Knaur (Juni 2021)
Taschenbuch
512 Seiten, 14,99 EUR
ISBN: 978-3-426-52611-8
Genre: Fantasy
Klappentext
Troja wird fallen, und die Amazonen werden sich endlich an den Helden rächen, die ihresgleichen töteten. So besagt es eine Prophezeiung von Artemis, der Göttin der Jagd, Herrin des Mondes und Hüterin der Frauen. Wenn die prunkvolle Stadt in Schutt und Asche liegt, sollen die Amazonen die Welt beherrschen. Doch Artemis segnet ausgerechnet Areto mit ihren Kräften, die keine Kriegerin ist, mit ihren Kräften. Wie kann eine wie sie der Macht einer Göttin würdig sein? Aretos Erwählung spaltet die Amazonen in zwei Lager – ein Konflikt, der ihrem Volk im Trojanischen Krieg den Untergang bringen könnte.
Rezension
Um „Die Götter müssen sterben“ gab es einen kleinen Social-Media-Hype – viele Lesende haben dem Roman unter anderem wegen der angekündigten Repräsentation von PoC und Queerness mit großen Hoffnungen entgegengesehen – und außerdem kenne ich die Autorin persönlich. Deshalb habe ich das Buch mit einer gewissen Anspannung angefangen und war dann sehr froh, als es die hohen Erwartungen tatsächlich erfüllen konnte.
„Die Götter müssen sterben“ verknüpft mehrere griechische Sagen und spielt, während der Trojanische Krieg tobt. Gottheiten, Nymphen, Faune und ähnliche Wesen sind hier regelmäßig im Kontakt mit Menschen und machen diese zum Spielball ihrer Interessen. Es werden genug Details – z.B. Kleidungsstücke und Rituale – beschrieben, dass sich die Gesellschaft der Amazonen plastisch und real anfühlt.
Vor diesem Hintergrund entfaltet sich eine Geschichte, die aus der Perspektive von vier Figuren erzählt wird: Areto stammt aus Athen und trifft nach einer Verkettung blutiger Ereignisse eine Entscheidung, die sie zu den Amazonen führt. Dort findet sie Liebe, Freundschaft und ein neues Zuhause, doch kämpft auch gegen Depressionen und Selbstzweifel. Die Amazone Clete tut sich wieder und wieder als Kriegerin hervor, aber trägt ebenfalls traumatische Erinnerungen in sich und kann den Ansprüchen ihrer strengen Ziehmutter nicht genügen. Amazonenkönigin Penthesilea wird im Verlauf der Handlung von ihren vielen Geheimnissen eingeholt. Und die Göttin Artemis erlebt die Ereignisse des Trojanischen Krieges mit verstörender Intensität, was sie zu zunehmend verzweifelten Handlungen treibt und ihren Blick auf die Welt verzerrt. Insgesamt profitiert das Buch sehr davon, dass es diese vier sehr verschiedenen Perspektiven hat.
Die Gesellschaft der Amazonen ist in vieler Hinsicht freier als die, welche Areto hinter sich gelassen hat. Hier kann Areto zum Beispiel offen Frauen lieben, Sexarbeiter*innen genießen Schutz und Achtung und auch die Identität von Personen wie diem nicht-binären Iphito (dier übrigens einiges an Screentime bekommt) wird respektiert. Gleichzeitig ist es auch eine Gesellschaft von Sklavenhalter*innen, in der mehrere brutale, diskriminierende Traditionen zwar nicht unhinterfragt, aber weitestgehend geduldet existieren. Als Areto von Artemis erwählt wird, ist sie jäh mit der Feindseligkeit von Amazonen konfrontiert, deren sehr engem Bild von Stärke sie nicht entspricht. Insgesamt verbindet die Schilderung der Amazonen Empowerment auf spannende Weise mit moralischer Ambiguität.
Das Buch ist in mehrere Gesänge unterteilt. Einen Großteil der Handlung nimmt der Weg der Amazonen nach Troja ein. Dass sie überhaupt dorthin ziehen, ist so eine Kampf-als-Selbstzweck- und Wille-der-Gottheiten-Sache, was durchaus kritisch thematisiert wird. Insgesamt musste ich mich gelegentlich daran erinnern, dass hier Gottheiten und das Schicksal am Werk sind, wenn die Pfade von Figuren mit gemeinsamer Vergangenheit sich von neuem kreuzen, weil es sonst schon sehr große Zufälle wären.
Immer wieder finden sich die Amazonen als Gegnerinnen der berühmten Helden griechischer Sagen wieder und letztere kommen hier zu einem Großteil sehr, sehr schlecht weg – etwas, das definitiv bereits in den Sagen um sie angelegt ist. Auf dem Weg kommt es unter anderem zum Konflikt mit Dionysius und seinem albtraumhaften „Hof des Gelächters“. Andere Gottheiten werden auf eine Weise geschildert, die düster-prachtvolle Bilder entstehen lässt. Während viele Adaptionen griechischer Mythologie, die ich kenne, das Pantheon sauber in „gute“ und „böse“ Götter aufteilen (und die Geschichten um sie insgesamt modernen ethischen Prinzipien anpassen), werden sie hier nicht ohne Mitgefühl und oft in hilfreichen Funktionen, aber vor allem als gefährlich und unzuverlässig dargestellt.
Die griechische Mythologie und die Sagen um Achilles, Herkules und den Trojanischen Krieg stecken voller Gewalt, Inzest und Vergewaltigungen, und „Die Götter müssen sterben“ greift die düstersten Themen dieser Texte immer wieder auf. Was in Nacherzählungen griechischer Sagen, die ich kenne, oft in wenigen, distanzierten Sätzen abgehandelt wird, wird hier auf eine Weise geschildert, die ein Wegsehen unmöglich macht. Nahezu jede Figur ist von Trauma gezeichnet.
Spannend zu lesen ist übrigens das Nachwort, in welchem die Autorin einen Einblick in die Quellen, die sie genutzt hat, und ihre Entscheidungen, sie auf bestimmte Weise auszulegen oder weiterzudenken, erläutert. Den Schreibstil von „Die Götter müssen sterben“ ist weitestgehend unauffällig und flüssig (nur hier und da hätte ein Wort eleganter gesetzt sein können) und lässt eindringliche Bilder von Menschen und Gottheiten, von inneren und äußeren Kämpfen entstehen. Das Buch bleibt durchgehend spannend, hat einige unerwartete Wendungen, und ist wie gesagt eine originelle, mutige Adaption eines bekannten Stoffes, mit einem so vielfältigen Figurenensemble, wie es mir in deutschsprachiger Phantastik bisher selten begegnet ist.
Fazit
„Die Götter müssen sterben“ von Nora Bendzko hält, was der Hype versprochen hat: Ihre Amazonen sind queer und kämpferisch und ihre Geschichte packend, und das Buch packt definitiv das „Dark“ in „Dark Fantasy“.
Pro und Contra
+ packende Geschichte mit spannenden Hauptfiguren
+ Diversity
+ einprägsame Schilderungen der Götter
+ mitreißende Liebesgeschichte
+ moralische Ambiguität von Figuren, Gesellschaften, Gottheiten
o düster und brutal
- einige große Zufälle
Wertung:
Handlung: 4/5
Figuren: 4,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis-Leistung: 3/5