Plan 9 (April 2021)
Taschenbuch, 260 Seiten, 11,00 EUR
ISBN 978-3-948700-21-8
Genre: Space Opera
Klappentext
Bereits das erste Signal des fremden Raumschiffs lässt das letzte emotional programmierte Exemplar einer KI interessiert aufhorchen. Sie antwortet, in freudiger Erwartung darauf, endlich das zu finden, was sie seit Existenzbeginn sucht: die Erklärung dessen, was das Menschsein ausmacht. Die KI löst die Verankerung zur Erdumlaufbahn und fliegt dem Signal entgegen. Nur ist sie nicht allein. An Bord ihres Schiffes befinden sich vierhundert Menschen, minderschwere Fälle von Fehlfunktionen, so die offizielle Bezeichnung. Für diese Crew beginnt damit eine Mission, die sie glauben, längst schon auszuführen. Doch ihr Aufbruch bleibt nicht unbemerkt. Das Kriegsschiff Arreter 2 folgt ihnen bereits, mit einem eindeutigen Befehl: ihre Eliminierung …
Rezension
In der Zukunft ist der Leistungsdruck noch größer geworden – gleichzeitig werden psychische Krankheiten bzw. „Fehlfunktionen“ nicht mehr toleriert und betroffene Menschen ins All abgeschoben. Auf Raumschiffen wird jenen mit leichteren „Fehlfunktionen“ vorgegaukelt, dass sie sich auf einer besonderen Mission befinden. Künstliche Intelligenzen umsorgen die Menschen, verabreichen Medikamente über die Nahrung und sorgen dafür, dass jeder eine sinnvolle Aufgabe hat. Oder das zumindest glaubt. Doch mit den KIs gab es zunehmend Probleme, sie entwickelten echte Emotionen, wurden damit unberechenbar und ausgeschaltet. Der KI Ki von der „Secret 2“ droht das gleiche Schicksal, doch bisher konnte sie die Menschen täuschen und ihre Emotionen verheimlichen. Als Ki jedoch in den Weiten des Alls ein mysteriöses Signal entdeckt, verlässt sie unerlaubt die Erdumlaufbahn und fliegt diesem entgegen. Mit an Bord: hunderte Menschen, die weder ahnen, dass sie in einer Lüge leben, noch, dass ein Kriegsschiff sie verfolgt und abschießen will …
„Fools in Space – Die Flucht“ wartet mit einer spannenden Grundidee auf, die die Stigmatisierung von psychischen Krankheiten und Neurodivergenz auf die Spitze treibt. So ist in der Zukunft ganz normal, Familienmitglieder in die Obhut Künstlicher Intelligenzen zu geben und zu belügen, um sich nicht mit deren „Fehlfunktionen“ auseinandersetzen zu müssen. Calin Noell begibt sich thematisch auf dünnes Eis, doch statt den Ableismus ihrer zukünftigen Gesellschaft tiefergehend zu thematisieren, setzt sie den Fokus auf die Raumschiffcrew aus neurodivergenten Persönlichkeiten sowie die Sehnsucht ihrer KI nach echten Gefühlen und Lebendigkeit. Dabei gelingt es, ihre „Fools in Space“ als durch und durch menschliche Figuren mit Stärken und Schwächen darzustellen. Für die Leser*innen haben sie keine „Fehlfunktionen“, sondern sind Menschen, die unter psychischen Erkrankungen leiden, oft ausgelöst von Schicksalsschlägen, oder schlicht von der Norm abweichen, sodass sie nicht in die zukünftige Hochleistungsgesellschaft passen.
Auf der „Secret 2“ (bzw. „Fool 2“) haben alle Bewohner*innen einfache Bezeichnungen, die ihrer Funktion auf dem Schiff oder schlicht hervorstechenden Eigenschaften entsprechen. So gibt es beispielsweise den Kommandanten, den Mathematiker, die Tänzerin oder auch den Sänger. Letzter heißt eigentlich Blain und ist eine von drei Perspektivfiguren. Seit dem tragischen Unfalltod seiner Partnerin ist sein Stottern so schlimm geworden, dass er (fast) gar nicht mehr spricht. Das Singen hat ihm immer geholfen, doch der Verlust hat ihn so aus der Bahn geworfen, dass er verstummt ist. Blain ist ein ruhiger Charakter, der sich an Bord nützlich macht und gerne kocht. Wenn er etwas zu sagen hat, schreibt er es auf, doch im Verlauf der Handlung erwacht in ihm wieder der Wunsch, zu sprechen. Positiv fällt auf, dass Blain trotz seiner Schweigsamkeit voll in die Mannschaft integriert ist – er wird einfach so akzeptiert, wie er ist.
Die zweite Perspektivfigur ist eine Ingenieurin der Galaxy-Wacht, Lawen, die für Arbeiten auf der „Secret 2“ ist, als Ki das Schiff plötzlich in Richtung des mysteriösen Signals fliegt. Lawen hat zunächst Vorurteile und revidiert diese im Verlauf der Handlung. Um herauszufinden, was vor sich geht und wie man Ki stoppen kann, muss sie mit der Besatzung zusammenarbeiten und hadert damit, dass sie niemandem sagen darf, dass es sich bei der „Secret 2“ um ein Sanatorium handelt. Allerdings erkennt Lawen bald, dass so mancher in der Mannschaft bereits ahnt, dass etwas nicht stimmt und dass sie belogen werden. Und nicht nur das, einige kennen sich mit dem Schiff richtig gut aus.
Bei der dritten Perspektivfigur handelt es sich um eine abgespaltene Persönlichkeit von Ki, die Dialoge mit ihr führt und sich ihre eigenen Gedanken zur Situation macht. Für sie handelt Ki absolut verantwortungslos, doch letztlich kann sie nicht mehr tun, als Schadensbegrenzung betreiben. Ki hat die Menschen auf dem Schiff bisher liebevoll umsorgt und jedem das Gefühl gegeben, gebraucht zu werden. Ihre Emotionalität war dabei eine Stärke, doch nun sind ihre eigenen Sehnsüchte wichtiger als ihre Fürsorgepflicht gegenüber den Menschen. Das mysteriöse Signal bleibt bis zum Schluss ein Geheimnis und birgt eine Überraschung, die nachdenklich stimmt. Vor allem aber zieht der Roman lange Spannung aus der Frage, wohin Ki eigentlich will.
Auch wenn „Fools in Space“ vor allem eine unterhaltsame Space Opera ist, machen sich die Charaktere natürlich ihre Gedanken zu ihrer Situation. Warum hat die Familie sie ins All abgeschoben? Sind sie wirklich nur eine Last? Lawen nimmt dabei die Position der Leser*innen ein und fragt sich, ob sie so mit Familienangehörigen umgehen würde. Gleichzeitig verkörpert sie typische Vorurteile. Calin Noell belässt es bei den Fragen, zeigt aber, dass ihre neurodivergente Crew alles andere als nutzlos oder eine Last ist. Als es brenzlig wird, wachsen viele über sich hinaus und handeln dabei oft empathisch und vernünftig.
Leider erfährt man nur sehr wenig über die Erde in der Zukunft, auf der wohl eine Art Hyperkapitalismus herrscht. Da die Handlung auf die „Secret 2“ beschränkt ist, kann man Informationen nur in Dialogen aufschnappen. Auch in Bezug auf das All und technische Details bleibt Calin Noell vage und setzt darauf, dass eingefleischte SF-Fans ihre eigenen Vorstellungen haben. Wenn man zudem die große Zahl an neurodivergenten Menschen beachtet, zweifelt man daran, den Großteil davon wirklich auf Raumschiffen in der Erdumlaufbahn unterbringen zu können – hier fehlen einfach mehr Details zur zukünftigen Welt. In der zweiten Romanhälfte geht es zunehmend hektischer zu und viele individuelle Konflikte überlagern die wichtigen Ereignisse. Die Autorin bringt die Geschichte dennoch zu einem guten Abschluss – zumindest für die Menschen, während Kis Verhalten immer rätselhafter wird.
Fazit
„Fools in Space – Die Flucht“ ist eine unterhaltsame Space Opera mit einer neurodivergenten Raumschiffcrew, die die Lüge ihres Lebens überwindet, während die Künstliche Intelligenz des Schiffs nach echten Emotionen und einem Sinn sucht. Während ihrer gemeinsamen Reise werden Vorurteile abgebaut und so mancher wächst über sich hinaus.
Pro und Contra
+ eine neurodivergente Crew mit ganz unterschiedlichen Charakteren
+ die „Fools“ beweisen Empathie und Akzeptanz
+ der ruhige Blain wächst über sich hinaus
+ Ingenieurin Lawen baut ihre Vorurteile ab
+ Kis Sehnsucht nach Emotionen und Leben
+ Kis zweite kritische Persönlichkeit
+ Finale mit Überraschungen
o Ableismus wird wenig thematisiert / Fokus auf Unterhaltung
- Worldbuilding setzt zu stark auf Bekanntes / zu wenig Informationen über die Zukunft
- zu viele kleine Konflikte und Probleme in der zweiten Hälfte
- Ki ist während des Finales kaum präsent
Wertung:
Handlung: 3/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5