Edition Roter Drache (Februar 2021)
Hardcover, 320 Seiten, 15,00 EUR
ISBN 978-3-96815-014-7
Genre: Mystery-Thriller
Klappentext
Ada König will herausfinden, was diese wichtige Sache ist, die ihr Vater ihr erzählen wollte, kurz bevor er das Lenkrad herumriss und die Welt ins Chaos stürzte. Was hat es mit dem ‚Verbrannten Mann‘ auf sich, der Ada seit dem Autounfall verfolgt, und wieso träumt sie von Else, der alten Frau aus dem Dorf, die sich an nichts erinnert und doch nie vergisst, die Walnüsse aufzusammeln, die der Meister im Garten des Königs fallen lässt.?
Rezension
Eigentlich hat Ada König ein gutes Verhältnis mit ihrem Vater, doch in den letzten Jahren sind sich beide zunehmend fremd geworden und Ada kann immer schlechter mit seinen Marotten umgehen. Ständig ist der Vater am Schimpfen und Kritisieren, neuerdings regt er sich über ein Bauvorhaben in der Nachbarschaft auf. Die beiden gehen essen, eigentlich um etwas Wichtiges zu besprechen, doch der Vater echauffiert sich wieder über so vieles, das das wichtige Thema unangesprochen bleibt. Auf dem Heimweg kreuzt ein Reh die Fahrbahn, Adas Vater weicht aus und baut einen Unfall, der ihn auf die Intensivstation bringt. Ada bleibt bis auf ein angeknackstes Knie unverletzt, weshalb sie von Schuldgefühlen geplagt wird. Daher hält sie den Verbrannten Mann, der ihr vor der Intensivstation auflauert und einen Preis für ihr Überleben fordert, zunächst für ein Hirngespinst. Doch tief im Innern spürt Ada, dass sie auf den Verbrannten Mann hören muss und seine seltsamen Aufgaben erfüllen …
“König und Meister“ spielt in einem bayrischen Dorf, das je nach Sichtweise idyllisch oder zutiefst langweilig und verstockt ist. Adas Vater lebt dort allein in einem Haus, das von einem riesigen Nussbaum überragt wird. Die Walnüsse finden sich überall im Garten, auf dem Sofatisch, sogar in Schränken. Von den anderen Dorfbewohnern hat er sich mehr oder weniger isoliert, an jedem hat er etwas auszusetzen und seine Kritik feuert er gnadenlos ab. Einzig eine alte Frau kommt regelmäßig zu Besuch und sammelt die Nüsse aus dem Garten. Als Ada sie zum ersten Mal trifft, ahnt sie nicht, dass das Schicksal der Alten und ihres miteinander verbunden sind. Zwar war ihr bewusst, dass ihre Eltern ihre Geheimnisse haben (denn nicht alle sind wirklich geheim), doch was sie im Verlauf der Romans herausfindet, schockiert sie zutiefst.
Ada ist eine gebildete und kluge junge Frau, deren Leben einem Hamsterrad gleicht. Sie wollte in der Region bleiben und hat einen eigentlich guten Job, den sie eigentlich auch gerne macht, aber irgendwie ist sie doch nicht zufrieden und rennt immer wieder gegen Mauern. Sie hat ab und an Liebschaften, aber keine echte Beziehung. Auch keine richtigen Freunde, nur wechselnde Mitbewohnerinnen. Nach dem Unfall wird ihr ihre Einsamkeit richtig bewusst, entsprechend ist sie froh, als die Mutter aus Hamburg kommt. Auch wenn sie weiß, dass diese kaum eine Hilfe ist und nur schnell ihr Programm abspulen wird, ehe sie zurück in ihr krankhaft durchorganisiertes Leben will. Adas Mutter leidet unter einer Essstörung und erbricht sich regelmäßig, was Ada natürlich mitbekommen hat. Trotzdem hat sie ihre überkontrollierte Mutter nie darauf angesprochen und den Konflikt tief in sich begraben.
Wirkliche Unterstützung erhält Ada von einem Bettler, mit dem sie sich anfreundet. Zunächst begegnet sie diesem mit den gängigen Vorurteilen, doch muss bald einsehen, dass sie sich in ihm getäuscht hat. An dieser Stelle soll nicht zu viel verraten werden, aber der Bettler ist die sympathischste und menschlichste Figur in diesem Mystery-Thriller, der zugleich eine tragische und dunkle Familiengeschichte ist. Der Verbrannte Mann gibt Ada Aufgaben, die sie auf die Spur vergangener Ereignisse führen. In diese ist auch die alte Nusssammlerin verwickelt, die schwer an Verlusten trägt und wohl unter Demenz leidet. Sie lebt in einer mit allerhand Krimskrams überfüllten, fast schon zugemüllten Hütte und im Dorf scheint sich niemand um ihr Schicksal zu scheren. Einzig Adas Vater hat ab und an nach ihr geschaut, aber auch er hat offensichtlich nicht erkannt, dass die Frau Hilfe braucht.
In der ersten Hälfte ist der Roman noch sehr realistisch, die wenigen mystischen Elemente lassen sich hier noch durch den Schock, den Ada bei dem Unfall erlitten hat, erklären. Doch bald wird klar, dass mehr hinter allem steckt und das Phantastische bricht immer deutlicher in die Handlung hinein. Für einen Thriller ist „König und Meister“ fast zu ruhig, für einen Krimi allerdings doch zu düster und dramatisch. Der Meister ist übrigens der Nussbaum, der geradezu bedrohlich über Adas Elternhaus aufragt. Dafür, dass er im Titel steht, fällt seine Rolle auf den ersten Blick fast bescheiden aus, doch während sich die Familiengeschichte nach und nach aufklärt, kann man über den Baum und seine Symbolkraft auch nach der Lektüre noch nachdenken.
Hervorzuheben ist die aufwändige, stimmungsvolle Gestaltung des Hardcovers, dessen Titelbild sofort ins Auge sticht. Die Kapitelanfänge sind jeweils grafisch aufgewertet und aufgeschnittene Walnüsse grenzen Inhaltsabschnitte ab. Dazu gibt es ein schwarzes Lesebändchen – alles in allem eine sehr schicke Ausgabe zu einem guten Preis.
Fazit
„König und Meister“ ist eine düstere und dramatische Geschichte über familiäre Beziehungen und die lebenslangen Auswirkungen vergangener Taten. Den „Thrill“ vermisst ein wenig, dafür ist Theresa Hannig in der Zeichnung ihrer facettenreichen und fehlerhaften Figuren stark, während das Unheimliche und Phantastische die zunächst realistische Erzählung nach und nach einnimmt. Die Puzzleteile fügen sich schließlich zusammen, einzig der „Meister“ bleibt bis Schluss geheimnisvoll.
Pro und Contra
+ glaubwürdige, zutiefst menschliche und fehlerhafte Figuren
+ Mysteryelemente fügen sich langsam in die Geschichte ein
+ Handlungsfäden werden gekonnt verbunden
+ der Bettler als Unterstützer
+ Darstellung von psychischen Erkrankungen
+ aufwändige, stimmungsvolle Gestaltung
- für einen „Thriller“ zu ruhig
Wertung:
Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4/5
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