Knochenblumen welken nicht (Eleanor Bardilac)

Droemer Knaur (Juli 2021)
Klappenbroschur, 400 Seiten, 12,99 EUR
ISBN: 978-3-426-52716-0

Genre: Historische Urban Fantasy


Klappentext

Dunkle Magie, unheimliche Ritualmorde und eine junge Frau, die ihren Weg finden muss:

In der prächtigen Stadt Vhindona ist man stolz auf geschickte Erfinder und reiche Händler – allem, was mit Magie zu tun hat, steht man dagegen misstrauisch gegenüber. Deshalb versucht Aurelia seit Jahren, ihre magische Begabung geheim zu halten. Doch als die junge Frau Zeugin eines Mordes wird, kommt dabei auch ihr Geheimnis ans Licht, und Aurelia wird dem mächtigen Nekromanten Marius Cinna als Schülerin zugeteilt.
Als die wissbegierige junge Frau herausfindet, was wirklich hinter einer unheimlichen Serie von Ritualmorden steckt, und welche Rolle Marius dabei spielt, muss sie sich entscheiden: für ihren neuen Meister oder für ihre Heimatstadt.


Rezension

Vhindona ist eine blühende Metropole, die im Zeitalter der Industrialisierung ihre magische Vergangenheit verdrängt. Magiebegabte werden diskriminiert, mit fadenscheinigen Gesetzen an den Rand der Gesellschaft gedrängt und zum Frontdienst gezwungen. Entsprechend versuchen Eltern, ihre Kinder zu verstecken, wenn sie an ihnen etwas Magisches entdecken – so ergeht es auch Aurelia, die das Haus nicht mehr verlassen darf. Als sie bei einer Feier Zeugin eines grausamen Mordes wird, kommt ihre magische Begabung ans Licht und Aurelia wird von der Polizei mitgenommen. Da ihr Wissen über den Mord wertvoll ist, entgeht sie einer Strafe und wird dem Nekromanten Marius Cinna als Schülerin zugewiesen. Er soll herausfinden, was die traumatisierte junge Frau gesehen hat, und sie unterrichten, sodass sie keine Gefahr für die Gesellschaft wird. Marius selbst hingegen ist gefährlicher, als Aurelia zunächst glaubt …

„Knochenblumen welken nicht“ ist historische Urban Fantasy in einer fiktiven Welt, wobei Vhindona stark an Wien um 1900 angelehnt ist. Dies zeigt sich vor allem in der Architektur des Jugendstils, für die sich Aurelia sehr begeistert. Ihren Traum, ihrem Vater zu folgen und Architektin zu werden, muss sie jedoch früh aufgeben. Ihre magische Begabung macht sie zur Außenseiterin, die von ihren Eltern versteckt und medikamentös ruhiggestellt wird, damit man sie nicht an die Front schickt, wo sie als Kanonenfutter verheizt werden würde. Aurelia entgeht diesem Schicksal, da sie eine wichtige Zeugin ist, und später von Marius Cinna beschützt wird. Dieser ist ein jahrhundertealter und mächtiger Nekromant und zudem kein Bürger Radbods, weshalb er weniger von der Diskriminierung betroffen ist.

Marius gelingt es, Aurelia nach und nach die Angst vor ihren eigenen Fähigkeiten zu nehmen und sie mit Hilfe anderer Magiekundiger zu schulen. Dabei nimmt er auch Rücksicht auf ihre Angst davor, außerhalb des Hauses allein zu sein. Mit viel Empathie und Geduld gelingt es ihm, Aurelias Vertrauen zu gewinnen – und sie wiederum schafft es, Marius‘ Herz zu rühren. Anfänglich ist er dagegen, eine Schülerin aufzunehmen, da ihn noch immer Dämonen aus seiner Vergangenheit heimsuchen. Wie er befürchtet, schließt er Aurelia schnell ins Herz, was sich als gar nicht so fatal herausstellt. Denn Aurelia ist zwar eine verunsicherte junge Frau, gewinnt jedoch mit der Zeit an Selbstvertrauen und beweist, dass sie ihre Magie für gute Zwecke nutzen will. Zudem gelingt es ihr, dem sehr alten und erfahrenen Magier neue Perspektiven zu eröffnen.

Das Worldbuilding ist an das späte 19./frühe 20. Jahrhundert angelehnt und wenn man mit Aurelia durch die Straßen Vhindonas geht, sieht man das frühere Wien vor sich. Fantasy- und Steampunkelemente ergänzen die reizvolle historische Kulisse, von der man bisher leider nur einzelne Stadtteile Vhindonas sieht. Die Handlung konzentriert sich stark auf das Magierviertel, das eine Art Ghetto ist – allerdings in Gestalt einer verträumten Vorstadtsiedlung mit magischen Häusern, die sich auf wundersame Weise ihren Bewohnern anpassen, und üppigen Gärten. Hinter Marius‘ Haus befindet sich das Gewächshaus, in dem die titelgebenden Knochenblumen wachsen, um die sich ein freundliches Knochenwesen kümmert. Leider sieht man darüber hinaus relativ wenig von Marius‘ nekromantischen Künsten. Und was man sieht, ist selten schaurig, sondern niedlich, wie ein kleiner Skelettaffe.

Spannend ist das polytheistische Göttersystem, wobei die Göttlichen Wesen auf der Welt wandeln, teils im Verborgen, teils auch als monströse Gestalten wie die Dunkle Königin, die eine Schneise der Zerstörung ins Land schlägt, was Radbod ausnutzt, um das Reich zu vergrößern. Die Magiebegabten folgen insbesondere den Alten Gottheiten, über die viel Wissen verloren gegangen ist. Einige wurden auch durch die Neuen Gottheiten, die bei einem zweiten Sternenfall in die Welt gekommen sind, vernichtet – und auch von diesen Neuen Göttern sind einige bereits gestorben. Mit Ausnahme der Dunklen Königin und der Herrin, der die Nekromanten dienen, erfährt man wenig über diese Götter - am wenigstens über die neuen, obwohl sie für die nicht-magische Bevölkerung wichtiger sind und somit präsenter sein müssten.

Die Handlung von „Knochenblumen welken nicht“ konzentriert sich stark auf Marius und Aurelia, auf ihre wachsende Freundschaft und ihre Beziehungen zu anderen Figuren. Dabei wird man erstaunlich selten Zeuge der weltbewegenden Ereignisse, die meistens woanders stattfinden, während die Figuren zurückbleiben und sich darüber austauschen. Fast kommt es einem vor, als wäre der Roman eine Geschichte neben der eigentlichen Geschichte, die man meist nur über Erzählungen der Figuren (rückblickend) mitbekommt. Eleanor Bardilac nimmt sich viel Zeit für tiefschürfende Gespräche, aber auch für humorvolles Geplänkel und Alltäglichkeiten. Zudem werden oft Andeutungen gemacht, insbesondere bezüglich Marius‘ Vergangenheit, was Spannung erzeugen soll, in der Häufigkeit aber die Leser*innen ermüdet. Ebenso wartet man meist vergeblich darauf, dass die Figuren ihre verständlichlicherweise heftigen emotionalen Reaktionen in Taten umsetzen, weil sie sich gegenseitig von Dummheiten abhalten.  

“Es ist vielleicht hart, aber ich bin der Meinung, dass der erste Schritt zum Untergang darin besteht, seine Prinzipien zu verraten. Wenn man sich von der Welt unter Druck setzen lässt und einem fehlerhaften System ohne Protest nachgibt, was bleibt dann noch von einem übrig?“ (Seite 236)


Fazit

„Knochenblumen welken nicht“ ist leicht schaurige Urban Fantasy mit historisch anmutender Kulisse, die sich stark auf ihre beiden Protagonist*innen konzentriert. Der Roman eignet sich vor allem für Leser*innen, die gerne tief in die Gedanken- und Gefühlswelten der Figuren eintauchen und die mehr an intensiven Gesprächen als an Action interessiert sind. Es gibt zwar so manchen düsteren Moment, insgesamt ist „Knochenblumen welken nicht“ aber erstaunlich soft für Nekromantie und Ritualmorde.


Pro und Contra

+ reizvolle, historisch anmutende Kulisse im Jugendstil
+ liebevoll ausgearbeitete Details
+ der respektvolle und empathische Umgang der Magiebegabten untereinander
+ viele Geheimnisse in Marius‘ Vergangenheit
+ queere Figuren, inklusive Marius als Protagonist
+ sehr interessantes polytheistisches Göttersystem
+ die Darstellung der Diskriminierung der Magiebegabten und ihre Reaktionen darauf

- wichtige Ereignisse finden oft außerhalb der Romankapitel statt
- Marius zeigt zu wenig von seiner nekromantischen Magie
- man erfährt zu wenig über die meisten Götter
- zu viele Andeutungen, die bald ermüden

Wertungsterne3.5

Handlung: 3/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5


Interview mit Eleanor Bardilac (2021)

Tags: queere Figuren, historische Fantasy, Eleanor Bardilac, Nekromantie