Interview mit Esther S. Schmidt
Literatopia: Hallo, Esther! Kürzlich ist Deine neue Fantasy-Dilogie im Lindwurm Verlag erschienen. Was erwartet die Leser*innen in der „Welt der Schwerter“?
Esther S. Schmidt: Hallo Judith! In dem Buch geht es um Krieg und Liebe, um Hass und Heldenmut, um Verzweiflung und Rettung, wie man es von High Fantasy eben erwarten kann. Vor allem aber geht es darum, dass Menschen ihren eigenen Weg finden, und wie sie damit ihre Welt beeinflussen.
Literatopia: Würdest Du uns die Protagonist*innen aus „Welt der Schwerter“ kurz vorstellen?
Esther S. Schmidt: Zum einen ist da Siluren, der Kronprinz. Er ist klug, feinfühlig, belesen – kurz, für seinen Vater ist er eine riesige Enttäuschung. Denn er ist nicht das, was man sich in seiner Welt unter einem „Mann“ vorstellt, und schon gar nicht unter einem König. Aber er muss eben ein König werden, eine Wahl hat er nicht.
Lynneth hat ein ähnliches Problem. Sie ist gewitzt, eigenständig und wenig zurückhaltend, und damit entspricht sie so gar nicht dem Frauenbild ihrer Welt. Ausgerechnet sie wird in einem Ritual zur Hohepriesterin gesalbt, und hat damit die Pflicht, den Kronprinzen zu heiraten.
Zwischen den beiden steht Coridan, Silurens Halbbruder, der Lynneth zum Schloss eskortieren soll. Coridan war immer ein guter Bruder und Unterstützer für Siluren – aber bei so einer Reise kann viel passieren, und Lynneth trägt das „Mal der Göttin“, das in jedem Mann Liebe wirkt.
Leider nutzt der König des Nachbarreiches genau diese Zeit, um einen Krieg vom Zaun zu brechen, und das wirbelt natürlich alles durcheinander. Er setzt Kira auf Siluren an, eine Frau in Männerkleidern, die unter Soldaten lebt. Sie soll den Prinzen „erst einmal“ nur beobachten …
Literatopia: Das Worldbuilding mit Adel, Schwertern und Intrigen klingt nach europäischem Mittelalter. Gibt es Magie in „Welt der Schwerter“? Und wie sehen die Machtverhältnisse aus?
Esther S. Schmidt: Tatsächlich war das Bild in meinem Kopf weniger mittelalterlich, als vom 18. Jahrhundert geprägt. Im Grunde ist Prinz Siluren in seiner Welt ein Vorreiter der Aufklärung.
Aber es gibt Magie in dieser Welt. Zum einen ist da die Macht der „Erdmutter“, der Lynneth dient. Ihr uralter Kultus hat sich zu einer verfassten Religion entwickelt, und damit viel von seiner ursprünglichen Magie eingebüßt. Gegenspieler der Erdmutter sind die „Geister“, denen alles Materielle zuwider ist. Deren Jünger können in die Träume anderer Menschen eindringen, sie so beeinflussen – und sogar töten.
Aber im Grunde ist die magische Komponente eher zurückhaltend. Insofern eignet sich die Geschichte gut als „Einstig“ für Leute, die mit Fantasy sonst nicht so viel am Hut haben. Es geht um die Menschen und ihre Entscheidungen. Während Siluren die Zukunft seiner Welt in Wissenschaft und Philosophie sucht, will Lynn ihre Wahrheiten (und ihre eigentliche Macht) finden, indem sie ihre Religion von den Verkrustungen späterer Traditionen befreit.
Literatopia: Die Zeit der Trilogien scheint vorbei zu sein, zumindest erscheinen immer häufiger Dilogien in der Fantasy. Welche Vorteile bietet ein Zweiteiler? Und wann war für Dich klar, dass „Welt der Schwerter“ zwei Bände braucht?
Esther S. Schmidt: Entstanden ist „Welt der Schwerter“ als ein einziges Buch – aber gut siebenhundert Seiten sind ein ganz schöner Wälzer und im Druck ziemlich teuer. Der Verlag fragte daher, ob ich kürzen könnte. Etwa um die Hälfte! Einer Horrorvorstellung für jeden, der schreibt.
Glücklicherweise sind sie auf meinen Gegenvorschlag eingegangen, das Buch zu teilen. Da es recht strukturiert geplottet ist, ergab sich am zentralen Punkt eine wunderbare „Sollbruchstelle“. Aus diesem Grunde konnten auch beide Teile im gleichen Jahr erscheinen. Wer nach Band 1 noch nicht genug hat, muss also nicht warten und bangen, ob es eine Fortsetzung gibt.
Literatopia: Was fasziniert Dich persönlich an Fantasy/Phantastik?
Esther S. Schmidt: Komischerweise ist es gar nicht so sehr das Eintauchen in fremde Welten. Mich interessieren Menschen, ihre Entwicklungen und Beziehungen zueinander. Warum also Fantasy?
Im Grunde ist doch jede Geschichte ein Sozialexperiment – man stellt Charaktere mit bestimmten Eigenschaften in eine bestimmte Situation und schaut, wie sie damit umgehen. In der Phantastik kann man nun die Figuren ebenso wie die Situationen wunderschön ins Extrem führen, ohne dabei von so lästigen Dingen wie historischen Tatsachen behindert zu werden.
Prinz Siluren zum Beispiel, wurde zum Teil von der historischen Figur des „Alten Fritz“ (Friedrich II. von Preußen) inspiriert. Aber ich wollte eben nicht die Geschichte von Friedrich II. erzählen, sondern an manchen Stellen andere Abzweigungen nehmen. Was wäre wohl geschehen, wenn Friedrich einen Bruder wie Coridan an seiner Seite gehabt hätte? Oder eine Frau wie Kira?
Literatopia: Du erfindest seit Deinem 6ten Lebensjahr Geschichten – wovon handelten denn Deine ersten Werke?
Esther S. Schmidt: Meine erste Heldin war das Mädchen „Froind der Tire“ (mit der Rechtschreibung haperte es noch sehr), die einen Wolf vor einem Jäger rettet. Im zweiten Buch sucht ein trauriger „Klaun“ einen Freund. Offenbar waren Figuren und ihre Beziehungen damals schon mein Thema. Wenn ich sie heute anschaue, bin ich allerdings froh, dass ich inzwischen mehr über Spannung und Figurenbau gelernt habe. (lacht)
Literatopia: Wann war für Dich klar, dass Du nicht nur schreiben, sondern auch veröffentlichen willst? Und wie bist Du bei der Verlagssuche vorgegangen?
Esther S. Schmidt: Schon als Teenager habe ich völlig stümperhafte Versuche bei Verlagen unternommen, und zum größten Teil nicht mal Rückmeldungen erhalten. In meinen Zwanzigern bin ich an einen Zuschussverlag geraten, war aber klug genug zu erkennen: Wenn der Verlag das finanzielle Risiko nicht selbst tragen will, ist mein Text wohl noch nicht „marktreif“. Vermutlich hat mein BWL-Studium bei dieser Einschätzung geholfen.
Wirklich genützt hat dann das Vernetzen – über Autorengruppen lokal und im Internet, über die Teilnahme an Wettbewerben und dem Besuch von Messen, über Literaturkurse und Schreibwerkstätten etc. Der Vertrag mit Lindwurm kam dann tatsächlich durch die Empfehlung eines Kursleiters zustande.
Literatopia: Du hast bereits diverse Kurzgeschichten veröffentlicht. Worin liegt für Dich die besondere Herausforderung für eine gelungene Kurzgeschichte?
Esther S. Schmidt: Eine gute Kurzgeschichte transportiert eine einzige Idee, einen einzigen Gedanken. Jeder Satz, jedes Wort der Geschichte steht im Dienst dieses Gedankens – so wie bei einem Witz jedes Wort im Dienst der Pointe steht. Darum kann und muss man hier viel mehr feilen und polieren, sprachlich und inhaltlich. Im Grunde steht die Kurzgeschichte der Lyrik viel näher als dem Roman.
Aber genau darum – und weil sie eben kurz ist – bietet sie Gelegenheit zum Experiment, inhaltlich und sprachlich. Das macht für mich ihren besonderen Reiz beim Schreiben aus. Im Band „Esthers Blätterwald“ habe ich inzwischen ein paar meiner Kurzgeschichten zusammengefasst und veröffentlicht.
Literatopia: Auf Youtube finden sich Videotutorials zum Thema Schreiben von Dir – wie bist Du dazu gekommen?
Esther S. Schmidt: Als ich entdeckt habe, dass es im Bereich des Schreibens Prinzipien und Werkzeuge gibt, nicht nur auf Ebene der Sprache, sondern auch auf der Ebene des Erzählens selbst, war das für mich wie eine Offenbarung. Ich empfinde es als ziemlich befriedigend, etwas, das man bisher eher intuitiv gemacht hat, theoretisch zu durchdringen, sodass man am Ende tatsächlich versteht und weiß, was man tut.
Ich glaube, es war C. S. Lewis, der sinngemäß gesagt hat, ein guter Tennisspieler ist nicht jemand, der mal ne perfekte Rückhand schlägt, sondern einer, der sich auf seine Rückhand verlassen kann. Für mich gehört dazu das praktische „Üben“ genauso wie das theoretische Verstehen.
Ich habe also angefangen, Fachliteratur zu dem Thema zu verschlingen, und wenn ich etwas wirklich lernen will, mache ich mir Notizen dazu. Diese wurden zu Powerpoint-Folien, die ich im Rahmen meiner Autorengruppen vorgetragen habe. Mit jedem weiteren Sachbuch habe ich diese Folien ergänzt und ausgebaut, und als dann Corona kam, hatte ich endlich die Zeit, das ganze für’s Netz aufzubereiten. Wer sich also selbst mit dem Schreiben beschäftigt, ist gerne eingeladen, dort mal reinzuschauen.
Literatopia: Welche Fehler hast Du bei Deinen ersten Geschichten besonders häufig gemacht?
Esther S. Schmidt: Ein Fehler, den ich immer noch gelegentlich mache, betrifft die Basis jeder Geschichte: Eine Figur hat ein Ziel und trifft auf ein Hindernis. Wenn eine Szene so „vor sich hin handelt“ und ich selbst unzufrieden damit bin, liegt es meistens daran: Entweder verfolgt niemand gerade ein Ziel, oder es gibt kein Hindernis bzw. es wird zu schnell überwunden.
Natürlich gibt es Szenen, bei denen es nicht um ein Ziel, sondern um Emotionen geht. Das Modell von „Scene & Sequel“ war hier für mich ein Augenöffner (auch dazu gibt es ein Tutorial von mir). Wenn eine Szene aber weder das eine noch das andere hat, sollte man sie vielleicht streichen und an ihre Stelle einfach eine kurze, narrative Zusammenfassung setzen (Drei Tage später ...).
Literatopia: Findest Du neben dem Schreiben noch Zeit und Ruhe zum Lesen? Welche Bücher haben Dich in den letzten Jahren so richtig begeistert?
Esther S. Schmidt: Wenn man selbst schreibt, liest man mit anderen Augen. Man schaut sich an, was gut funktioniert, und was nicht, und wie das zu Stande kommt. Von den „Sturmlicht-Chroniken“ zum Beispiel habe ich viel über Weltenbau gelernt – aber auch darüber, dass man bei mehreren Erzählsträngen von sehr unterschiedlicher emotionaler Tiefe den Leser auch verlieren kann.
Begeistert haben mich in den letzten Jahren eigentlich eher Sachbücher. Vor allem „Gute Chefs essen zuletzt“ von Simon Sinek, dessen Prinzipien über „Leadership“ meine Figur Daric in den „Chroniken der Wälder“ sehr geprägt hat. Aber auch „Täter“ von Harald Welzer, der der Frage nachgeht, wie ganz normale Menschen im Krieg zu Massenmördern werden können. Dem setze ich gerade Viktor Frankls „Trotzdem ja zum Leben sagen“ entgegen, der als Auschwitz-Überlebender der Frage nachgeht, wie Menschen selbst in den schlimmsten Situationen menschlich bleiben können. Das hat auch für mein neues Projekt Relevanz, in dem eine Figur als Verurteilter in einer Mine schuftet.
Literatopia: Auf Deiner Website ist Dein 2022 bei Plan 9 erscheinender SF-Roman „Rho“ angekündigt – kannst Du uns schon etwas mehr darüber verraten? Das Cover sieht nach einem Wüstenplaneten aus?
Esther S. Schmidt: Es spielt auf einem von Menschen besiedelten Exoplaneten. Wie die Erde auch hat dieser Planet viele verschiedene Ökosysteme – aber ja, ein Teil der Geschichte spielt in einer Wüste. Interessiert haben mich aber eher gesellschaftliche Fragen.
Die Besiedelung erfolgte nicht durch Nationen, sondern durch die Privatwirtschaft. Dadurch hat sich eine Gesellschaft herausgebildet, in der Konzerne die Regierung bilden. Das Prinzip des Wettbewerbs und des Individualismus durchdringt das Leben – also ganz ähnlich wie bei uns.
Dem gegenüber stehen die Mantis, riesige, staatenbildende Insekten. Da sie in der Wüste leben, haben sie eigentlich keine Berührungspunkte mit den Menschen, aber natürlich schaffen wir es, sie gegen uns aufzubringen. Die Journalistin Moira und der Konzernsoldat Rho versuchen, die Hintergründe zu klären. Sie geraten zwischen die Fronten und beginnen sich zu fragen, ob eine kollektiv agierende Spezies nicht vielleicht doch die überlegene sein könnte …
Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!
Esther S. Schmidt: Danke für diese Möglichkeit!
Autor*innenfoto: Copyright by Hartmuth Schröder (schroeder-fotografie.de)
Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.