Mary Shelley. Die Comic-Biografie der Frankenstein-Schöpferin (Alessandro Di Virgilio, Text; Manuela Santoni, Illustrationen)

virgilio santoni mary

Knesebeck, 2021
Originaltitel: Mary Shelley. L’eterno sogno (2021)
Übersetzung von Ingrid Ickler
Gebunden, 131 Seiten
€ 20,00 [D] | € 20,60 [A] | CHF 31,90
ISBN 978-3-95728-490-7

Genre: Biografie, Graphic Novel, Comic


Rezension

Alessandro Di Virgilio und Manuela Santoni erzählen in der Graphic Novel die Geschichte der Frau, die Frankenstein erschuf. Sie beginnen mit Marys Geburt und enden mit der Kopfgeburt Frankenstein. Dazwischen liegen in sechs Kapiteln die Marksteine ihres Lebens, die den schöpferischen Prozess prägen. Vorangestellt ist ein Zitat von Mary Wollstonecraft Shelley, das den Kern der Romantik trifft, die Dialektik zwischen dem Streben des Menschen nach Wissen und Größe und die damit verbundenen Gefahren und das Unglücksein.

Mary kommt am 30. August 1797 in Somers Town, London, zur Welt. Ihre Mutter ist Mary Wollstonecraft, Frauenrechtlerin und Verfasserin des ersten feministischen Manifests, A Vindication of the Rights of Woman, ihr Vater der radikale Sozialphilosoph und Autor William Godwin. Leben und Tod liegen nah beieinander, denn ihre Mutter stirbt nur wenige Tage nach der Geburt. Mary, klug und wissbegierig, wächst unkonventionell auf, wird vom Vater zu Hause unterrichtet, hat freien Zugang zu seiner umfangreichen Bibliothek und Umgang mit Intellektuellen und Künstlern, wie den romantischen Dichtern Samuel Taylor Coleridge und William Wordsworth, die Godwin besuchen und über Kunst, Philosophie und Politik reden. Ihre Bildung ist ungewöhnlich und umfassend.

Doch immer ist da auch das Gefühl von Einsamkeit und Abgeschobensein, vom alles überschattenden Tod der Mutter. 1812 verlässt Mary erstmals London, um die Familie Baxter in Dundee, Freunde von Godwin, zu besuchen. Die neu gewonnenen Freundschaften und die weite Landschaft inspirieren sie zum Schreiben. 1813 lernt sie im Hause ihres Vaters den jungen Dichter Percy Bysshe Shelley kennen, den ältesten Sohn und Erbe des Barons Sir Timothy, verheiratet und Vater eines Kindes. 1814 brennt das Liebespaar in die Schweiz durch. Bei der Rückkehr ist Mary schwanger. Das Baby stirbt kurz nach der Geburt. Mary wird von Alpträumen geplagt, hat Depressionen.

Im Sommer 1816 wohnen Mary und Percy Shelley, die inzwischen verheiratet sind, mit Marys Stiefschwester Claire in einem Haus am Genfer See. In der benachbarten Villa Diodati hat sich Lord Byron mit seinem Privatarzt Dr. John Polidori niedergelassen. Später stößt „Monk“ Lewis hinzu. Die Shelleys besuchen Byron häufig. Außer Claire, die schwanger von Byron ist, führt die Gruppe das Interesse an Literatur zusammen. Da der kalte, regnerische Sommer sie in der Villa gefangen hält, lesen sie Gespenstergeschichten, bis Byron vorschlägt, jeder solle selbst eine Geschichte schreiben, die wahre Angst hervorruft. In dieser Nacht entsteht als Traumgeburt die Idee zu Frankenstein; or, The Modern Prometheus, die zur ikonischen Figur der Schwarzen Romantik wird und Mary Shelley weltberühmt macht.

Der italienische Originaltitel der Graphic Novel (übersetzt: Mary Shelley. Der ewige Schlaf) fasst das Substrat, in dem Frankenstein gedeihen konnte, zusammen. Am Ende schließt sich der Kreis aus Geburt und Tod, Einsamkeit und Überwindung des Verlusts durch die poetische Schöpfung. Der Text ist knapp, fasst die prägenden Episoden aus Marys Leben präzise zusammen. In Rückblenden erfährt man Biografisches über die wichtigsten Menschen in Marys Leben, Mary Wollstonecraft und William Godwin sowie Percy B. Shelley. Welches Schicksal Letzteren erwartet, zeigt ein Blick in die Zukunft. Ein englisches Kinderlied wird im Original zitiert, T. S. Coleridges Ballade vom alten Seemann und Königin Mab von Shelley in deutscher Übersetzung.

Mary Shelleys dramatisches Leben bis zur Entstehung von Frankenstein ist kongenial abgebildet in ausdruckstarken schaurig-atmosphärischen Tuschezeichnungen, grob mit erkennbarem Strich, ohne glatte Oberfläche, in düsterer Farbdramaturgie, schwarz und rot - Farben für das tiefe Leid und das große Glück, aus dem ihr Leben bestand. Das erste Blatt setzt das Thema: Leben und Tod. Feste Muster durchziehen die mehrdeutigen, symbolistischen Bilder: der Baum des Lebens, der auch ein weiblicher Körper sein könnte, der Schmetterling, einem aufgeschlagenen Buch ähnlich, das Wellenmotiv, das Herz, das Kreuz. Präraffaeliten werden zitiert, wie Ophelia von John Everett Millais oder Proserpine von Dante Gabriel Rossetti.

Santoni und Di Virgilio kleben nicht an den Fakten. Bei ihnen begegnen sich Mary und Percy B. Shelley 1813. Wann die erste Begegnung erfolgte, ist jedoch unklar, möglicherweise war es 1813. Gesichert ist nur das Datum 5. Mai 1814. In der Graphic Novel begeht Shelleys erste Frau Harriet vor Shelleys Liebeserklärung an Mary im Sommer 1814 Selbstmord. Tatsächlich nahm sie sich am 10. Dezember 1816 das Leben. Als Mary Godwin und Percy B. Shelley in die Schweiz durchbrannten, ließ Shelley seine schwangere Frau Harriet und sein kleines Kind sitzen. In der Graphic Novel lernen sich Shelley und Byron im August 1814 in Luzern kennen. Das erste Treffen zwischen Byron und Shelley fand jedoch am 27. Mai 1816 am Genfer See statt, auf Vermittlung von Claire, die Byron in England nachgestellt hatte und ihm in die Schweiz gefolgt war.


Fazit

Mary Shelley. Die Comic-Biografie der Frankenstein-Schöpferin erzählt mit ein paar Freiheiten in den Daten die Geschichte der Urheberin des Frankenstein-Romans. Der selbst spielt zwar direkt keine Rolle, allerdings läuft die Biografie auf diesen als Kulminationspunkt hinaus.


Pro und Kontra

+ Biografie einer beeindruckenden Persönlichkeit
+ erfasst die zentralen Wegmarken für die Entstehung Frankensteins und wird teilweise selbst zur Fiktion
+ schaurig-düster erzählt und illustriert im Geiste der Gothic Novel
+ atmosphärisch dicht
+ die polysemantischen Tuschezeichnungen lassen Raum für eine eigene Spurensuche

Wertung:sterne4.5

Handlung: 4/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5


Literatopia-Links zu weiteren Titeln über Frankenstein und seine Kreatur:

Rezension zu Frankenstein
Rezension zu Frankenstein (Comic von George Bess)
Rezension zu Frankenstein Underground
Rezension zu Die Unheimlichen - Frankenstein