Das Nest Gesamtausgabe Bd.2 (Régis Loisel, Jean-Louis Tripp)

Verlag: Carlsen; (April 2021)
Gebundene Ausgabe: 232 Seiten; 36 €
ISBN-13: 978-3-551-76096-8

Genre: Drama/ Historik


Klappentext

Die Zwanzigerjahre waren auch
in der kanadischen Provinz eine Zeit
des Aufbruchs. Marie, die nach dem Tod
ihres Mannes den einzigen Laden des Dorfes führt,
löst einige Skandale aus und eine Welle der Emanzipation.
Eine Geschichte, wie sie damals wohl in vielen Orten der Welt
vorgekommen ist, und eine Aufforderung
zu Toleranz und Offenheit.

Die Serie wird als Gesamtausgabe
in drei Bänden neu aufgelegt und es
wird deutlich, was sie schon immer war:
eine großartige Graphic Novel.


Rezension

Marie kennt die Wahrheit über Serge, den Mann, den sie liebt und der auch für sie tiefe Empfindungen hegt. Da er allerdings homosexuell ist, scheint ihre Liebe keine Zukunft zu haben. Vor allem Marie hat mit der Zeit immer größere Schwierigkeiten, die Umstände zu akzeptieren. Als sie dann einen folgenschweren Fehler begeht, steht ihr Serge bei und über lässt ihr sein Haus in Montreal. Während Marie in der Stadt lernt, das Leben zu genießen, wird die Lage im Dorf immer schwieriger, da sie und ihr Laden Notre-Dame fehlen.

Das Nest zu lesen, ist wie nach Hause zurückzukehren und sich an all das Gute zu erinnern. Auch wenn dies nicht immer meint, dass es keine Schwierigkeiten gab oder gibt, aber letztendlich überwiegen die positiven Erinnerungen. Zudem ist das Heimkehren ein Gefühl, dass sich auf vieles beziehen kann und nicht nur einen Ort meint. Die Heimkehr kann sich auch darauf beziehen, endlich bei sich anzukommen. Und all diese Arten der Rückkehr nach Hause sind Thema des zweiten Bandes der Gesamtausgabe von Das Nest.
Régis Loisel und Jean-Louis Tripp erheben bei diesen unter Umständen heiklen Thema jedoch nicht den Zeigefinger oder dozieren von oben herab, auch dramatisieren sie nicht über, sie machen stattdessen genau da weiter, wo sie beim ersten Band der Gesamtausgabe aufgehört haben. Statt zu übertreiben, bleiben sie ihrem Stil treu und erzählen vollkommen unaufgeregt von den Ereignissen im kleinen Ort Notre Dame, die dazu führen, dass Marie das Dorf auf unbestimmte Zeit Richtung Montreal verlässt. Von der ersten Seite an ist für den Leser das Gefühl wieder da, den Ort Notre Dame und seine Bewohner bereits lange zu kennen. Dies sind keine Charaktere in einem Buch, sondern alte Bekannte, nach deren Leben man sich erkundigt. Und erneut schaffen es die beiden Autoren, dass die Geschichten der Menschen des Ortes einen tief berühren, dass man Anteil nimmt und gebannt wissen möchte, wie es mit all diesen Charakteren, mit ihren Eigenheiten und Schrullen weitergeht. Wer sich auf das Dorf und seine Bewohner einlässt, läuft Gefahr sich in Das Nest für lange Zeit zu verlieren und erst auf der letzten Seite erstaunt festzustellen, den Comic komplett gelesen zu haben. Dabei ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen in Notre-Dame, ganz im Gegenteil, es passiert viel auf den Seiten des Bandes. Der Tod und das Leben, Streit und Versöhnung wechseln sich mit den Jahreszeiten ab, aber all dies wird sehr warmherzig und mit Liebe zu den Figuren erzählt. Die Autoren werfen einen intensiven Blick auf das Leben und als Leser folgt man gerne diesem Blick. Und wie zuvor gilt, nicht versuchen Das Nest intellektuell zu erfassen, seine ganze Wirkung und seine ganze Schönheit entfaltet dieses Werk erst, wenn es auf der emotionalen Ebene erfasst wird. Wenn man sich der Geschichte und der kleinen Welt des Dorfes in Kanada öffnet und es zulässt von ihr berührt zu werden.
Das Nest ist einfach große Literatur.

Einen großen Anteil haben hier auch die Zeichnungen der beiden beteiligten Künstler. Sie sind poetisch und besitzen eine innere Kraft, die selten zu finden ist. Jede Emotion ist in ihnen zu finden und wird aufs Papier gebannt. Eine große Stärke von Das Nest ist, dass vieles über die Bilder erzählt wird, ohne groß Worte zu benötigen. Mit einem Blick eines Charakters oder einer Sequenz von Bildern schaffen Loisel und Tripp alles nötige zu transportieren und versehen alles mit einer ungeheuren Tiefe. Francois Lapierre ist erneut brillant in seiner Farbgebung, die besser nicht sein könnte und immer genau richtig den Ton trifft.

Außer einer Karte des Dorfes und zwei Seiten, auf denen die Entwicklung einer Comicseite zu sehen sind, ist leider kein weiteres Bonusmaterial enthalten.


Fazit

In Das Nest gibt es keine Explosionen oder überraschenden Wendungen. Hier passiert nicht viel außer einem: das Leben. Und das ist interessanter als jeder hochkarätiger Thriller. Das Nest gehört bei jedem ins Regal, direkt neben die Klassiker der Weltliteratur.


Pro & Contra

+ der alte Noel
+ es geht um nicht mehr, aber auch nicht weniger als um das Leben an sich
+ meisterhaft erzählt

Bewertung:

Handlung: 5/5
Charaktere: 4,5/5
Zeichnungen: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5


Literatopia-Links zu weiteren Titeln von Régis Loisel:

Rezension zu Das Nest Gesamtausgabe Bd.1
Rezension zu Das Nest Gesamtausgabe Bd.3
Rezension zu Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit
Rezension zu Der Schweinehund Bd.1
Rezension zu Der Schweinehund Bd.2