S. C. Menzel (16.12.2021)

Interview mit S. C. Menzel

sc menzel2021Literatopia: Hallo, Saskia! Kürzlich ist mit „Titanrot – Nomaden im All“ Dein Debütroman erschienen. Was erwartet die Leser*innen im 30. Jahrhundert?

S. C. Menzel: In „Titanrot“ erwartet den Leser ein Sonnensystem, in dem auf beinahe jedem größeren Felsklumpen ein Habitat klebt. Die Menschen besiedeln Asteroiden, Zwergplaneten, Raumstationen und Raumschiffe. Glenn und die Mannschaft der Sonnenwind verdienen sich mit grenzwertigen Aufträgen ihre Atemluft und verfangen sich dabei im Netz einer mächtigen Person mit fragwürdigem Modebewusstsein. Chan Long spielt in seinem Labor an Bord des Kolonieschiffes Rhea mit verbotenen Technologien und die Tänzerin Kara träumt von einer Festanstellung in einer Tanzgruppe auf einem der Zwergplaneten.

Literatopia: Würdest Du uns die Crew der Sonnenwind kurz vorstellen? Und könnte man sie, trotz gewisser Streitigkeiten, als „Found Family“ bezeichnen?

S. C. Menzel: Es gibt fünf Menschen, die die Sonnenwind ihr Zuhause nennen. Da ist Nance, die Programmiererin und jüngstes Mitglied der Mannschaft, Dan, der Funker mit den dubiosen Verbindungen, Tian, der kochende Mechaniker, Lena, die Schmetterlingszüchterin und Navigatorin sowie Glenn, der stolze Kapitän der Sonnenwind.

Ich denke schon, dass man die Mannschaft als „Found Family“ bezeichnen kann. Alle diese Charaktere haben sich für ein Leben auf einem Nomadenschiff entschieden, das sie regelmäßig soweit vom Rest der menschlichen Zivilisation entfernt, wie möglich. Wenn es aber drauf ankommt, können sie sich aufeinander verlassen. Egal, wie heftig vorher gestritten wurde.

Literatopia: Auf der Sonnenwind gibt es – im Gegensatz zu den meisten Space Operas – keine künstliche Schwerkraft. Warum nicht? Und wie schnell/wie weit können die Menschen in Deiner Zukunftsvision reisen?

S. C. Menzel: Es gibt keine künstliche Schwerkraft, weil ich eine Welt erschaffen wollte, die halbwegs realistisch erscheint.

Auch FTL-Antriebe sucht man in meiner Welt vergeblich. Das bedeutet, die Raumschiffe können nur so schnell beschleunigen, wie ihre menschlichen Passagiere es aushalten. Ein Mensch hält eine Beschleunigung von etwa 9 G für einen kurzen Zeitraum aus. Allerdings habe ich mir die Freiheit genommen, meinen Charakteren einige hilfreiche Verbesserungen mitzugeben, die die Belastbarkeit erhöhen sollen. Zum Beispiel Beschleunigungstanks, deren Medium Stöße abfedern kann und die Lungen vor dem Kollaps bewahrt, Pumpen, die dafür sorgen, dass die Blutzirkulation und Sauerstoffversorgung aufrechterhalten wird, sowie ein ziemlich praktisches Gerät namens Medisarg, mit dessen Hilfe man bei waghalsigen Manövern gebrochene Knochen wieder zurechtrücken kann. Dennoch bleiben Limitationen in der Beschleunigungsgeschwindigkeit bestehen. Das heißt, die mögliche Höchstgeschwindigkeit ist abhängig von der Länge der Beschleunigungs- und Abbremsphasen.

Literatopia: Wie und wo leben die Menschen im 30. Jahrhundert? Und wie sieht das Politik-/Gesellschaftssystem aus?

S. C. Menzel: Die Menschen leben in Habitaten und Raumstationen über das ganze Sonnensystem verstreut, haben es allerdings noch nicht verlassen. Und dann gibt es noch Nomaden, die auf Raumschiffen leben, die zwischen den Raumstationen und Häfen herumfliegen. In den Außenbezirken des Systems gibt es auch große Nomadenflotten, deren Schiffe einen Verband bilden und häufig alle zum selben Familienclan gehören.

Die Menschheit wird nicht von einer Zentralregierung regiert, sondern es gibt Zusammenschlüsse größerer politischer Organisationen, die den Ton angeben. Ähnlich, wie es supranationale Organisationen wie die UN auf der Erde gibt, in der verschiedenste politische Systeme und Kulturen zusammensitzen und mal mehr, mal weniger erfolgreich versuchen, Regeln für das Miteinander aufzustellen. Grundsätzlich haben sich die kapitalistischen Strukturen behaupten können. Nebenher haben sich noch Konglomerate gebildet, das sind große Firmen, die systemweit agieren. Das Sonnensystem ist ein Flickenteppich aus allen möglichen Gesellschaftsordnungen. In den Außenbezirken herrschen die Nomaden und Konglomerate. Alle diese Organisationen unterliegen den systemweiten Gesetzen. Aber wenn man so weit draußen ist, gilt: wo kein Richter, da kein Henker. Das kann man ja schon auf den irdischen Meeren beobachten, sobald man die Hoheitsgebiete der Länder verlässt. Da draußen gibt es noch viel mehr Platz, um sich vor Gesetzen zu drücken, die einem nicht gefallen.

AsteroidswLiteratopia: Die Titelfigur Titanrot ist eine Künstliche Intelligenz, deren Existenz geheim gehalten wird. Wieso? Wie stehen die Menschen in der Zukunft zu KIs?

S. C. Menzel: Titanrots Existenz wird von Chan geheimgehalten. Das tut er, weil es in seiner Gesellschaft Gesetze gibt, die es verbieten, dass irgendwelche Leute nach Gutdünken KIs erschaffen und freilassen.

Die meisten anderen Menschen in meiner Geschichte halten KIs für einen normalen Bestandteil ihres Lebens. Manche mögen sie, manchen sind sie egal und andere hassen sie. Die Nomaden hegen ein gewisses Misstrauen gegen KIs.

Literatopia: Auf Instragram schreibst Du, es sei schwer gewesen, einen passenden Titel für Dein Debüt zu finden. Warum? Und unter welchen Titeln hast Du das Projekt vorher geführt?

S. C. Menzel: Ganz am Anfang hatte ich das Dokument unter „Tanz zwischen den Welten“ abgespeichert. Danach lautete der Arbeitstitel „Ohne Choreografie“. Das geht für eine Space-Opera natürlich gar nicht. Die Geschichte wird aus vier verschiedenen Perspektiven, die zu drei unterschiedlichen Handlungssträngen gehören, erzählt und es war nicht einfach, einen Titel zu finden, der diesem Umstand gerecht wurde. Mithilfe meiner Testleser und des Verlegers haben wir dann gemeinsam einen Titel gefunden, der uns gefällt, dem Genre gerecht wird und gemeinsam mit dem Cover sehr gut zur Geschichte passt.

Literatopia: Wie viele Romane und Geschichten sind vor der Veröffentlichung Deines Debüts in Deiner Schublade verschwunden? Und wie hat „Titanrot – Nomaden im All“ den Weg zu einem Verlag gefunden?

S. C. Menzel: Das ist das zweite Romanprojekt, das ich zu Ende geführt habe.

Ich habe das Manuskript samt Exposé unverlangt per E-Mail an ein paar Verlage verschickt und Michael hat geantwortet, dass das passen könnte. Ein paar Monate später habe ich noch mal nachgefragt und dann kam die Entscheidung ganz schnell. Das Manuskript wurde also aus dem berühmt-berüchtigten Stapel unverlangter Manuskripte gefischt und veröffentlicht.

Wal bunt300dpiLiteratopia: Die Illustrationen im Buch und auch das Cover stammen von Dir. Wann und wie hast Du das Zeichnen für Dich entdeckt?

S. C. Menzel: Ich zeichne, seit ich denken kann. Wenn man mir früher ein Blatt Papier und einen Stift gegeben hat, war ich für Stunden beschäftigt. Das Zeichnen ist für mich also ein älterer Begleiter als das Schreiben. Bevor ich schreiben konnte, habe ich mir mithilfe von Bildern Geschichten erzählt.

Literatopia: Warum Science Fiction? Was fasziniert Dich an dem Genre? Und wann bist Du erstmals mit SF in Kontakt gekommen?

S. C. Menzel: Es scheint, als glaubten viele, dass die Menschheit keine Zukunft habe und die Apokalypse (sei es in Form von Klimawandel, Kriegen, Asteroideneinschlägen …) eine abgemachte Sache sei. Die Ansicht, dass die Zukunft nur schlechter werden kann und dass das Beste bereits hinter uns liegt scheint weit verbreitet.

Wenn wir eine Geschichte lesen, die in der fernen Zukunft spielt, dann hat die Menschheit in dieser Vision allerdings überlebt. Selbst die dystopischste, dunkelste Vision einer Science-Fiction Geschichte handelt in der Regel von Menschen, die in einer Zukunft leben, die es laut der Schwarzseher gar nicht geben kann. In der SF überlebt die Menschheit und entwickelt sich sogar weiter. Es gibt technischen Fortschritt und Innovation. All die Technikfeindlichkeit und Zukunftsangst, der man im Alltag begegnet, wurde Lügen gestraft. Ich mag diese Vision lieber als die, in der wir alle sterben und es sowieso schon zu spät ist und wir deshalb gar nicht erst versuchen sollten, etwas zu verbessern.

Das erste Mal bin ich im Kindergartenalter mit dem Genre in Berührung gekommen. Als einziges Mädchen sollte ich immer Prinzessin Leia spielen, die natürlich darauf warten musste, von den Jungs aus dem Gefängnis gerettet zu werden. Ich nenne das mein Prinzessin-Leia-Trauma. Später in der Grundschule gehörte „Star Trek Voyager“ allerdings zu meinen absoluten Lieblingsserien und ich habe andere dazu genötigt, mit mir Raumschiff zu spielen. Natürlich war ich Captain Janeway. Auch wenn viele es vermutlich nicht hören wollen: Rollenvorbilder sind wichtig für kleine Mädchen. Ohne Janeway hätte ich vermutlich keinerlei Interesse an Science-Fiction entwickelt und das wäre schade gewesen.

Literatopia: Welche Autor*innen und Romane haben Dich inspiriert?

TänzerinswS. C. Menzel: Alles, was man liest, fließt auf die ein oder andere Art in die eigene Geschichte ein. Das Buch, das mich in Richtung Science-Fiction getrieben hat, war auf jeden Fall „Dune“. Denn trotz meiner Liebe für Science-Fiction-Serien und -Filme habe ich keine SF gelesen, bis mir jemand „Dune“ in die Hand gedrückt hat, als ich zwanzig war. Bis dahin hatte ich wirklich nur die Zeitmaschine und die ein oder andere Dystopie gelesen. Von daher würde ich sagen, dass "Dune" den größten Einfluss hatte.

Ansonsten waren die Bücher und auch die Folgen der „Expanse“-Reihe sehr frisch im Gedächtnis, während ich an „Titanrot“ geschrieben hatte. Auch Brandhorst und Reynolds habe ich da gerne gelesen.

Literatopia: Du hast Biologie studiert und arbeitest in der Nanotechnologiebranche – die liefert sicher viele Ideen für SF-Romane? Aber wann findest Du überhaupt Zeit und Ruhe zum Schreiben?

S. C. Menzel: Natürlich finden sich ständig Dinge in meinen Texten, die mich beschäftigt haben. Manchmal bewusst und manchmal unbewusst. Eine große Motivation ist sicher meine Faszination mit dem Leben an sich und der schönen Idee, dass wir, wenn wir die Erde verlassen, sicher nicht alleine gehen. Wir werden andere Lebewesen mitnehmen und sie damit vor dem schützen, was auf diesem Planeten geschehen könnte. Viele scheinen uns für reine Zerstörer zu halten. Das glaube ich nicht.

Das wichtigste für mich ist eine gute Routine. Wenn ich es schaffe, täglich zur selben Zeit für eine halbe bis eine Stunde zu schreiben, dann funktioniert das. Allerdings muss ich gestehen, dass ich immer mal wieder um diese Routine kämpfen muss. Dann gibt es auch schon mal Wochen, in denen ich gar nicht schreibe. Aber diese Schreibpausen helfen mir, meine kreativen Batterien wieder aufzuladen.

Literatopia: Arbeitest Du bereits an der nächsten Veröffentlichung – und kannst uns schon etwas darüber verraten?

S. C. Menzel: Ich arbeite tatsächlich an einem neuen Manuskript. Auch wenn ich gerade wieder aus einer dieser Schreibpausen herauskomme. Ich kann verraten, dass diese Geschichte in einem zukünftigen Deutschland spielt. Genauer gesagt, an der Nordsee. Und diesmal bin ich zuversichtlich, was den Arbeitstitel angeht, der fühlt sich jetzt schon genau richtig an.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

S. C. Menzel: Vielen Dank für die Fragen.

 

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Autor*innenfoto und Zeichnungen: Copyright by S. C. Menzel

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Rezension zu "Titanrot - Nomaden im All"


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.