Anja Stephan (02.01.2022)

Interview mit Anja Stephan

Literatopia: Hallo, Anja! In Kürze soll der zweite Band Deiner Urban-Fantasy-Trilogie „Paris Underground“ erschienen. Was erwartet die Leser*innen in Paris?

anja stephan2022Anja Stephan: Vor allem Paris, ober- und unterirdisch. Es geht um Gwen und Scott, die sich zusammenfinden müssen, um das kalte Herz zu suchen. Diese Suche führt sie durch ganz Paris, durch die Metroschächte, in die Katakomben und so weiter. Meine Charaktere sind hauptsächlich Elfen oder Halbelfen, daneben gibt es aber noch einige andere Wesen und Völker.

Es ist jedoch eine langsam erzählte Story mit viel Slice of Life. Der Fokus liegt auf der Entwicklung der Charaktere und Beziehungen. Es gibt weniger Action und man muss nicht die ganze Zeit Angst haben, dass ein wichtiger Charakter stirbt, oder so. Am Ende wird alles gut.

Literatopia: Elfen findet man in der Urban Fantasy vergleichsweise selten – was fasziniert Dich persönlich an Elfen? Wie finden sich die langlebigen Elfen in unserer Gegenwart zurecht? Und wissen die Menschen von ihnen?

Anja Stephan: Ja, ich habe das in meinem Weltenbau so vorgesehen, dass die verschiedenen Völker nebeneinander existieren. Es gibt auch Hexen und Magier, Werwölfe und Vampire innerhalb des Weltenbaus. Das heißt nicht, dass es keine Konflikte gibt. Die passieren aber dann nicht zwischen ganzen Gruppen, sondern eher interpersonell.

Bei den Elfen hat mich gerade das lange Leben fasziniert. Wie siehst du die Welt, die Politik, die eigenen Beziehungen, wenn du 1000 Jahre alt werden kannst? Wir haben das in der Urban Fantasy oft nur mit Vampiren oder Werwölfen, wobei es in solchen Geschichten dann meist hauptsächlich darum geht, dass die beiden Gruppen Krieg gegeneinander führen. Das finde ich schade. Ich kann mir z.B. einen Politthriller mit Vampiren sehr gut vorstellen. Aber das ist nicht das was ich schreiben möchte. Elfen sind für meine Ideen besser geeignet.

Du musst dir meine Elfen auch nicht als die typischen High-Fantasy-Elfen vorstellen. Bei mir sind das keine ätherischen, mystischen Gestalten. Gwendolyn hat Übergewicht und kämpft mit einer zerrütteten Familie und mehreren gescheiterten Ehen, während Scott ein Hörgerät tragen muss und versucht, all seine Traumata zu bewältigen.

Literatopia: Deine Protagonist*innen Gwendolyn und Scott verbindet eine Vergangenheit, die sich über 150 Jahre erstreckt. Was verbindet die beiden? Und wie harmonisch oder auch nicht-harmonisch verläuft ihre gemeinsame Suche?

paris underground1Anja Stephan: Scott ist ein Halbelf und wurde deshalb in der Vergangenheit heftig diskriminiert. Deshalb steht die Beziehung der beiden unter keinem guten Stern (mehr kann ich nicht verraten, sorry). Ich habe versucht, einige historische Ereignisse mit meinem Weltenbau zu verweben, weshalb ich die 68er Aufstände dazu genutzt habe, ein Antidiskriminierungsgesetz zu erlassen. Seitdem sind alle Wesen gleichgestellt. Das hat mir auch die Gelegenheit gegeben, viele Themen ordentlich behandeln zu können. Gwen hatte genug Zeit, ihre eigenen Handlungen zu hinterfragen, ihre Fehler einzugestehen und sich zu ändern. Auch ein Vorteil, wenn man so alt wird.

Gerade Gwen und Scott sind so unterschiedlich. Er versucht, bloß nicht aufzufallen und will eigentlich nur noch seine Ruhe haben. Und sie springt voller Leidenschaft in jedes Abenteuer. Zu Beginn haben sie beide sehr ausgeprägte Vorurteile. Scott hält sie für eine reiche Skandalnudel. Gwen hält ihn für einen verschrobenen Bücherwurm. Sie haben beide total unterschiedliche Lebensrealitäten. Aber sie haben genug Raum, um sich zu entwickeln und ihre Vorurteile abzubauen. So können sie über die Suche hinweg zusammenwachsen.

Literatopia: Der Figurencast „Paris Underground“ ist in vielerlei Hinsicht divers. Würdest Du uns die wichtigsten Nebenfiguren kurz vorstellen?

Anja Stephan: Ja, ich habe einen recht diversen Cast.

Scott ist ein Halbelf. Seine menschliche Mutter kam aus Korea. Außerdem ist er auf einem Ohr fast taub und trägt ein Hörgerät.

Dann haben wir Bernadette, Scotts Lehrling. Dieser Charakter in nicht-binär und ich habe lange nach geeigneten Pronomen gesucht. Letztendlich habe ich mich für die französische Variante entschieden (immerhin befinden wir uns in Paris): iel. Eine Mischung il und elle. Seit kurzem sind diese Pronomen auch im Robert, dem französischen Duden, verankert. Das hat mich sehr gefreut. Bernadette kommt auch schon im ersten Band mit einer Hexe mit marokkanischen Wurzeln zusammen. Die beiden sind so toll. Ich mag sie unheimlich gern.

Weiterhin haben wir Polly, die Muse und Gwens beste Freundin. Sie ist eine trans Frau und Schwarz. Das wird im ersten Band nur in einem Nebensatz erwähnt, im zweiten Band kommt es noch mal deutlicher zur Sprache. Aber es gab im ersten Band einfach keine gute Gelegenheit das zu thematisieren, ohne Othering zu betreiben. Im Ende muss man sich fragen, ob das tatsächlich noch besonders hervorgehoben werden muss, wenn die Transition schon 100 Jahre her ist. Polly ist eben Polly.

Leonard de Vince ist Gwens bester Freund. Er führt seit 37 Jahren eine sehr glückliche Beziehung mit einem Mann. Ich glaube, das entspricht auch so der historischen Person.

paris underground2Dann werden noch andere Charaktere erwähnt, z.B. ist Gwens Zwillingsbruder mit einer Afro-Amerikanerin verheiratet, sie haben sieben Kinder und eins davon ist ein trans Junge. Mit dem macht Scott im zweiten Band dann Bekanntschaft.

Literatopia: Neben Urban Fantasy schreibst Du auch cosy Steampunkkrimis mit dem Ermittler*innenduo Elijah Fuchs und Thea Elster. Wie kommt es zur Zusammenarbeit der beiden?

Anja Stephan: Ich sage immer: ich wollte ursprünglich einen Regionalkrimi schreiben, aber ich kam mit der Realität nicht zurecht. Das stimmt wirklich zum großen Teil, weil vieles in der Phantastik funktionieren kann, was in der Realität nicht klappen würde. Deshalb habe ich den Krimi im Steampunk umgesetzt und lasse ihn in einer fiktiven Kleinstadt Bonpoint spielen.

Elijah ist evangelischer Pfarrer und lässt sich aus Berlyn in die Kleinstadt versetzen. Seine Schwester Harriet lebt schon dort und ist eine sehr ehrgeizige Polizistin. Er war im Kriegsgebiet als Seelsorger tätig und hat dort bei einem Angriff seinen Arm verloren. Das nimmt ihn alles sehr mit und er will jetzt zur Ruhe kommen. Dann trifft er aber auf Thea, die im ersten Fall als Hauptverdächtige gilt.

Ihr Mann ist vor ein paar Jahren verschwunden und es wird gemunkelt, dass sie "etwas damit zu tun hat". Seitdem schlägt sie sich und ihre Kinder mit halb-legalen Arbeiten durch. Trotzdem ist sie lebensfroh und genießt Kaffeekränzchen mit ihren Freundinnen Seraphina und Paula. Eigentlich sind die drei Freundinnen der Mittelpunkt der Ermittlungen, Elijah wird unfreiwillig mitgezogen. Der arme.

Literatopia: Was reizt Dich persönlich am Steampunk-Setting?

Anja Stephan: Im Steampunk ist alles möglich. Du kannst Magie mit einbauen, musst du aber nicht. Du kannst deinen Weltenbau so nah oder so fern wie du willst an der Realität ansetzen. Du kannst total verrückte Plots schmieden, die in anderen Genres vielleicht nicht funktionieren würden. Wie hoch der Anteil an Maschinen oder Dampf ist, bleibt dir überlassen. Es ist ein Genre, wo du dich so richtig austoben kannst.

Literatopia: Deine Novelle „Alice hinter der Mauer“ spielt in einem Paralleluniversum – inwiefern ist die Geschichte anders verlaufen? Und geht die Verbindung zu „Alice im Wunderland“/“Alice hinter den Spiegeln“ über den Titel hinaus?

anja stephan20221Anja Stephan: Es gibt einige Anspielungen auf "Alice im Wunderland", es ist aber keine Nacherzählung. Die Geschichte spielt in der Gegenwart (vor COVID-19), nur sind die Demonstrationen gegen die Politik ausgeartet und der Konflikt endete in einem Krieg und einem zerstörten Paris. Die Menschen haben sich in den Untergrund zurückgezogen, Notre Dame ist das Hauptquartiert von dem aus sie gegen die Angriffe der Regierung kämpfen. Wir haben Alice, die sich täglich zum Dienst an der Waffe meldet. Sie ist schon ziemlich desillusioniert und glaubt nicht, dass noch mal irgendwann Frieden herrschen kann. Dann folgt sie ihrem Partner, der Lapin (dt. Hase) genannt wird, durch ein Portal unterhalb von Notre Dame, das sie in unsere Realität bringt. Doch während ihr Partner sich freut, endlich dem Elend entkommen zu sein, hat Alice Gewissensbisse. Was ist mit den anderen? Kann man die nachholen? Die kann man doch nicht einfach da drüben weiter leiden lassen. Die beiden müssen sich dann damit auseinandersetzen, was sie für ihre eigene Freiheit bereit sind zu opfern.

Literatopia: Bisher hast Du all Deine Bücher selbst veröffentlicht. War für Dich von Anfang an klar, dass Du als Autorin alles selbst in der Hand haben willst? Und könntest Du Dir auch vorstellen, mit einem Verlag zusammenzuarbeiten?

Anja Stephan: Ich kann mir schon vorstellen, mit einem Verlag zusammenzuarbeiten, aber da mache ich mir kaum was vor. Es gibt so viele so gut Autor*innen, die keinen Platz in einem Verlag finden. Im Selfpublishing fühle ich mich aber sehr wohl. Ich habe sehr viele Freiheiten, kann bei allem mein eigenes Ding machen, ohne Vorschriften oder Eingrenzungen. So kann ich selbst wählen, mit welchen Personen ich zusammenarbeiten will und mit welchen nicht. Der Nachteil ist, dass es sehr viel Geld kostet, wenn du mit professionellen Leuten zusammenarbeiten willst. Da weine ich immer über meinen Kontostand.

Für "Paris Underground" habe ich zum Beispiel Illustrationen von verschiedenen Artists anfertigen lassen, die auch im Buch sind. Das wäre bei einem Verlag wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Die sind toll geworden. Ich habe Postkarten drucken lassen, die ich mit den Blog-Paketen verteile. Wenn ich mal wieder auf eine Messe gehen kann, bringe ich die auch mit.

Und ich mache eigenes Merch. Das hat sich erstmal komisch angefühlt, weil mir absolut bewusst ist, wie unbekannt ich als Autorin bin. Aber es macht Spaß und ich möchte das weiter ausbauen. Da bin ich auch nicht sicher, ob ein Verlag das so ohne weiteres mitmachen würde. Aber im SP kann ich mich austoben.

Literatopia: Wer macht eigentlich die tollen Cover für Deine Kurzgeschichten und Romane?

Anja Stephan: Ja, die sind toll. Das macht hauptsächlich Grit vom Art Skript Phantastik Verlag. Sie ist gelernte Grafik-Designerin und nimmt auch Aufträge an.

Literatopia: Du sagst, wenn Du auf ältere Geschichten zurückblickst, hat sich Dein Schreiben sehr verbessert – inwiefern? Und was hat Dir geholfen, Dein Schreiben weiter zu entwickeln?

Anja Stephan: Ich glaube, dass man sich kontinuierlich verbessert, je mehr man schreibt und je mehr man liest. Ich denke, bei mir ist noch Luft nach oben, aber trotzdem sehe ich, wie stark ich mich in den letzten Jahren entwickelt habe. Ich kenne viele tolle Autor*innen, die sich häufig auf ihre Fehler konzentrieren, anstatt sich über ihre Fortschritte zu freuen. Das finde ich schade und wir sollten davon wegkommen, dass man sich über eigene Leistungen nicht freuen darf, ohne als arrogant abgestempelt zu werden.

Ich plane, wenn "Paris Underground" fertig ist, die Steampunkkrimis noch mal zu überarbeiten und z.B. eine genderneutrale Schreibweise zu verwenden, so wie ich es in der Trilogie mache. Das ist gar nicht so schwer. Außerdem sind da noch ein paar Dinge drin, die ich heute auch so nicht mehr schreiben würde.

Das ist eben der Vorteil, wenn du im SP veröffentlichst: du kannst deine Bücher vom Markt nehmen und überarbeiten, wie du es möchtest. Aber ich kann nicht alles auf einmal, eins nach dem anderen.

Literatopia: Welche Bücher haben Dich in den letzten Jahren so richtig begeistert? (und warum?)

Anja Stephan: Ich lese hauptsächlich Sachbücher, daher wird meine Empfehlungsliste eher dahingehend ausfallen. Sorry.

Ich habe die "Midnight Library" (Die Mitternachtsbibliothek) von Matt Haig sehr genossen. Es hat mich mit Hoffnung zurückgelassen.

Weiterhin fand ich "Ich bin Linus" ein ganz starkes Buch. Ich war zum Teil so schockiert, wie transfeindlich das deutsche System ist. Ich wohne in Irland und hier kann jede Person durch eine Transition gehen, ohne staatliche Auflagen oder auf das Wohlwollen der Behörden angewiesen zu sein.

Dann möchte ich noch auf das Buch "Eure Heimat ist unser Albtraum" aufmerksam machen. Das sind Beiträge von verschiedenen Autor*innen, wie z.B. Margarete Stokowski, Hengameh Yaghoobifarah, Max Czollek und anderen, zu Rassismus und Diskriminierung. Ich finde das Buch sehr wichtig.

Literatopia: Würdest Du uns abschließend einen Ausblick auf den zweiten Band von „Paris Underground“ geben? Und arbeitest Du parallel schon an einer ganz neuen Geschichte?

Anja Stephan: Es geht diesmal tatsächlich runter in die Metroschächte und die Katakomben, so wie es der Titel verspricht. Allerdings passiert mehr Action, im Gegensatz zum ersten Band, der eher als Hinführung gesehen werden kann. Ich habe auch wieder viel Slice of Life dabei und einige witzige Momente. Gwen und Scott haben die Möglichkeit, sich besser kennenzulernen.

Ich habe gerade mit dem dritten Band angefangen. Der Plot steht und das Ende auch. Parallel kann ich derzeit nur planen und plotten. Ich kann nur eins nach dem anderen machen und erstmal ist Paris dran. Ich habe aber schon viele Ideen für weitere Geschichten. Mal schauen, ob ich die umsetzen kann.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Anja Stephan: Vielen Dank für die Gelegenheit.


Autor*innenfotos: Copyright by Anja Stephan

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Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.