Berlin - Magische Knochen (Sarah Stoffers / Noah Stoffers)

Amrûn Verlag (Juni 2021)
Taschenbuch, 446 Seiten, 14,00 EUR
ISBN: 978-3958694125

Genre: dystopische Steamfantasy


Klappentext

“Ich weiß nicht, ob es je wieder gut wird. Wie könnte es das?“

Die Herbststürme kommen nach Berlin und in den Kaffeeschenken herrscht Aufruhr. Auf den Straßen werden Bücher verbrannt. Die magische Geheimpolizei wittert überall Verrat. Die Stadt steht vor einer schicksalhaften Entscheidung und der Mann, der sie treffen soll, treibt sich im Vergnügungsviertel herum.
Ein Zauberer, der vor seiner Verantwortung flieht, und eine Erfinderin, die bereits zu viel verloren hat, machen sich gemeinsam auf die Suche nach einer verschollenen Geliebten. Ihre Reise führt sie bis weiter über Berlin hinaus, in ein Abenteuer voller Hexen, Luftpiraten und wandelnder Leichen. Und zu einer Frau, die den Tod betrogen hat.


Rezension

Berlin kommt nach den dramatischen Ereignissen des Sommers nicht zur Ruhe: Die Ernennung der neuen Großmeister steht an und die Zauberer sind Aufruhr, weil mit Fidelio ein junger Mann, der noch nicht einmal den Eid geleistet hat, zum obersten Bibliothekar wurde. Er soll entscheiden, was mit dem neu entdeckten Archiv voller potentiell gefährlichem Wissen aus dem Ersten Zeitalter geschehen soll. Erfinderin Mathilda kann hingegen ihre Affäre Ling nicht vergessen, für die sie mehr empfindet, als sie sich lange Zeit eingestehen wollte. Sie begibt sich auf die Suche nach ihrer verschwundenen Geliebten, deren Spuren in die Zone führen, die gar nicht so unbelebt ist, wie die Berliner glauben: Magische Kreaturen und Hexen leben hier in urtümlichen Wäldern. Sie hüten das Geheimnis einer Substanz, die Untote erschaffen kann. Mathilda und Fidelio müssen unbedingt verhindern, dass diese in falsche Hände, z.B. in die von Luftpiraten oder den Mechanikae, gerät …

„Berlin – Magische Knochen“ ist die Fortsetzung der hochatmosphärischen, postapokalyptischen Steamfantasy „Berlin – Rostiges Herz“ und man kann kaum glauben, dass zwischen den Ereignissen aus Band 1 und 2 nur wenige Wochen liegen. Man könnte „Magische Knochen“ ohne Vorkenntnisse lesen, da es sich hier um eine weitgehend neue Geschichte handelt, wird dann aber natürlich in Bezug auf wichtige Handlungselemente gespoilert. Mathilda und Fidelio sind inzwischen ein eingespieltes Team und man könnte meinen, die beiden seien seit Jahren befreundet, dabei kennen sie sich erst wenige Wochen. Die tragischen und turbulenten Tage in „Rostiges Herz“ haben die beiden zusammengeschweißt. Sie gehen für den anderen sprichwörtlich durchs Feuer, sagen sich dabei weiterhin offen ihre Meinung und tragen so manch heftigen Streit aus. Trotzdem gelingt es ihnen, Brücken zwischen den verfeindeten Erfindern und Zauberern zu bauen, und geben auch dann nicht auf, wenn diese wieder eingerissen werden.

Die Handlung konzentriert sich stark auf Mathilda und ihre Suche nach Ling, mit der sie viele wunderschöne Momente auf ihrem Hausboot verbracht hat. Inzwischen ist Mathilda klar, was sie fühlt, auch wenn Ling bisher gewisse Geheimnisse bewahrt hat. Deren Aufdeckung bietet reichlich Konfliktpotential. Mathilda ist auch dieses Mal wunderbar eigensinnig, stur und leidenschaftlich. Sie steht bedingungslos für ihre Freunde ein, hat keine Hemmungen, Kritik zu äußern, und bringt sich mit ihrer unbändigen Neugier in Gefahr, aus der sie sich mit ihrem Erfindungsreichtum geschickt herauslaviert. Oftmals sind es auch Freunde und unerwartete Verbündete, die brenzlige Situationen auflösen. Fidelio hilft mit Illusionszaubern, verblasst in „Magische Knochen“ jedoch als oftmals stummer Begleiter an Mathildas Seite. Er hat noch schwer an seinen psychischen Wunden zu tragen, flüchtet vor seiner Verantwortung in Berlin und weiß eigentlich gar nicht, was nun aus ihm werden soll. Seine Verzweiflung ist glaubhaft dargestellt, trotzdem vermisst man den charmanten und stets ideenreichen Zauberer aus dem ersten Band, der der stürmischen Mathilda das Wasser reichen kann.

Spannung zieht „Magische Knochen“ vor allem aus den Schatten aus Lings Vergangenheit, die sie gnadenlos verfolgen und in lebensgefährliche Situationen bringen. Ling wirkt dabei zunächst wie eine typische Einzelkämpferin, gestählt von ihren zahlreichen Traumata. Für Mathilda stellt sie den perfekten Gegenpart dar: Ruhig, geheimnisvoll und magisch, aber nicht minder leidenschaftlich. Als vierte Perspektivfigur lernen wir den Assassinen Alfons kennen, der zusammen mit seinem Lehrling seine Opfer tage- und wochenlang täuscht und sie nach dem Überbringen guter Nachrichten tötet. Alfons ist ein beängstigender Charakter, der sich durch nichts von seinen Aufträgen abbringen lässt und gerade durch seine ruhige, seltsam freundliche Fassade unheimlich wirkt. Leider enttäuscht er in der zweiten Romanhälfte. Dafür lernen wir einen Untoten kennen, der seine Menschlichkeit neu entdeckt, außerdem bringt Händlerin und Schmugglerin Luise mit ihrem Luftschiff Schwung in die Handlung.

Die Rückkehr ins zukünftige Berlin, das ein wilder Mix aus Steampunkflair, Magie und Post-Klimawandel ist, bereitet in den ersten Kapiteln jede Menge Lesespaß. Doch Mathildas Suche führt sie hinaus in die Zone, die die Natur sich zurückerobert hat. Die Hexen leben hier in urtümlichen Wäldern und im Gegensatz zu den Zauberern halten sie sich an keine Gesetze. Gerne hätte man mehr über sie erfahren, doch die Hexen behalten in „Magische Knochen“ die meisten ihrer Geheimnisse für sich. Dafür machen wir Bekanntschaft mit Luftpiraten und den Mechanikae – einer Kolonie von Erfindern mitten im Meer, die über hochentwickelte Technologien verfügt. Die Mechanikae zeigen großes Interesse am Archiv in Berlin, doch auch hier lässt Sarah Stoffers viele Fragen offen – für einen dritten Band?

Zur Veröffentlichung von „Berlin – Magische Knochen“ hat der Amrûn-Verlag auch dem ersten Band „Rostiges Herz“ ein neues Cover spendiert, das sich vor allem farblich von dem des zweiten Bandes unterscheidet und sonst nahezu identisch ist. Mit dem Grün sieht es jedoch noch besser aus. „Magische Knochen“ enthält Content Notes – und lässt sich direkt beim Verlag auch mit Signatur bestellen!


Fazit

„Berlin – Magische Knochen“ bietet erneut ein magisches Abenteuer in einem postapokalyptischen Steampunksetting, in das sich die Untoten erstaunlich gut einfügen. Mathilda begeistert weiterhin mit ihrer stürmischen, ehrlichen Art und dominiert die Handlung, die sich weiteren Teilen des zukünftigen Europas öffnet. Ihre Geliebte Ling offenbart ihre dunklen, gefährlichen Geheimnisse, während Zauberer Fidelio sich erst wieder finden muss und zwischenzeitlich regelrecht verblasst.


Pro und Contra

+ Untote in einer postapokalyptischen Steampunkwelt
+ die stürmische, ehrliche Mathilda
+ Lings dunkle, verhängnisvolle Geheimnisse
+ berührende, queere Lovestory
+ neue spannende Nebenfiguren
+ zeigt mehr vom zukünftigen Europa
+ extrem reizvoller Mix aus Fantasy- und SF-Elementen
+ empathischer und sehr atmosphärischer Schreibstil
+ großartiges Coverdesign

- Fidelio verblasst zwischenzeitlich zu sehr
- teils chaotische zweite Hälfte

Wertungsterne4

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4/5


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Tags: Dystopie, Steamfantasy, queere Figuren, nicht-binäre Autor*innen, progressive Phantastik, Berlin, Noah Stoffers