Die Entführung der Dinharazade (Christina Wermescher)

Amrûn Verlag (Oktober 2021)
Taschenbuch, ca 200 Seiten, 12,90 EUR
ISBN: 978-3958694712

Genre: orientalische Fantasy / Steamfantasy


Klappentext

„Ich entschuldige mich im Vorfeld für alle Unannehmlichkeiten, liebe Dinharazade. Aber ich werde Euch nun entführen.“

Dinharazade wird vom berüchtigten Wüstenkönig Khan Bassam direkt aus dem Palastgarten ihres Schwagers entführt. Wider Erwarten stellt sich die Situation völlig anders dar und sie kann sich in Khans Oase freier entfalten als zu Hause in Samarqand. Doch bald geht es nicht mehr nur um eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, denn ihrem Glück steht eine magische Intrige entgegen, die alles zu zerstören droht.


Rezension

Dinharazade verweilt mit ihrer Schwester und ihrem neugeborenen Neffen im Palastgarten, als der Wüstenkönig Khan Bassam eindringt. Es kursieren allerhand üble Gerüchte über ihn, doch Dinah fand ihn bei ihrer letzten Begegnung durchaus interessant. Umso schockierter ist sie, als er ihr offenbart, dass er sie nun entführen wird – auf irritierend charmante Weise, allerdings nicht ohne Gewalt. Immerhin hat er die Wachen betäubt. Khan bringt Dinah mit einem riesigen, metallenen Wüstenschiff in seine geheime Oasenstadt, wo sie noch mehr seltsame und spannende Gerätschaften entdeckt. Khans Wüstenreich ist ein Traum und die Entführung bringt Dinah mehr Freiheit, als sie je zu hoffen gewagt hat. Doch es bleibt eine Entführung und so bleibt das Verhältnis zwischen Dinah und Khan zunächst distanziert. Als sie sich endlich näherkommen, droht eine Hexe ihr Glück zu zerstören …

„Die Entführung der Dinharazade“ ist ein recht kurzer Fantasyroman mit orientalischem Setting, der sich grob in zwei Hälften teilt. In der ersten Hälfte erzählt Christina Wermescher eine charmante, leichte Liebesgeschichte. Entführer Khan offenbart Dinah früh seine Gefühle, gibt ihr aber Zeit, ihre eigenen zu entdecken. Er weiß um die Vorurteile, die ihn und sein Volk als Barbaren darstellen, und führt Dinah behutsam in seine Welt ein. Dinah ist natürlich empört über die Entführung, doch ihr Zorn verraucht schnell, immerhin bietet Khans Oase allerhand technische Wunder, die sie faszinieren. Zudem empfängt Khans kleines Volk sie offen und herzlich und ihr wird glaubhaft versichert, dass sie keine Gefangene ist. Es ist schön und amüsant zu lesen, wie Dinah Khan die Stirn bietet, ihm nicht sofort verfällt, aber dennoch bereit ist, ihm eine echte Chance zu geben. Khan verhält sich respektvoll und gibt Dinah die Zeit, die sie braucht, um Vertrauen zu fassen. 

Das aufkeimende Glück wird jedoch von kulturellen Missverständnissen überschattet und ehe es zu einer Klärung kommt, kommt es zum Krieg. Die Stimmung kippt und aus der märchenhaften Liebesgeschichte wird düstere Fantasy, in der eine Hexe die Freiheit der Wüstenbewohner bedroht. Khan ist in der zweiten Romanhälfte kaum wiederzuerkennen. Er ist verzweifelt und frustriert und wird immer passiver, während Dinah zusammen mit ihren neuen Freunden versucht, die Oase zu retten. Die Autorin schweift inmitten der dramatischen Ereignisse ein wenig ab und erzählt die queere und herzerwärmende Liebesgeschichte zweier Nebencharaktere, ehe es zum finalen Kampf kommt. Inklusive familiärer Verwicklungen, die kaum ausgeführt werden und daher auch kaum berühren.

„Die Entführung der Dinharazade“ steckt voller spannender Ideen, wovon viele nicht weiter ausgeführt werden. So ist Dinah zum Beispiel die Schwester der legendären Scheherazade, die dem König ein Kind geschenkt hat und trotzdem noch um ihr Leben fürchtet. Zudem war es stets Dinah, die Scheherazade die Geschichten erzählt hat, mit denen diese dann den König besänftigen konnte. Eine sehr spannende Idee, aus der Christina Wermescher jedoch nichts macht. Dinah erzählt keine einzige Geschichte in diesem Buch. Und Scheherazade hätte auch eine beliebige Königin sein können, die ihren brutalen Ehemann fürchtet – und auch hier geht die Autorin kaum näher auf diese toxischen und für die Frau lebensbedrohlichen Verhältnisse ein. Und auch die Hexen kommen zu kurz, man erfährt nur wenig über sie. Ihre Magie ist an Elemente wie Wasser und Metall gebunden und sie wirken etwas fehlplatziert im orientalischen Setting.

Interessant sind die Steampunkelemente, die sich sehr gut ins Wüstensetting fügen. Bereits im Palast ihres Schwagers ist Dinahs Faszination für Technik und Wissenschaft zu erkennen. Sie besucht regelmäßig einen guten Freund, den alten Erfinder Abdi, der sie in seine Projekte einbindet. Abdi wird jedoch von Khan und seinem Wüstenvolk übertroffen, immerhin verfügt dieses über metallene Wüstenschiffe, die unter dem Sand dahingleiten, und hat aus einer Oase ein richtiges Paradies geschaffen – wobei auch ein wenig Magie im Spiel ist.

Zuletzt noch ein paar Worte zur gelungenen Gestaltung: Das traumhaft schöne Cover stammt von Julia Dibbern, die die Verbindung von Steamfantasy und Orient perfekt einfängt. Hervorzuheben ist besonders die ausgewogene Farbauswahl. Der Druck ist matt und das Taschenbuch fühlt sich samtig an. Die Kapitelüberschriften haben eine orientalisch anmutende Schrift und sind mit einer kleinen Grafik versehen.


Fazit

„Die Entführung der Dinharazade“ ist eine sehr charmante Liebesgeschichte in einem Wüstenparadies mit Steampunkflair, die sich in der zweiten Romanhälfte in düstere Fantasy voller Verzweiflung verwandelt. Die Stimmung kippt dabei zu stark ins Negative und so manch spannende Idee wird nicht weiter ausgeführt.


Pro und Contra

+ stimmungsvolles Wüstensetting mit Steampunkelementen
+ leichte Liebesgeschichte mit Humor
+ Dinah lässt sich nicht so leicht um den Finger wickeln
+ Khans respektvoller Umgang mit Dinah
+ die queere Lovestory zweier Nebencharaktere
+ schöne Gestaltung mit einem traumhaften Cover

- in der Kürze werden spannende Ideen nicht ausgearbeitet
- Missverständnisse ziehen zu viel Drama nach sich
- die Hexen dienen nur als dunkle Gegenspielerinnen

Wertungsterne3.5

Handlung: 3/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5

Tags: Steamfantasy, orientalische Fantasy, queere Figuren, 1001 Nacht