Keine Menschenseele (Faye Hell)

hell keinemenschenseele

Amrûn, 2015
Paperback, 485 Seiten
€ 12,90 [D] | € 13,30 [A] | CHF 17,90
ISBN 978-3-958692-22-0

Genre: Horror


Rezension

Fünf Menschen finden sich in einem Hotel wieder: ein Pharmareferent, eine Alkoholikerin, ein Fernsehmoderator, eine Autorin von Liebesgeschichten, und eine weitere Person mit ganz besonderen Merkmalen. Sie sind erfolgreich, sie sind einsam, sie tragen ihre Vergangenheit im Gepäck, eine Vergangenheit, die nicht schön ist. Ihre fünf Geschichten sind von einem großen Erzählungsbogen überspannt. In dessen Zentrum steht das Hotel als eine Art Nicht-Ort. Es ist nicht verzeichnet in Hotelführern, ist nicht auffindbar und sucht sich seine „Gäste“ selbst aus.

Es ist ein wenig wie in einem weltweit bekannten Hotel, das von den Eagles besungen wird. Die Gäste checken ein, wissen aber nicht wirklich, wie sie in das Hotel gekommen sind, erst recht nicht, ob und, falls ja, wie sie wieder da rauskommen. Das Hotel weiß, was die Gäste irgendwann gemacht haben. Sie treffen auf das eigentümliche Zimmermädchen, eine Figur, die direkten Zugang zum Innenleben der Gäste hat, außerdem auf den Barmann (mit dem für Horrorfans auffälligen Namen Lloyd), der die Bedürfnisse seiner Besucher*innen kennt. Das Wissen, über welches das Zimmermädchen und der Barmann verfügen, hat auch das Hotel. Sie scheinen eine Einheit zu bilden, ist das Hotel zentral, ist es auch die Bedienstete, die sich als Ich-Erzählerin gibt.

In der Gegenwart der Erzählung sind die Gäste gezwungen, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Früh im Buch wird gefragt, ob es ungesund sei, Dinge zu verdrängen, und ob man überleben kann, wenn man es nicht macht. Das seltsame Hotel und sein Personal, besonders der Barmann, erinnern an Stephen Kings Shining. Die Figuren sind charakterlich wenig sympathisch und laden nicht zur Identifikation ein. Insoweit ist die Ich-Erzählerin eine gute Wahl, die Leser*innen durch die Handlung und das Denken der Figuren zu führen. Sie sind jedoch hinreichend interessant entwickelt, uns in der Handlung zu halten.

Wie im Horrorgenre recht verbreitet, dies nicht erst, aber besonders, seit Edgar Allan Poe, auf den sich im Text Verweise finden, definieren sich die Figuren nicht allein durch ihr Handeln oder ihre Gegenwart. Vielmehr ist es die Vergangenheit, die sie bestimmt. Bei den Gästen handelt es sich um fünf Personen, die ihre Seele nicht nur verkauft haben, sondern zu deren Auslöschung – nicht nur hier ergibt der Titel Sinn: Keine Menschenseele – einiges geleistet haben.

Faye Hell erzählt ihren Roman episodisch aus mehreren Perspektiven, wie Folgen einer Fernsehserie, die zudem einen das Gesamte überspannenden Bogen aufweist. Im Zentrum steht das Hotel als wichtigster Handlungsort. Während der Lektüre gewinnt und verliert es an Konturen. Es scheint ein beinahe ortloser Ort zu sein, über den sich Klarheit zu verschaffen ein die Gesamtlektüre umfassendes Vorhaben ist. Dieses Hotel bestimmt eine morbide Atmosphäre.

Handlungen, Entwicklungen, Gedanken, Personen, alles ist auf der Zeitlinie mit Sprüngen versehen und netzartig verbunden, wodurch sich ein schwieriger Text ergibt. Die Ich-Erzählerin geht vor wie eine Profilerin, die aus Details der Vergangenheit einer Figur Episoden aus einem Leben gewinnt, kleine Geschichten. Die Autorin hat eine eigenwillige und reizvolle Erzählweise. Diese wirkt spontan und unmittelbar, erinnert mitunter an die Kameraführung der Filmgruppe Dogma. Wie die Kamera dort, bewegt sich die perspektivische „Erzähllinse“ durch das Geschehen, als wäre sie ein Teil dessen. Und der Weg, den sie beschreibt, ist der, den wir mitgehen. Das muss nicht allen Lesespaß bereiten, aber wer sich dennoch auf den Roman einlässt, wird belohnt mit einem stimulierenden Stück Horror.

Für manche Leser*innen mag aus verschiedenen Gründen interessant sein: Faye Hell erzählt verdeckt bis schonungslos offen, scheut nicht das Extrem grausamer Beschreibungen von Gewalt gegen Tier und Kind. Das Fegefeuer ist die Instanz, in der die offenen Rechnungen beglichen werden, die im Zusammenhang des Verkaufs der Seele bereits vorher ausgestellt wurden.

Wir können mit unserer Vergangenheit nicht abschließen, es gibt keinen Neubeginn von einer selbst beschriebenen Nulllinie aus. Unsere Vergangenheit ist ein integraler Bestandteil von uns, sie definiert uns, ohne sie sind wir nicht mehr wir. Unser Handeln hat Folgen, die wir vor Durchführung einer Handlung bedenken sollten, weil es irgendwann und irgendwie immer Rückkoppelungen gibt. Schließlich ist nichts im Leben kostenlos. Und am Ende gibt es vielleicht von irgendwoher die Aufforderung zur Bilanzierung und eine unerwartete Rechnung.


Fazit

Faye Hell präsentiert in ihrem Roman Keine Menschenseele ein interessant beschriebenes Fegefeuer menschlicher Befindlichkeiten und Verdrängungen. Wer im Zusammenhang der Lektüre eines fiktionalen Textes Triggerwarnungen benötigt, sei darauf hingewiesen, dass der Verlag und die Autorin keine liefern.


Pro und Kontra

+ gewagt
+ klare Ordnung mit wiederkehrenden Strukturelementen

Wertung:sterne4

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5


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