Tino Falke (22.09.2021)

Interview mit Tino Falke

tino falke2021Literatopia: Hallo, Tino! Im September erscheint Dein Debütroman „Crow Kingdom“ im Amrûn Verlag. Was erwartet die Leser*innen im Vergnügungspark?

Tino Falke: Hallo und vielen Dank, dass ich bei euch sein kann! Mein Debüt bietet Raben, Riesenräder und Revolte: Es geht um einen fiktiven Vergnügungspark und die Angestellten, die ihn zerstören wollen. Der Roman ist ein Genremix im minimalistischen Stil, mit Elementen aus Krimi und Thriller, Humor und ein bisschen (queerer) Romantik. Es gibt keine phantastischen Elemente – es ist also ein Gegenwartsroman. Und hoffentlich eher eine plötzliche Achterbahnfahrt abwärts als ein gemütliches Wohlfühl-Karussell.

Literatopia: Einen Vergnügungspark in Schutt und Asche legen, klingt erst einmal krass. Warum hassen Jessica und die anderen Angestellten ihre Arbeit so sehr?

Tino Falke: Die Gründe sind sehr individuell und werden im Lauf der Geschichte klar, manche sind auch eindeutig nachvollziehbarer als andere. Viele der Angestellten reiben sich für ihre Arbeit auf und müssen private Träume und Leidenschaften aufgeben, sie vernachlässigen, was ihnen eigentlich wichtig ist, oder haben gesundheitliche Probleme. Die bunte, fröhliche Fassade von Vergnügungsparks dient also als Kontrast zu kapitalistischen Strukturen, die hinter den Kulissen allen schaden. Ich hoffe, dass viele, die mal mit ihrem Job unzufrieden waren, darin etwas Vertrautes erkennen – aber nicht den radikalen Schritt gehen, den meine Buchfiguren wählen.

Literatopia: Was ist Jessica für ein Mensch? Welche Dämonen lauern in ihrer Vergangenheit?

Tino Falke: Vergangenheitsbewältigung ist ein wichtiges Thema im Buch, insofern kann ich zu Jessicas Hintergründen nicht ins Detail gehen. Es wird aber schnell deutlich, dass sie einiges zu verarbeiten hat und nicht die Hilfe sucht, die sie bräuchte – deshalb spielt auch Suizidalität eine Rolle, und im Buch und auf meiner Webseite sind Inhaltshinweise (Content Notes) dazu zu finden. Jessica hat den Park und die Kinderbuchreihe, auf der er basiert, als Kind sehr geliebt, inzwischen ist sie allerdings desillusioniert, zynisch und gibt ihm die Schuld an ihrem Zustand und tragischen Ereignissen in ihrem Leben.

Literatopia: Würdest Du uns die anderen handlungsrelevanten Figuren kurz vorstellen?

Tino Falke: Unter den anderen Angestellten stechen drei besonders hervor. Der Kollege Aram ist ein guter Freund Jessicas, der allerdings sehr unsicher und leicht zu beunruhigen ist, was dem Zerstörungsplan natürlich gefährdet. Mechaniker Donnie ist hingegen zielstrebig dabei. Durch seine Faszination für Vergnügungsparkunfälle kommt noch eine weitere düstere Note in die Geschichte. Jessicas Partnerin Sonja arbeitet ebenfalls dort, sie scheint als Einzige noch nicht von der Arbeit zermürbt und bietet ein angenehmes Gegengewicht zur trüben Weltsicht der Protaginistin.

Mit Kindheitsfreund Noah und Sommerromanze Penny tauchen unerwartet zwei Menschen aus Jessicas Jugend wieder auf, deren Anwesenheit alles verkomplizieren könnte. Und über allem thront der Besitzer des Parks, ein alter Anzugträger namens Jasper Bellmore, der vor allem will, dass sein Königreich reibungslos läuft und die Massen begeistert – koste es, was es wolle.

Literatopia: Was haben die im Titel genannten Krähen mit dem Vergnügungspark zu tun?

Tino Falke: Das Maskottchen des Parks ist eigentlich ein Rabe – Jessica selbst tanzt auch in einem großen Schaumstoffkostüm des Vogels zwischen den Attraktionen. Raben und Krähen ziehen sich aber als Motiv durch die Geschichte, auch als angebliche Unglücksbringer und Todesboten.

Für den Park, der sich als spaßiges Ausflugsziel genauso deuten lässt wie als gefährliches Entertainment-Monopol, das den Menschen, der Kultur und dem Umland schadet, stellt sich letztendlich die Frage: Ist es wirklich ein schöner Ort oder ein düsteres Reich der Krähen?

Literatopia: Warum hast Du einen Vergnügungspark als Setting gewählt? Stehst Du selbst auf Achterbahnen und Gruselshows?

Tino Falke: Ich selbst war noch gar nicht in so vielen Parks, ich bin bei Weitem kein Achterbahn-Enthusiast, der jeden Thrill mitnimmt. Meinen ersten Looping habe ich erst mit 18 erlebt – und auch das nur, weil er erst in der Warteschlange sichtbar war und es dann kein Zurück gab. Ich bin aber sehr fasziniert von der Ästhetik und dem genannten Kontrast zwischen glücklicher, heiler Welt nach außen und durchdesigntem, streng kontrollierten Abläufen hinter den Kulissen – der Begriff „manufactured fun“ trifft es sehr gut. Außerdem sind solche Parks teilweise durch eigene Hotels, Gastronomie und Infrastruktur kleine in sich geschlossene Mikrokosmen, abgeschnitten von der Außenwelt. Das macht mein Buch nicht zu einem Kammerspiel, aber das surreale, eher kleine Setting reizt mich sehr. Bei der Recherche habe ich auch nicht viele Bücher damit gefunden, von gruseligen Parks in Horror und Jahrmärkten in Romance abgesehen.

Literatopia: Du hast bereits mehrere Kurzgeschichten in Anthologien und Magazinen veröffentlicht, einige davon drehen sich um die Abenteuer von Pina Parasol. Würdest Du uns die Dame kurz vorstellen? Und könntest Du Dir vorstellen, ihr einmal einen ganzen Roman zu widmen?

Tino Falke: Die Frage freut mich sehr, danke! Pina Parasol ist eine etwas schräge Abenteurerin in einer Steampunk-Welt um 1900, die als „professionelle Verliererin“ mit ihrer fliegenden Lokomotive um die Welt reist und für Kundschaft Dinge verschwinden lässt. Es sind größtenteils leichtere Abenteuer-Geschichten, sehr anders als mein Debüt, aber ich liebe Pina als optimistische, enthusiastische, etwas freche Person sehr, sie und all die Nebenfiguren machen einfach Spaß! Im Moment gibt es 14 Geschichten mit ihr. Falls die einen Verlag und dann genug Lesende überzeugen können, habe ich definitiv Pläne (und bereits viele Notizen) für weitere Kurzgeschichten und einen Pina-Roman, in dem alle Fäden zusammenlaufen.

Literatopia: Du bist durch und durch ein Büchermensch und wenn Du nicht schreibst, suchst Du Fehler in Texten anderer Autor*innen. Inwiefern beeinflusst Dich die Arbeit als Lektor beim Schreiben – und umgekehrt?

Tino Falke: Die Fehler suche ich natürlich nur bei der Arbeit gezielt. Den Korrektorats-Blick kann ich beim privaten Lesen aber nicht mehr abstellen, und die Erkenntnis, dass in jedem gedruckten Buch noch Fehler sind, ist auch ein Stück weit beruhigend (trotz aller Ansprüche an einen fehlerfreien Text). Die Arbeit wird vom privaten Schreiben wenig beeinflusst, weil ich es dort vor allem mit Zeitschriften zu tun habe, nicht mit Belletristik. Aber so lese ich permanent Artikel zu verschiedensten Themen, die natürlich auch schon Geschichten von mir inspiriert haben.

Literatopia: Du hast bereits in der Grundschule zusammen mit Deinem Bruder Comics gezeichnet. Wovon handelten diese frühen Werke? Und zeichnest Du immer noch?

Tino Falke: Letztendlich war es Fan Fiction – ich habe noch immer einen Schuhkarton voller A6-Hefte mit Abenteuern von Casper, dem freundlichen Geist, mit Figuren aus Disneys Lustigem Taschenbuch oder inspiriert von Pokémon oder den exzellenten Mumie-Filmen mit Brendan Fraser. Ich selbst zeichne noch hin und wieder, vor allem Buch- und Rollenspielcharaktere. Mein Bruder (@die.vierte.wand und @abenteurer_antur auf Instagram) ist mehr dabei geblieben. Ich tobe mich jetzt lieber in Prosa aus.

Literatopia: Früher haben Dich J.R.R. Tolkien und Lewis Carroll inspiriert, später Chuck Palahniuk und Kij Johnson – warum gerade diese vier Autor*innen?

Tino Falke: Abseits von „Crow Kingdom“ schreibe ich vor allem Phantastik – da ist Tolkien für viele ja ganz unoriginell der Einstieg ins Genre, bei mir war es auch dank der Film-Trilogie nicht anders. Carrolls Wunderland war dann Vorlage für den ersten Roman, den ich je beendet habe (unveröffentlicht). Durch Palahniuk habe ich zum literarischen Minimalismus gefunden und „transgressive fiction“ kennengelernt, seine frühen Romane („Survivor“, „Invisible Monsters“, „Fight Club“) und Essays zum Handwerk haben einen riesigen Einfluss auf meinen heutigen Schreibstil und mein Debüt. Johnson ist ebenfalls minimalistisch unterwegs, ihre Kurzgeschichten beeindrucken mich immer wieder damit, wie viel Effekt auch mit wenig Worten erzielt werden kann. Ich empfehle allen Schreibinteressierten „Ponies“ und „26 Monkeys, Also the Abyss“.

Literatopia: Was liest Du aktuell gerne? Welche Bücher aus den letzten Jahren sollten sich unsere Leser*innen nicht entgehen lassen?

Tino Falke: Ich komme weniger zum Lesen, als ich gern hätte, aber freue mich sehr, dass die Progressive Phantastik im deutschsprachigen Raum immer verbreiteter wird. Mein Highlight der letzten Jahre war Sarah Stoffers mit siesen Berlin-Büchern „Rostiges Herz“ und „Magische Knochen“, für mich ganz hervorragende Steampunk-Fantasy, die viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Auf Englisch mochte ich zuletzt die „Persons non Grata“-Horrornovellen von Cassandra Khaw und die „Seafire“-Trilogie von Natalie C. Parker mit piraterieähnlichen Abenteuern einer Crew von Rebellinnen auf Hoher See.

Literatopia: Auf Deiner Website schreibst Du: „Weitere Veröffentlichungen sind immer in Arbeit.“ – Was erwartet uns denn demnächst von Dir?

Tino Falke: Tatsächlich dauert es gar nicht mehr so lange bis zu meinem zweiten Roman! Es handelt sich um eine Science-Fiction-Adaption von Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte. „Humbug über Xenosol“ erscheint im Dezember 2021 im Hybrid Verlag, und ich freue mich sehr, dass ich dann auch mit einem Roman in der Phantastik vertreten bin.

Die nächste Kurzgeschichten von mir erscheinen in der Anthologie-Trilogie von Magret Kindermann und im Pulp-Steampunk-Heft „Die Grüne Fee“, da bin ich mit Pina Parasol dabei. Mit einer Anthologie-Ausschreibung bei den Münchner Schreiberlingen, die am 1. Oktober öffentlicht gemacht wird, gehe ich außerdem bald unter die Herausgeber*innen. Ich bin sehr gespannt, wie das wird.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Tino Falke: Sehr gern! Ich hoffe, es war nicht das letzte Mal.


Autorenfoto: Copyright by Tino Falke

Autorenwebsite: https://www.tinofalke.de

Rezension zu "Crow Kingdom"

Rezension zu "Humbug über Xenosol"

Rezension zu "Das Dampfbein schwingen"


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.

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