, dass ein geschätzter Kollege und Freund in China verstorben ist. Kurz darauf wird er vom Kollektiv kontaktiert, einer Hackergruppe, die auf WikiLeaks ein Enthüllungsvideo über Veridical veröffentlicht hat und Nathan nun mit gefälschten Videoaufzeichnungen erpresst. Offensichtlich hat ein Mitarbeiter einen Exploit geleakt – eine Schwachstelle im System von Veridical, die es erlaubt, Beweise zu manipulieren und Unschuldige ins Gefängnis zu bringen. Sollte die Öffentlichkeit etwas davon erfahren, wäre Veridical ruiniert. Nathan setzt alles daran, eine Lösung zu finden, die das ominöse Kollektiv zufrieden stellt und die nicht den Ruin seiner Firma beinhaltet …

„Exploit – Information ist nicht umsonst“ widmet sich dem brandaktuellen Thema Künstliche Intelligenz und erzählt eine durchaus realistische, erschreckende Geschichte über den Missbrauch moderner Technologien. Veridical hat es sich zum Ziel gesetzt, Verbrechen auf der ganzen Welt zu bekämpfen, schreckt aber nicht davor zurück, mit diktatorischen Regimen zusammenzuarbeiten. Ihre Software ist so begehrt, dass kein Platz für moralische Bedenken bleibt, schließlich hilft Veridical, die Welt sicherer zu machen. Daran, dass es vielleicht Sicherheitslücken gibt, die ausgenutzt werden können, will niemand denken - schließlich will man den Erfolg nicht gefährden. Allerdings gibt es einzelne Mitarbeiter, die diese Gefahr sehr wohl erkannt haben, und Informationen an Dritte wie das Kollektiv weitergeben. Dieses Problem wird ebenfalls mit neuer Software gelöst, die die Maulwürfe schnell ausfindig macht. Doch Nathan muss schließlich erkennen, dass das Problem in seiner Firma viel tiefer geht.

Als zweite Perspektivfigur lernen wir Ashlee kennen, neuerdings Junior AI Engineer bei Veridical. Ashlee ist zunächst begeistert von ihrem neuen Arbeitgeber, der ihr ein tolles Arbeitsklima, riesige Möglichkeiten und viele Benefits bietet. Nach anfänglicher Skepsis über die Verschwiegenheit innerhalb der Firma ist sie Feuer und Flamme für ihren neuen Job und verteidigt ihn gegen Bedenken ihrer Mitbewohnerin. Nach und nach macht sich Ashlee aber doch Gedanken um die verschachtelte Firmenstruktur, in der die Teams fast schon wie Terrorzellen nebeneinander arbeiten. So spannend ihre Projekte auch sind, es macht ihr zunehmend Angst, wofür ihre Produkte benutzt bzw. missbraucht werden können.

Die dritte Perspektivfigur ist der Chinese Wang Shuren, der nur vorübergehend diesen Namen trägt. Er hat sich offenbar mit dem Staat angelegt und musste fliehen. Ominöse „Freunde“ helfen ihm dabei und so taucht er in Singapur unter. Als Lebensversicherung hat er brisante Dokumente bei seinem Anwalt hinterlegt, doch der Exploit bei Veridical bricht ihm schließlich das Genick. Anhand seiner Geschichte sieht man, wie fatal die Auswirkungen einer Schwachstelle in einem KI-System sind. Von der technischen Seite ist „Exploit – Information ist nicht umsonst“ ein erschreckend realistischer, beklemmender Roman, der zugleich Chancen und Gefahren KI-basierter Technologien aufzeigt. Ralph Mayr bringt hier gekonnt seine Erfahrungen in der IT-Branche ein und verpackt die Themen so, dass auch Laien verstehen, wo genau die ethischen und sozialen Probleme in Bezug auf KI liegen.

Erzählerisch hat der Roman allerdings ein paar Schwächen. So ist Nathan Long zunächst der klischeehafte, kaltschnäuzige CEO, der den großen Geschäften nachjagt und in seinem Luxusleben den Bezug zu Moral und Realität verloren hat. Es scheint ihm nur um seinen Kopf zu gehen, was sich im Verlauf des Romans ändert – allerdings nimmt man ihm seine Wandlung nicht ab. Auch Ashlee und Wang Shuren erfüllen nur ihre Rollen: sie als junge, hochqualifizierte Frau, die zunächst die Vorzüge ihres Hightech-Jobs genießt und schließlich doch an der Firmenmoral zweifelt, und er als Opfer des Systems, das eben doch nicht so fehlerlos und perfekt ist, wie von Veridical beworben. Diese Rollen erfüllen beide gut, doch darüber hinaus bleiben sie blass und austauschbar.

Die erste Romanhälfte liest sich ruhig, fast ein bisschen trocken, dafür aber durchweg glaubwürdig. Die zweite Hälfte bietet mehr Action, die Schlinge um Nathans Hals zieht sich langsam zu, doch man fühlt sich zeitweise an einen mittelmäßigen Agentenfilm erinnert. Nathan handelt zunehmend impulsiv und unüberlegt und man wundert sich sehr, wie er sich einerseits in sein Schicksal zu fügen scheint und andererseits völlig neue Visionen seiner Firma entwickelt. In den letzten Kapiteln wirkt es, als hätte sich der Autor die Geschichte mit Gewalt zurechtgeboten, während man vergebens auf einen großen Knall wartet. 


Fazit

Ralph Mayr zeichnet in „Exploit – Information ist nicht umsonst“ ein beklemmend realistisches Szenario bezüglich der Missbrauchsmöglichkeiten KI-basierter Technologie. So kann Software, die Straftäter hinter Gitter bringen soll, auch Unschuldige vernichten, weil Schwachstellen ausgeblendet werden, um den Erfolg nicht zu gefährden. Für einen Thriller ist der Roman insgesamt zu ruhig und die Figuren erfüllen überwiegend starr ihre Rollen, doch die Einblicke in die Welt des AI Engineering sind sehr interessant.


Pro und Contra

+ erschreckend realistisches Szenario
+ Missbrauch von KI-basierter Technologie
+ aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt
+ technische Grundlagen werden gut rübergebracht
+ gut ausgearbeitetes Setting in Japan
+ mit Wang Shuren erlebt man hautnah die Konsequenzen des Exploits

- Figuren mit zu vielen Klischees
- für einen Thriller zu ruhig
- Nathans Wandlung ist nicht glaubwürdig

Wertungsterne3.5

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3/5

Tags: Cyberpunk, Ralph Mayr, deutschsprachige SF, Near Future