Kia Kahawa (30.06.2021)

Interview mit Kia Kahawa

kia kahawa1Literatopia: Hallo, Kia! Kürzlich ist bei Plan 9 Dein SF-Roman „Endstation – Die Passepartout-Logfiles“ erschienen. Was erwartet die Leser*innen in Deiner Zukunftsvision?

Kia Kahawa: Eine ganze Menge. Es gibt künstliche Intelligenzen, Intrigen, Freundschaft, große Persönlichkeiten und kleine Witze. Aber vor allem erwartet die Leser*innen eine Welt, in der die Menschen 140 Jahre alt werden können. Die Nebenwirkung dieses „Jungbrunnens“: Unerklärlicherweise fallen reihenweise Personen ins Koma.

Literatopia: Global Insurance hat in „Endstation“ den Staat ersetzt. Wie kam es dazu? Und wie steht die Bevölkerung zu GI?

Kia Kahawa: Die Bevölkerung ist größtenteils „systemtreu“, da durch die überbevölkerte Menschheit (und das hohe Alter, das die Menschen erreichen können) nahezu jeder eine*n Angehörige*n hat, der oder die im Koma liegt und somit von Global Insurance abhängig ist. So kam es auch dazu, dass Global Insurance Regierungsaufgaben übernehmen musste: Zu viele Menschen! Der Staat war überfordert und die Trennung von Medizin und Justiz ist zusammengebrochen. Damals trat Global Insurance als Retterin in der Not auf und hat abertausende Menschenleben gerettet. Es gibt da aber auch die Antipartei, die sind Systemaussteiger*innen, die mit Global Insurance und dem technisierten Leben nichts zu tun haben wollen.

Literatopia: Du schreibst gerne „aus der Sicht von Protagonisten, die mit sich und ihrer Umwelt nicht im Einklang stehen“ – inwiefern trifft das auf Noah zu?

Kia Kahawa: Wer ein bisschen tiefer in „Endstation – Die Passepartout-Logfiles“ eingetaucht ist, erfährt, dass Noah überhaupt nicht authentisch ist. Er will eigentlich eine andere Arbeit, einen anderen Lebensstil und hätte auch andere Freunde. Aber es gibt diesen einen Grund, dieses eine übergeordnete Ziel, durch das Noah gegen seine eigenen Werte handelt. Somit steht Noah definitiv nicht mit seiner Umwelt im Einklang – schließlich lehnt er diese im Innern eigentlich ab.

Literatopia: Noah bezeichnet eine Künstliche Intelligenz als besten Freund. Wie haben Noah und die KI Orwell eine Beziehung zueinander aufgebaut?

Kia Kahawa: Noah hat Orwell seinen Namen gegeben. Vorher hat man ihn „KI“ oder „Computer“ genannt. Für eine KI mit Bewusstseinsmodul (und Orwells Persönlichkeit) ist das natürlich nicht würdig. Da Noah der Sohn von einem *KI*ndergärtner, also einem KI-Erzieher ist, hat er von klein auf die Liebe seines Vaters zu KI erlebt – und ist damit der einzige Mensch, der Orwell wie einen Freund und nicht wie ein Computerprogramm anredet und behandelt.

Literatopia: Vieles wirkt in „Endstation“ dystopisch, doch es gibt auch einige utopische Elemente. Was läuft in der Zukunft besser als bei uns?

Kia Kahawa: Das ist relativ. Ich möchte nicht spoilern, aber vieles, was Leser*innen als utopisch und positiv wahrnehmen, könnte womöglich auch dystopische Auswirkungen haben. Was aber definitiv besser läuft als bei uns: Das Schulsystem! Das ist inhaltlich deutlich auf nützliche und richtungsweisende Inhalte ausgelegt und es gibt keine einheitlichen Klassen, sondern verschiedene Stufen in verschiedenen Schulfächern/Qualifikationen, sodass jedes Individuum einzigartig gebildet werden kann. Aber auch dieses eigentlich sehr gute System ist vor Korruption nicht gefeit.

Literatopia: Du verwendest in „Endstation“ verschiedene Neopronomen, unter anderem „dey“ und „ser“. Wie verwendet man diese richtig? Und ist Diversity für die Figuren in Deinem Roman wirklich selbstverständlich?

Kia Kahawa: Ja, Diversity ist in meinem Roman selbstverständlich, und zwar für jede*n. „Endstation“ spielt im Jahr 2197 und ich glaube fest daran, dass unsere Gesellschaft sich bis dahin einkriegt. Schau dir allein die Offenheit und das Verständnis der aktuellen jungen Generation an. Wie werden diejenigen, die heute 14 Jahre alt sind, ihre Kinder erziehen? Mit Sicherheit noch aufgeschlossener und noch toleranter. Und die Kinder der Kinder? Noch besser. Innerhalb der nächsten fast 200 Jahre wird sich das auswachsen.

Wie man meine Neopronomen richtig verwendet, hat Passepartout in „Endstation“ im Anhang als Spickzettel angehängt. Im Grunde wird „ser“ als Ersatz für „sie“ oder „er“ verwendet, wenn eine nonbinäre oder fremde Person vor einem steht. Dann sagt man „Ser hat ses Buch aufgeschlagen“ und „Ser hat sem eine reingehauen“. Dey wird als Neopronomen für „der“ und „die“ verwendet. Also „Deyjenige, dey das Fenster zerstört hat, meldet sich bitte jetzt!“.

Literatopia: „Endstation“ enthält Bezüge zu bekannten SF-Werken – welche haben Dich beim Schreiben inspiriert?

Kia Kahawa: Ich freue mich sehr, dass dir das aufgefallen ist! „Endstation“ ist voll von Easter Eggs aus verschiedenen Genres und Werken. Wie dir sicher aufgefallen ist, steht im Zentrum von „Endstation – Die Passepartout-Logfiles“ die Familie Cline. Der Protagonist heißt Noah Cline. Das ist ein Verweis auf Ernest Cline, dessen „Ready Player One“ mich überhaupt ins SF-Genre hineingesogen hat. Dann gibt es aber noch andere Easter Eggs wie einen gewissen soziopathischen Herrn Myers. Aber es gibt auch einen Dr. Cuddy, der seinen Namen keiner geringeren als Dr. Lisa Cuddy aus „Dr. House“ zu verdanken hat. Du siehst: Ich habe es nicht so mit Nachnamen, da leihe ich mir gerne welche aus.

Literatopia: In einem Deiner Blogposts beschäftigst Du Dich mit der „Work-Life-Integration“ – was ist das genau?

Kia Kahawa: Ich sehe für mich keine Option und auch keine Begründung für eine „Work-Life-Balance“. Ich lebe doch, während ich arbeite, also wieso sollte ich Arbeit von Leben trennen? Viel intelligenter scheint mir eine sinnvolle und reibungslose Integration von Arbeit und Leben. Denn die Arbeit ist ein Teil von mir – der natürlich nicht die Überhand gewinnen darf –, und somit ein Teil meines Lebens. Es geht bei Work-Life-Integration beispielsweise aus Arbeitgeber-Sicht darum, dass man nicht zehn Stunden Zeit für die Arbeit verbringt und dann im Privatbereich Sport macht, wenn man dazu kommt. Denn Arbeitgeber wollen fitte, gesunde Mitarbeiter. Also integrieren sie ein Fitness-Studio in ihre Arbeit: Als Studio im Betrieb oder als betrieblicher Zuschuss zur Mitgliedschaft, oder zwei Stunden Mittagspause, damit die Angestellten dann Sport machen können. Zur Work-Life-Integration gehört all das. Eine Arbeitsgestaltung, die es zulässt, dass man es zwischen 9 und 18 Uhr mal zur Post schafft, um einen Brief wegzubringen oder im Urlaub jeden Tag 1000 Wörter am nächsten Buch zu schreiben. Und da ich selbstständig und meine eigene Arbeitgeberin bin, gestalte ich mir meinen Arbeitsalltag natürlich ganz individuell. Hierbei balanciere ich aber zwischen „zu salopp und zu viel Freizeit“ und „zu streng und zu viel Arbeit“. Die Integration ist also noch ein Prozess.

Literatopia: Kannst Du uns abschließend einen kleinen Ausblick auf den zweiten Band Deiner „Logfiles“-Trilogie geben?

Kia Kahawa: Hm. Über diese Frage habe ich ein paar Minuten nachdenken müssen. Und ich glaube, ich möchte folgende Antwort geben: In Band 2 gibt es neue Schauplätze, neue Figuren, neue Wendungen und eine neue KI. Wer die letzten Seiten von „Endstation – Die Passepartout-Logfiles“ liest, findet übrigens auch einen ganz deutlichen Hinweis darauf, womit Band 2 starten wird ;-)

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Kia Kahawa: Vielen Dank, dass du mich interviewt hast!

 

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Autorenfotos: Copyright by Kia Kahawa

Autorenwebsite: https://www.kiakahawa.de


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.