Polarise (November 2020)
Taschenbuch, 284 Seiten, 12,95 EUR
ISBN: 978-3-947619-49-8
Genre: Science Fiction / Dystopie / Tech-Thriller
Klappentext
Kannst du herausfinden, ob dein Gegenüber ein Mensch oder eine Maschine ist?
Mein Name ist Jeremiah Schnitzer. Man kennt mich als KI-Skeptiker und Blogger. Ich halte es für unmöglich, dass es so etwas wie eine künstliche Intelligenz überhaupt gibt. Letztlich sind es nur programmierte Verhaltensweisen und Kommunikationsformen. Es wird uns vorgegaukelt, einer denkenden und fühlenden Maschine gegenüberzusitzen.
Gerade halte ich eine Einladung in den Händen. Der berühmte Wissenschaftler Nicolas Ragg fordert mich heraus: Ich soll auf sein abgeschottetes Anwesen nach Jütland kommen und einen Turing-Test durchführen. Kann ich herausfinden, welche seiner Androiden – sogenannte Puppets – von echten Menschen gesteuert werden und welcher von einer KI?
Natürlich werde ich die Herausforderung akzeptieren. Aber bin ich dort auch sicher? Was geschieht, wenn ich seinen Traum von der künstlichen Intelligenz platzen lasse? Steht dann mein Leben auf dem Spiel?
Rezension
Techgigant Nicolas Ragg lädt den KI-kritischen Blogger Jeremiah Schnitzer in sein Sanktuarium ein – einem hochgesicherten Areal an der von Stürmen und Müll verwüsteten Nordseeküste. Der sehr alte und kranke Ragg interagiert dort mit seinen Gästen nur über ein Puppet/Plug-In: einen von ihm gesteuerten Androidenkörper. Auch viele der exzentrischen Persönlichkeiten, mit denen sich Ragg umgibt, nutzen solche künstlichen Körper, so wie nahezu alle Menschen, die es sich leisten können. Jeremiah steht der Plug-In-Technologie kritisch gegenüber, ebenso warnt er im Netz regelmäßig vor Künstlichen Intelligenzen. Genau das ist auch der Grund für seine Einladung: er soll im Sanktuarium einen Turing-Test mit den Gästen durchzuführen, denn eine oder einer von diesen soll eine getarnte KI sein. Doch noch bevor Jeremiah richtig mit den anwesenden Personen sprechen kann, geschieht ein Mord – der erste von vielen …
Die Zukunft in „Turings Vermächtnis“ ist dystopisch: der Klimawandel hat die Welt verändert und Norddeutschland wird regelmäßig von heftigen Stürmen heimgesucht. Zusätzlich treiben Unmengen von Müll im Meer. Die Reichen entziehen sich den Folgen der Umweltzerstörung – so wie Nicolas Ragg, der seinen Gästen in einer bunkerähnlichen Anlage ein luxuriöses Leben und vor allem Ruhe bietet. Zu den besonderen Bewohnern des Sanktuariums gehören Stars, Wissenschaftler und schlicht außergewöhnliche Menschen: ein spiritueller Guru, ein Philosoph, ein Maler, ein Musiker, ein Schriftsteller, eine Ökoaktivistin, ein Prepper, eine Online-Couchess und ein Game-Crack. Hinzu kommen Raggs Frau Mia und seine Tochter Delphine, die spürbar von Jeremiah genervt und auf Konfrontation mit ihrem Vater aus ist. Nicht alle von ihnen lernt man richtig kennen, denn manche finden einen frühen Tod. Auch Jeremiah schwebt in Gefahr und überlebt mehrere Attentate nur knapp. Trotzdem will er seine Mission durchziehen – er ist während eines Supersturms ohnehin auf dem Anwesen gefangen.
Auch wenn Jeremiah weiter daran arbeitet, die KI zu enttarnen, kommt er nicht wirklich voran. Die Morde und Angriffe lenken natürlich ab und die Handlung konzentriert sich entsprechend darauf, den Täter, der einer der Gäste sein muss, zu ermitteln. „Turings Vermächtnis“ ist über weite Teile vor allem ein SF-Thriller in einem geschlossenen Setting, in dem prinzipiell jeder verdächtig ist. Der Turing Test gerät dabei fast in Vergessenheit. Hinzu kommt, dass Jeremiah zwar ein Techblogger ist, aber erstaunlich wenig über moderne Technologien weiß. So ist er beispielsweise über Raggs neustes Forschungsprojekt nicht informiert und kennt sich auch mit der Funktionsweise der Puppets nicht aus. Meist müssen ihm (und damit den Leser*innen) andere Figuren alles erklären, sodass Jeremiah einen erstaunlich inkompetenten Eindruck macht.
So kommt es auch, dass man lange vor Jeremiah erkennt, wer die KI ist. Arno Endler streut zu früh zu viele Hinweise auf deren Identität, sodass die Überraschung missglückt. Immerhin liefert er am Ende noch einige spannende Details, die die Handlung rückwirkend in ein anderes Licht rücken. Und da der Fokus ohnehin weniger auf dem Turing Test, sondern vor allem auf den Thrillerplot liegt, zieht der Roman seine Spannung aus der Frage, wer der Mörder ist und ob es nur einen oder mehrere gibt. Das Worldbuilding von „Turings Vermächtnis“ steckt zudem voll interessanter Details, so gibt es beispielsweise eine Mars-Kolonie, die mächtig in Schwierigkeiten steckt. Gerne hätte man mehr über solche Nebenschauplätze erfahren.
Die Puppets erinnern an „The Surrogates“ mit ähnlichen Auswirkungen. So verstecken sich manche Menschen hinter ihren Plug-Ins, während es für andere die einzige Möglichkeit ist, überhaupt noch hinauszugehen. Sei es, weil die Umwelt menschenfeindlich geworden ist oder weil die Benutzer physisch oder psychisch krank sind. Jeremiah spricht daher öfter mit Puppets, meistens erkennt er dies sofort, manchmal aber auch erst während dem Gespräch. Schön lesen sich auch die Anspielungen auf KIs anderer SF-Werke – so heißt beispielsweise das intelligente Haussystem des Sanktuariums HAL und ein Mensch-Roboter-Kontakter C2-Lt. Leider gibt es jedoch kaum Bezüge zu Alan Turing, dessen legendärer Test immerhin titelgebend ist.
Fazit
„Turings Vermächtnis“ bietet eine dystopische Zukunft sowie spannende Gedanken zum Thema Künstliche Intelligenz, verliert sich jedoch zunehmend in einem Thriller-Plot, dem zu viele Figuren zum Opfer fallen. Den Turing-Test dürfte die KI bei vielen Leser*innen nicht bestehen, denn Arno Endler streut zu viele Hinweise auf ihre Identität.
Pro und Contra
+ anregende Gedanken zum Thema KI
+ zieht Spannung aus der Suche nach dem Mörder
+ Ende rückt vorherige Ereignisse in ein neues Licht
+ cyberpunkige Technologien
+ trotz geschlossenem Setting erfährt man viel Interessantes über die dystopische Zukunft
- man ahnt zu früh, wer die KI ist
- Jeremiah wirkt manchmal erstaunlich inkompetent
- Vater-Tochter-Konflikt wirkt aufgesetzt
- einen Teil der Sanktuariumsbewohner lernt man vor ihrem Tod nicht einmal kennen
Wertung:
Handlung: 2,5/5
Charaktere: 2,5/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 3/5