Robert von Cube (16.03.2021)

Interview mit Robert von Cube

Literatopia: Hallo, Robert! Kürzlich ist Dein Roman „Eisschmelze“ beim Verlag ohneohren erschienen. Naturkatastrophen verwüsteten die Erde und Protagonist Henry wollte wie viele andere mit einem Raumschiff fliehen – was erwartet ihn, als er aus dem Kryoschlaf erwacht?

robert von cubeRobert von Cube: Henry selbst erwartet, auf einer Raumstation wieder aufgetaut zu werden. Doch er muss erkennen, dass seine Rakete nie gestartet ist. Kein anderer Passagier hat überlebt. Und als es ihm schließlich gelingt, das stählerne Grab zu verlassen, wirkt es zunächst so, als habe auf der ganzen Erde niemand überlebt. Henry weiß, dass Vulkanasche den Himmel verdunkelte und eine Eiszeit bevorstand. Doch jetzt scheint die Sonne und aus den weiten Schneelandschaften bricht das Grün einer wiedererwachenden Natur hervor. Er muss lange geschlafen haben. Das Eis schmilzt schon ...

Literatopia: Wie passt sich Henry an die veränderten Bedingungen auf der Erde an? Und welche Rolle spielt ein Hund dabei?

Robert von Cube: Ich denke, ich spoilere nicht zu viel, wenn ich verrate, dass Henry bald doch auf Menschen trifft. Er wird nicht nur mit einer fremden Zivilisation konfrontiert, sondern auch mit düsteren und geheimnisvollen Kräften, die den Alltag dieser Menschen prägen. Henry ist eigentlich ein erfolgreicher Restaurantbesitzer. Er hat nicht nur Organisationstalent und Geschäftssinn, sondern auch ein einnehmendes Wesen. Aber er wird an einen Punkt kommen, wo es nicht reicht, Menschen für sich zu einzuspannen. Er muss lernen, selbst zu vertrauen.

Doch sein erster und treuester Freund in dieser Fremde ist Lapislazuli. Der Hund ist für ihn fast schon so etwas wie ein Türöffner. Henry versteht nicht, was es bedeutet, aber er ahnt, dass es etwas Gutes sein muss, was die Leute über seinen Hund sagen: Lapislazuli sei von der Blauen Gnade gesegnet.

Literatopia: Erzähl uns etwas mehr über die zukünftige, postapokalyptische Welt. Wie sieht der Alltag der menschlichen Gemeinschaften aus? Gibt es Schriftstücke, die die Eiszeit überdauert haben und gelesen werden können? Technologie, die noch funktioniert?

Robert von Cube: Wissen hat überdauert, aber es ist bruchstückhaft. Deswegen ist Henrys Allgemeinbildung auch so wertvoll, selbst wenn er kein Experte in Technikfragen ist. Die wenige Technologie, die noch funktioniert, ist unglaublich wertvoll. Doch dafür gibt es ganz andere, geheimnisvolle Kräfte, die das Leben der Menschen bestimmen. Im Guten wie im Schlechten. Mehr wird an dieser Stelle nicht verraten!

Literatopia: Wie bist Du auf das Thema Eiszeit/Postapokalypse gekommen? Und was hast für „Eisschmelze“ alles recherchieren müssen?

Robert von Cube: Das Buch ist über einen langen Zeitraum entstanden. Die Grundidee war, einen Roman zu schreiben, der von der Handlung wie eine epische Fantasygeschichte aufgebaut ist, mit Königreichen und Magie und uralten Mythen. Doch das Setting sollte dystopisch sein, in den Abfällen einer untergegangenen Zivilisation spielen. Der Müll, der unter den schmelzenden Gletschern nur nach und nach zum Vorschein kommt, gilt für die Menschen als wertvoller Rohstoff. Die offizielle Währung sind Stücke von Platinen, die aus uralten Elektrogeräten herausgeschnitten wurden. Der Strom, diese für die Menschen geheimnisvolle Kraft, die einstmals die Welt beherrscht haben muss, wird angebetet wie ein verschollener Gott.

Im Gegensatz zu Honigmann & Breuer, zu denen wir ja gleich kommen, und die in einem tatsächlichen historischen Setting spielen, hatte ich für „Eisschmelze“ fast alle Freiheiten. Natürlich stößt man als Autor auch dort immer wieder auf Dinge, die man herausfinden muss: Wie funktioniert eine Rakete? Was genau ändert sich eigentlich, wenn man bei einem Fahrraddynamo schneller tritt? Welche Bäume wachsen am ehesten in einem Klima, das gerade aus einem tiefen Winter erwacht?

Literatopia: Im Verlag In Farbe und Bunt erscheint Dein Fortsetzungsroman „Honigmann & Breuer“. Welchen übernatürlichen Phänomenen müssen sich Simon Honigmann und Doktor Breuer in der Nachkriegszeit stellen?

Robert von Cube: Die zwei sind „Seelenjäger“. Nach dem Tod eines Menschen sollte seine Seele in den Himmel oder die Hölle fahren. Doch manchmal geht etwas schief und die Seele verbleibt auf der Erde. Dann sucht sie sich einen Wirt. Wusstest du, dass immer, wenn wir gähnen, Seelen in uns ein- oder austreten? Sie sind ständig auf der Suche nach einem passenden Wirt. Wenn wir müde sind, haben sie die besten Chancen. Oft bleiben sie nicht lange, sondern hüpfen zum nächsten Opfer. Deswegen ist Gähnen auch ansteckend.

Es ist naheliegend, dass nach der Katastrophe des 2. Weltkriegs besonders viele herrenlose Seelen unterwegs sind. Und die alten Strukturen und geheimen Bruderschaften, die sich bislang um die Ordnung in diesen Angelegenheiten gekümmert hatten, sind alle zerschlagen. Nur so kommt es, dass dieses ungleiche Paar – Privatdozent Simon Honigmann und Doktor Botho Breuer – überhaupt zusammenfindet und zusammenbleibt.

honigmann und breuer band1Literatopia: Deine Seelenjäger hatten bereits erste Auftritte in den Anthologien „Fantasy Noir“ und „Absinth“ – wann war Dir klar, dass Du den beiden mehr Raum als zwei Kurzgeschichten geben musst?

Robert von Cube: Tatsächlich hatte ich von Anfang an die Idee, dass die Geschichte eine Serie sein soll. Aber weil ich mir als unbekannter Autor wenig Chancen ausrechnete, einem Verlag gleich eine ganze Serie anzudrehen, habe ich sie in die Kurzgeschichten geschmuggelt, in der Hoffnung, sie mögen gut genug ankommen, um einen Verlag neugierig zu machen. Und das hat dann erfreulicherweise auch geklappt!

Literatopia: Was zeichnet eine gute Kurzgeschichte für Dich aus? Und wie lange schreibst Du durchschnittlich an einer?

Robert von Cube: Eine Kurzgeschichte muss auf wenig Raum den Leser packen. Sie muss ein intensiver, emotionaler Ritt sein. Es bringt daher nichts, zu viele Ideen, Perspektiven oder Entwicklungen in eine Kurzgeschichte stopfen zu wollen. Meiner Erfahrungen nach funktionieren Kurzgeschichten dann am besten, wenn man sich gut beschränkt – auf einen kurzen Zeitraum, ein begrenztes Setting, auf wenige Personen.

Wie lange es dauert, kann unterschiedlich sein und das hat vor allem damit zu tun, wie schnell ich die passende Idee habe. Wenn ich direkt weiß, was ich schreiben will, dann tippe ich die Geschichte in wenigen Stunden herunter. Danach würde ich noch mal die doppelte Zeit für die Überarbeitung rechnen. Die Überarbeitung ist essentiell und unterscheidet meiner Meinung nach den Anfänger vom fortgeschrittenen Autor. Wenn mir die passende Idee erst fehlt und ich brainstormen muss, kann es sich aber deutlich länger hinziehen.

Literatopia: Wie gehst Du bei der Überarbeitung Deiner Geschichten vor? Hast Du festgelegte Punkte, die Du nacheinander abarbeitest, oder ist das von Geschichte zu Geschichte anders?

Robert von Cube: Das hängt ein wenig davon ab, wie gut die Geschichte vorher geplant wurde. Je freier ich drauf losgeschrieben habe, desto mehr muss die Handlung später angepasst werden, weil sich vielleicht Dinge ergeben, die am Anfang noch nicht klar waren. Das macht die meiste Mühe. Dann schaue ich meistens, welche Stellen zu wenig „Show don’t tell“ beherzigen, wo man es also eher mit Zusammenfassungen als lebhaften Beschreibungen zu tun hat. Es fällt mir immer schwer, mich hier zu disziplinieren und eine Passage, die ja eigentlich schon da ist, noch mal neu zu formulieren. Leichter fällt mir da schon die stilistische Feinarbeit, bei der der Text einfach überall hübscher gemacht wird. Und wieder schwer und mühsam, aber von herausragender Wichtigkeit, ist das Kürzen. Es ist immer zu viel Speck an einem Text, das muss gnadenlos auf das Nötigste heruntergestrichen werden. Da ist es von Vorteil, wenn der Verlag ein Zeichenlimit setzt. Das nervt zwar, aber es zwingt einen, den Text wirklich auf seine Essenz zusammenzuköcheln.

Literatopia: Du bezeichnest Dich selbst als Psychiater, Phlegmatiker und Phantast – wie passt das zusammen? Wie kann sich ein Phlegmatiker zum Schreiben aufraffen? Und inwiefern inspirieren Dich Deine Erfahrungen als Psychiater in der Phantastik?

honigmann und breuer band2Robert von Cube: Den Spruch darf man vielleicht nicht zu ernst nehmen. Aber tatsächlich hat das Phlegma ja mehrere Seiten. Man kann es als Trägheit auffassen, aber auch als Gelassenheit, Ruhe und Ausdauer. Letzteres braucht man als Psychiater unbedingt und als Autor wahrscheinlich auch. Dennoch, ja, Trägheit ist auch ein Charakterzug von mir. Es hat lange gedauert, bis es mir gelungen ist, wirklich regelmäßig zu schreiben. Ich komme langsam in Bewegung, aber wenn es erstmal so weit ist, habe ich auch eine enorme Massenträgheit. Wenn ich mich mal entschlossen habe, etwas durchzuziehen, bin ich also nicht mehr so leicht zu stoppen.

Psychiater und Autor zu sein passt für mich gut zusammen, weil beides ein ernsthaftes Interesse an Menschen voraussetzt. Es ist mir wichtig, dass die Figuren in meinen Geschichten glaubwürdige Leute mit realistischen Gefühlen sind. Man kann die phantastischen Erlebnisse, die sie haben, wenn man mag, als Metaphern für die Dinge lesen, die auch echten Menschen geschehen und die sie in Not, in Freude, in Angst oder Glück versetzen. Das ist mir wichtig: Ich würde niemals meine (realen) Erfahrungen mit Menschen in Grenzsituationen missbrauchen wollen, um Fantasy-Produkten etwas Würze zu geben. Es ist umgekehrt. Die Phantastik ist Mittel zum Zweck, um Menschen zu zeigen.

Ich nehme die Nöte meiner Patienten ernst, unabhängig davon, ob es sich dabei um ein echtes Trauma handelt oder vielleicht eine wahnhafte Angst, die manch Außenstehendem lächerlich erscheinen könnte. Und wenn ich schreibe, nehme ich meine Figuren ernst und möchte dem Leser ein glaubwürdiges Bild vermitteln. Dabei helfen mir natürlich auch meine Erfahrungen als Psychiater. Wahrscheinlich auch umgekehrt: Meine Phantasie hilft mir, auch abgefahrene Wahnideen nachzuvollziehen, bei denen manch anderer vielleicht längst abgewunken hätte.

Literatopia: Du schreibst nicht nur Phantastik, sondern auch Witze für das Satiremagazin „Titanic“ – was zeichnet einen guten Witz denn aus? Und gibt es Witze, von denen Du im Nachhinein sagst, naja, war doch nicht lustig?

Robert von Cube: Ich schreibe vor allem regelmäßig „Briefe an die Leser“, aber ich hatte auch schon größere Beiträge. Zum Glück hat die Titanic eine strenge Redaktion mit hohen Qualitätsansprüchen und die schlechten Witze, die ich zweifelsohne ständig einreiche, haben keine Chance. Die „Briefe an die Leser“ richten sich ja meistens an berühmte Persönlichkeiten und manchmal wird es mir im Nachhinein schon ein wenig mulmig, wenn ich bedenke, wen ich da alles vor den Kopf gestoßen habe. Aber es gibt ja immer einen konkreten Anlass, irgendetwas Dummes, was gesagt wurde und dafür muss eine öffentliche Person eben geradestehen können.

Ein guter Witz (oder humoristischer Beitrag) muss gnadenlos und bis auf letzte Körnchen freigeschliffen sein von Überflüssigem. Wenn man ins Labern kommt, hat Humor keine Chance. Die Pointe braucht eine makellose Bühne, auf der sie heraussticht, sie kann nicht durch achtlos liegengelassene Requisiten stolpern. Insofern kann schon ein übersehenes Füllwort einen Witz ruinieren. (Wäre dies ein Witz müsste ich mich entscheiden: Das Bild mit dem Abschleifen oder das mit der Bühne, so ist es nicht kristallisiert genug.) („Kristallisiert“ war das dritte Bild in Folge.)

Literatopia: Bei den Ruhrbaronen bloggst Du zu Politik und Gesellschaft, aktuell auch zur Corona-Krise. Wie würdest Du ein Jahr Corona kurz zusammenfassen? So manche Autor*innen haben ja schon etwas zum Thema Pandemie geschrieben – wäre das auch was für Dich oder hast Du erst einmal die Schnauze voll davon?

honigmann und breuer band3Robert von Cube: Ich finde es erstaunlich, wie kurz sich dieses Jahr anfühlt. Ja, ich kann jeden verstehen, der sagt: es zieht sich wie Kaugummi. Aber auf der anderen Seite ist eben so wenig passiert, der Alltag ist so gleichförmig, es fühlt sich seit Monaten so an, als würde man eine kurze Auszeit vom eigentlichen Leben nehmen und müsste eigentlich da weitermachen, wo man ausgestiegen ist. Aber diese komische Pause vom eigentlichen Leben dauert jetzt schon ein Jahr. Ich werde mich hüten, Geschichten über Pandemien, Viren und Ähnliches zu schreiben. Davon werden wir garantiert in den nächsten zehn Jahren einen gewaltigen Überschuss haben. Natürlich inspiriert einen Autor alles, was gerade passiert. Man fängt automatisch an, es auszumalen, es in Sci-Fi-Settings zu transponieren und so weiter. Aber wie gesagt, ich glaube, davon werden sowohl der Markt als auch die Leser ohnehin übersättigt sein.

Ich verschenke daher hiermit eine Idee: In einer Pandemie, wie unsere, nur noch schlimmer, sind die größten Helden die Kuriere. Eigentlich kann und darf man nicht mehr rausgehen, alle sind zuhause, niemand geht in einen Laden oder so. Aber die Gesellschaft funktioniert nur, wenn noch Dinge ausgeliefert werden, an all die Home-Office-Menschen. Da es draußen lebensfeindlich ist, sind die Kuriere mit High-Tech-Schutzausrüstung unterwegs oder besser noch mit heiß umkämpfter Low-Tech-Schutzausrüstung, um die sie sich bekriegen, verschiedene Kurier-Gangs im Bandenkrieg ...

Literatopia: Von Dir gibt es auch einen Podcast zu „abseitiger“ Musik – was können wir uns darunter vorstellen? Und hörst Du eigentlich Musik beim Schreiben?

Robert von Cube: Der Podcast heißt „Ach und Krach – Gespräche über Lärmmusik“. Ich mache ihn zusammen mit meinem Freund Jochen. Wir reden über alle Arten von harter und schräger Musik, also Metal, Grindcore, Experimentelles, Freejazz ... Es ist ein Nischenprodukt und vieles, was wir dort besprechen, wird ein normaler Mensch noch nicht mal als „Musik“ identifizieren.

Ich habe früher beim Schreiben Musik angemacht, um mich „in Stimmung“ zu bringen, aber mir ist aufgefallen, dass ich das sowieso völlig ausblende, sobald ich mich konzentriere. Seit ich regelmäßig schreibe, bin ich von selber sofort „in Stimmung“, da brauche ich keine Musik. Als noch keine Pandemie war, habe ich mich aber gerne in der Mittagspause in einen Bäcker gesetzt, um ein bisschen zu schreiben und da hat mir Musik geholfen, die Umgebungsgeräusche auszublenden. Zugehört habe ich da aber auch nicht.

Literatopia: Was liest Du selbst gerne? Auch überwiegend Phantastik? Und hast Du Lieblingsbücher, die Du unseren Leser*innen dringend ans Herz legen möchtest?

Robert von Cube: Ich mag Phantastik, aber es sollte klar geworden sein, dass ich sehr viele Interessen habe. Ich lese leider auch sehr langsam und komme dazu viel weniger als ich zugeben mag. Ein Buch, das glaube ich nicht sehr bekannt ist und das ich empfehlen will ist „Die gelöschte Welt“ von Nick Harkaway. Das ist auch ein post-apokalyptisches Werk, wie „Eisschmelze“ und es hat eine der abgefahrensten überraschenden Wendungen, die ich je gelesen habe.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Robert von Cube: Ich habe zu danken!


Autorenfoto: Copyright by Robert von Cube


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.