Die stillen Gefährten (Laura Purcell)

purcell die stillen gefhrten

Festa, Dezember 2020
Originaltitel: The Silent Companions (2017)
Übersetzung von Eva Brunner
Gebunden, 448 Seiten
€ 22,99
ISBN 978-3-86552-879-7

Genre: Horror, Mystery


Rezension

Als Elsie den jungen Erben Rupert Bainbridge heiratet, ist sie überzeugt, mit ihm ein schönes Leben führen zu können. Aber Rupert stirbt wenige Wochen nach der Hochzeit. Die trauernde und schwangere Elsie zieht auf das Anwesen der Bainbridges, The Bridge genannt, um in London dem Geschwätz und einem Skandal zu entgehen. Die Bediensteten, die ihren Mann mochten, verhalten sich Elsie gegenüber reserviert. Die Dorfbewohner*innen sind feindselig, weigern sich, für Elsie zu arbeiten. Sie glauben zudem, dass das Anwesen ein Hort des Bösen ist. Zum Glück bekommt Elsie ein weniger unangenehmes Verhältnis zu Ruperts Cousine Sarah.

Bei Erkundungsgängen durch das große Haus kommt Elsie an eine verschlossene Tür. Dahinter finden sich zwei Tagebücher aus dem Jahr 1635, verfasst von Sarahs Ahnin Anne. Es geschehen seltsame Dinge, ein Zimmer verändert sein Aussehen, in der Nacht hört Elsie nicht identifizierbare Geräusche. Die Atmosphäre wird zunehmend unangenehm und düster. Schließlich kommt es zu Todesfällen. Was haben die stillen Gefährten mit alledem zu tun, flache hölzerne Figuren, die in Momenten zu leben scheinen, ihre Augen bewegen oder plötzlich woanders im Haus stehen? Aufschluss gibt Annes Lektüre der beiden Tagebücher. Als Elsie versucht, die stillen Gefährten loszuwerden, wird alles noch schlimmer, und bald zweifelt sie an ihrer geistigen Gesundheit.

Die Handlung spielt in drei Zeiträumen. In der Gegenwart (1866) soll Elsie Bainbridge des Mordes angeklagt werden. Sie ist Patientin im St. Joseph’s Hospital. Ihr wird vorgeworfen, The Bridge in Brand gesetzt und dabei mehrere Menschen getötet zu haben. Elsie ist verletzt und spricht nicht. Der Arzt Dr. Shepherd soll sie begutachten und versucht Zugang zu ihr zu bekommen. Er beginnt mit Kreide und einer Schiefertafel, auf die Elsie einzelne Wörter schreibt. Dann bekommt sie die Möglichkeit, ihre Geschichte aufzuschreiben. Diese umfangreichen Aufzeichnungen handeln von den Ereignissen der Jahre 1865 und 1866 auf dem Anwesen. Inhalt des dritten Zeitraumes sind die beiden auf dem Dachboden gefundenen Tagebücher aus dem Jahr 1635, verfasst von Anne Bainbridge, der Käuferin der stillen Gefährten.

Laura Purcells Die stillen Gefährten ist eine viktorianische Geistergeschichte, so der Untertitel. Sie enthält die wichtigen Zutaten, die eine solche Geschichte definieren. Wer bereits viktorianische Geistergeschichten gelesen hat, entdeckt deshalb zwangsläufig einige Klischees und vorhersehbare Ereignisse. Purcell liefert detailreiche Beschreibungen von Plätzen und Situationen. Sie lässt sich Zeit, die Story und die Atmosphäre, die Charaktere und deren Beziehungen zu entwickeln. Ihr gefällt es offenbar, intensiv kleine Hinweise einzustreuen und Wendungen zu erzeugen, die die Erzählung, zumindest eine Zeitlang, in der Schwebe halten sollen. In der Folge entwickelt sich die Geistergeschichte im Verbund mit Hexerei und Besessenheit zu einer Horrorgeschichte.

Im Zentrum des Übernatürlichen stehen die stillen Gefährten. Dabei handelt es sich um Trompe-l’œil, Illusionen erzeugende Malerei, die Vortäuschung von Dreidimensionalität durch perspektivische Darstellung. Stille Gefährten sind aus flachem Holz gearbeitete Figuren, zumeist mit Öl bemalt, die räumlich wirken. Im 17. Jahrhundert waren diese Tafeln beliebte Artefakte, ein aus heutiger Sicht eher makabres Konzept, und sie wurden zur Dekoration von Zimmern verwendet.

Annes Tagebücher geben schrittweise Auskunft darüber, was es mit den stillen Gefährten auf sich hat. Ein wenig übereilt angeschafft, dienten sie der Unterhaltung von King Charles I. und Queen Henrietta Maria, die sich als Gäste angekündigt hatten. Der familiäre Hintergrund Elsies, sie stammt aus einem Unternehmerhaushalt mit Zündholzfabrik, fügt dieser Idee noch Details hinzu, wodurch die Horror-Elemente der Tagebücher verstärkt werden. Diese stillen Gefährten sind nicht die einzigen beunruhigenden Elemente der Erzählung. Ein stummes Mädchen, der Tod eines Kindes, ein Fluch und Elsies Vergangenheit sind Stoff für schauerliche Geschichten, die sich in die gothische Horrorstory einfügen.

Elsie ist die Ich-Erzählerin in der Gegenwart. Die Situation, in der sie eingeführt wird, ist wenig Vertrauen erweckend, weshalb ihre Perspektive auf die Ereignisse vielleicht unzuverlässig ist. Ihre Aufzeichnungen werden die Grundlage für das Gutachten des Arztes sein, folglich zentrales Argument bei der Entscheidung darüber, ob sie wegen Mordes angeklagt und hingerichtet wird, oder ob sie entlassen wird. Sie selbst befindet sich im Hospital in einer Situation, aus der sie nicht heraus möchte. Nicht zuletzt wegen der Drogen, die sie erhält. Elsie ist eine ebenso gut motivierte und vielschichtige Figur wie Sarah. Die Beziehung der beiden Frauen ist nachvollziehbar, auch in ihren seltsamen Momenten.

Es gibt interessante Nebenfiguren, deren Bedeutung sich allerdings darin erschöpft, die Geschichte anzutreiben. Dazu gehören der Arzt im Hospital, der offensichtlich ein Pionier der Psychiatrie ist und moderne Techniken anwendet. Der verarmte Pfarrer Underwood und Elsies Bruder Jolyon, außerdem ein Teil des Personals auf The Bridge, sind beim Spannungsaufbau behilflich. Die Charaktere scheinen auf jeder der drei Zeitebenen heutig zu sein.

Sprachlich gibt es keinen Unterschied zwischen den Tagebuchaufzeichnungen aus 1635, den Geschehnissen rund 230 Jahre später und der Gegenwart der Leser*innen, wenngleich Purcell ein paar alte Begriffe verwendet. Die Montage der drei narrativen Blöcke hat die Autorin sehr geschickt vorgenommen. Die Übergänge wirken nahtlos, oft wie grafische Überblendungen im Film.


Fazit

Viktorianische Geistergeschichte, gothischer Horror, der Grenzbereich zwischen Realität und dem Übernatürlichen. Die stillen Gefährten erzählt eine Handlung, die sich langsam in Richtung Siedepunkt entwickelt, derweil die Leser*innen sich fließend zwischen drei Zeiträumen, die rund 230 Jahre umspannen, und zwei Orten bewegen. Innerhalb der bekannten engen Genregrenzen wird eine handwerklich gut gemachte Geschichte erzählt, mit in der Realität verwurzelten Gruselelementen.


Pro und Kontra

+ schön erzählte Geistergeschichte
+ umfangreicher Wortschatz
+ Kunstobjekte als Quelle des Grauens
+ geschickte Verbindung der Handlungsräume

Wertung:sterne4

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5

Anmerkung: Eine schöne Seite zum Thema Silent Companions bietet nationaltrust.org.uk